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Herr Minister, Sie gelten als ein wertkonservativer, patriotisch denkender Politiker - wie definieren Sie preußische Tugenden?
Schönbohm: Preußentum - das ist ja ein historischer Begriff und ein Begriff, der auch einer Landschaft zugeordnet ist. Wenn man sich seine Entwicklung ansieht, muß man feststellen, daß dieses Preußentum geboren wurde in einer kargen Landschaft, einer Landschaft praktisch ohne Bodenschätze , wo es darum ging, wie man darauf ein Gemeinwesen aufbaut, das zukunftsfähig ist. Preußen war nie ein Land des Überflusses, war gekennzeichnet davon, daß die Menschen fleißig waren und nicht protzig, daß sie bescheiden waren, daß sie wußten, sie können ihre Aufgaben nur gemeinsam erfüllen - also ein starkes, gemeinsames Pflichtgefühl.
Da dieses Land keine natürlichen Grenzen hatte, war es häufig Kriegen ausgesetzt. Dazu war es notwendig, daß man dem König diente. Es gibt ja preußische Landadelsgeschlechter, deren Söhne über Hunderte von Jahren im Heer der Preußenkönige dienten und oft auf den Schlachtfeldern gefallen sind. Das führte gegenüber dem König zu einem Verhältnis von ganz besonderer Qualität. Also Pflichtgefühl und Loyalität - dazu gehören dann auch andere Dinge, Pünktlichkeit, Sauberkeit, wie man miteinander umgeht.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist, daß Preußen in seinen guten Zeiten immer sehr modern war. Friedrich II. war ein moderner König. Erst nach seiner langen Herrschaftszeit verlor sich diese Modernität. Das preußische Reich brach unter dem Ansturm Napoleons zusammen. Aber dann kam eine unglaubliche Erneuerung. Das war es, was Preußen immer ausgezeichnet hat: daß es sich, wenn es darauf ankam, modernisieren konnte.
Im öffentlichen Bewußtsein ist aber seit vielen Jahrzehnten ein völlig anderes Bild von Preußen systematisch gezeichnet worden - ein sehr negatives Bild. Was kann man nach Ihrer Einschätzung tun, um endlich wieder zu einer gerechten Beurteilung Preußens zu kommen?
Schönbohm: Ich denke, man muß sich etwas mehr mit der Geschichte beschäftigen. Damals bei der Neugründung der Bundeswehr haben wir angeknüpft an die Scharnhorstschen Reformen, an den Grundgedanken Scharnhorsts: "Jeder Bürger ist der geborene Verteidiger seines Staates." Das spielt in der inneren Führung eine große Rolle.
Wir müssen ferner die Modernität des preußischen Staates deutlich machen. Wenn Sie sich überlegen, daß in den Stein / Hardenbergschen Reformen innerhalb kurzer Zeit grundlegende Veränderungen vorgenommen wurden, die notwendig waren: kommunale Selbstverwaltung, Bauernbefreiung, Abschaffung der Prügelstrafe in den Streitkräften, Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, Zugang zu Aufgaben des Staates - nicht abhängig von der Standeszugehörigkeit, sondern von der Leistungsfähigkeit, zum Beispiel von Schul- oder Universitätsabschlüssen. Dann die Universitätsgründung von Wilhelm von Humboldt, die Modernisierung des Schulsystems. Darauf sollte man sich besinnen und klarmachen: einen solchen Humboldt / Hardenbergschen Mut könnten wir heute gut gebrauchen!
Ein weiterer Punkt: Preußische Geschichte ist mehr als Wilhelm II. Natürlich gab es da eine Art Militarisierung der Gesellschaft, natürlich war nach dem Krieg gegen Frankreich und die dadurch gewonnene deutsche Einheit das Militär in der Gesellschaft sehr bestimmend. Aber dies war nur ein Teilausschnitt der preußischen Geschichte. Ich glaube, wenn man über Preußen redet, muß man über einen größeren Zeitabschnitt reden.
Es ist ja in diesem Zusammenhang auch bemerkenswert, daß der ernsthafteste Widerstand gegen das NS-Regime aus Preußen kam ...
Schönbohm: Das ist die Wertgebundenheit. Da gibt es ja großarti- ge Zeugnisse. So hat einer dieser Widerstandskämpfer der Straße, an der heute dieses Ministerium liegt, den Namen gegeben, von Tresckow, der groß ge- worden ist im Infanterieregiment Nr. 9. Er hat in der Garnisonkirche aus Anlaß der Konfirmation seiner Söhne eine bewegende Rede gehalten über die Verbindung von Christentum, Werten und Verantwortung für das Gemeinwesen. Diese christliche Bindung, dieses Pflichtgefühl dem Gemeinwesen gegenüber hat beim Widerstand aus dem militärischen Bereich eine große Rolle gespielt.
Welche besonderen Anstrengungen unternimmt denn speziell das Land Brandenburg, um das preußische Erbe zu wahren und zu mehren? Ich denke da auch an den Bereich der Wissenschaften - 2004 haben wir ja den 200. Todestag von Kant; gibt es da im Land Brandenburg besondere Schwerpunkte?
Schönbohm: Kant ist ja nun fast immer in Königsberg gewesen. Er ist einer der großen Philosophen, die wirklich kaum aus den Stadtmauern herausgekommen sind. So gesehen ist es richtig, das Kant-Jubiläum in Königsberg zu feiern; das Land Brandenburg hält sich hier zurück.
Einen Schwerpunkt im Lande Brandenburg, gemeinsam mit Berlin, bilden die preußischen Schlösser und Gärten. Aber wir haben Schwierigkeiten, das einfache Goethe-Wort umzusetzen, das da heißt: "Was Du ererbst von Deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen." Denn die wirtschaftliche Grundlage, die Wertschöpfung im Lande ist zu gering, um dies alles zu erhalten. Zum Glück haben wir großartige Mäzene, zum Beispiel Werner Otto oder Ruth Cornelsen, die viel Geld ausgegeben haben, um bedeutende historische Bauwerke wiederherzustellen.
In Bereich Wissenschaft haben wir uns entschlossen, trotz Haushaltsknappheit die Zahl der Studienplätze in Brandenburg um 3.500 zu erhöhen. Wir haben hier in Potsdam zwei Dinge, die ich hervorheben möchte: einen eigens gestifteten Lehrstuhl, der sich mit Fragen der Militärgeschichte auseinandersetzt, und das Abraham-Geiger-Kolleg, an dem Rabbiner ausgebildet werden. Und das knüpft auch wieder an Preußen an, denn das Judentum hatte ja in Preußen eine ganz hohe Bedeutung. Preußen ist das Land, in dem die Juden die Möglichkeit bekamen, sich am weitesten zu emanzipieren, das darf man nicht vergessen.
Kultur kann man nur aus den Wurzeln heraus erklären. Das unterstützt auch die Landesregierung. Aber der entscheidende Punkt ist: Die Menschen, die hier leben, müssen sich dieser Wurzeln bewußt sein, daran anknüpfen, dafür werben. Dazu ist guter Geschichtsunterricht ebenso notwendig wie ein fundiertes Wissen über die Gegenwart. Daran arbeiten wir, aber ich glaube, da kann noch mehr gemacht werden.
Könnten Sie sich denn vorstellen, daß es längerfristig im Zuge einer Neuordnung der Bundesländer irgendwann mal wieder ein Land Preußen oder Brandenburg-Preußen geben könnte?
Schönbohm: Da muß man sich die Geschichte in Erinnerung rufen: Polen hat im Osten Gebiet verloren, im Westen Gebiete gewonnen, die früher zu Preußen gehörten. In dem Augenblick, wo ein Land Preußen genannt wird, bringt dies Mißverständnisse ein. Ich finde, wir sollten auch in diesem Fall im Sinne des preußischen Geistes Politik machen: Preußen war ein Land, das immer friedliche Lösungen gesucht hat - das wird gern vergessen. Von allen europäischen Ländern hat Preußen im 19. Jahrhundert die wenigsten Kriege geführt. Da war einiges im Vorfeld der deutschen Einheit, aber sonst hat Preußen wenig Kriege geführt, verglichen mit den anderen Mächten. Vor diesem Hintergrund hielte ich ein neues Bundesland Preußen für falsch - so einen Namen kann man nicht einfach wieder erfinden. Ich bin dafür, daß das Land Brandenburg heißt, wenn es sich zusammenschließt.
Herr Schönbohm, Sie sprachen eben von den knappen finanziellen Ressourcen. Wie weit läßt diese Situation einem Politiker überhaupt noch einen politischen Gestaltungsspielraum? Ist man da schon so eingeengt, daß man eigentlich nur noch den Mangel verwalten kann?
Schönbohm: Also, in dieses Gejammer stimme ich nicht ein. Wir haben im Landeshaushalt noch über neun Milliarden Euro, das ist viel Geld. Es geht mir darum, daß das Geld richtig ausgegeben wird. Da geht es zunächst mal um einen geistigen Prozeß. Da empfehle ich wieder einen Rückgriff auf Preußen, zum Beispiel auf Wilhelm von Humboldts Schrift "Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen". Humboldts Ansatz lautete "Freiheit und Eigenverantwortung". Von daher müssen wir an diese Diskussion herangehen. Der Staat muß sich nicht um alles kümmern. Auch in Brandenburg gibt es diese Mentalität, daß der Staat sich um alles kümmern muß, aber so denke ich nicht. Der zweite Punkt: Man kann auch Politik machen ohne oder mit wenig Geld. Ich habe in meiner Zeit als Innenminister zwei wichtige Reformvorhaben durchgesetzt. Das eine ist eine Kommunalreform, aus 1.479 Gemeinden sind im Ergebnis 422 geworden sind, also eine drastische Reduzierung. Das kostet kein Geld, das spart Geld, und es zeigt den Bürgern, daß sich Strukturen verändern müssen: Die Kirche bleibt im Dorf, die Feuerwehr bleibt im Dorf, nur der Bürgermeister sitzt woanders.
Dann habe ich die Polizeistrukturreform durch- gesetzt und dafür gesorgt, daß wir zu einer dezentralen Verantwortung vor Ort kommen, statt alles zu zentralisieren. Und so werden wir alle Verwaltungsbereiche durchforsten, werden sehen, wie wir zu weniger Bürokratie kommen. Hier sehen Sie: Man kann auch Politik machen mit wenig Geld. Geld ausgeben, damit alle fröhlich sind, das ist keine Kunst. Aber die Zukunft gestalten und keine Schulden zu Lasten der nachwachsenden Generation zu machen und dabei noch Schwerpunkte zu setzen, das ist die Kunst. Wir in Brandenburg sind uns darüber einig, daß alles, was zusammenhängt mit Wissenschaft, Forschung, Technologie, einer dieser Schwerpunkte ist. Die Pisa-Ergebnisse sind auch nicht eine Frage des Geldes, sondern der Inhalte: Wie wird Leistung vermittelt, wie wird Leistung gemessen, wie werden die Schwachen gefördert und die Starken gefordert? All diese Fragen gehören zur Politikgestaltung und haben häufig mit Geld nichts zu tun.
Das gilt auch für den Bereich innere Sicherheit, also für die Justiz und das Innenressort. Wir müssen genauso sparen wie alle anderen, dazu bekenne ich mich auch. Aber wir können trotzdem eine vernünftige Sicherheitspolitik machen, wenn wir die richtigen Gesetze habe und die Möglichkeit, sie umzusetzen - und das haben wir.
Sie sind vor einigen Wochen mit dem Mittelstandspreis ausgezeichnet worden, auch wegen Ihrer Verdienste um die Zusammenführung von Bundeswehr und NVA nach der Wiedervereinigung. Wenn man sich das in Erinnerung ruft, zwei Armeen, die sich jahrzehntelang bis an die Zähne bewaffnet feindlich gegenübergestanden haben und die dann so schnell und so vorbildlich zusammengewachsen sind, wie das in vielen zivilen Bereichen zum Teil bis heute noch nicht geschehen ist. Wie kann man sich das eigentlich erklären?
Schönbohm: Ich habe in meiner Rede aus Anlaß der Übernahme der Nationalen Volksarmee gesagt: "Wir kommen als Deutsche zu Deutschen und nicht als Sieger zu Besiegten. Zum zweiten, wir müssen die Zukunft gemeinsam gestalten in Kenntnis der Vergangenheit, auch der unterschiedlichen Vergangenheit. Und da, wo Sie, die Soldaten der Nationalen Volksarmee, gefehlt haben, müssen sie das selber mit sich und Ihrer Familie ausmachen, oder es ist Sache der Gerichte; ich bin nicht Ihr Richter." Und ich habe den Soldaten gesagt: "Was ich Ihnen sage, darauf können Sie sich verlassen, das mache ich auch. Ich sage Ihnen die Wahrheit. Dazu stehe ich auch."
Ich glaube, entscheidend war, daß wir alle, die wir diese Aufgabe übernommen haben, Vertrauen gewonnen haben, weil wir mit großem Ernst da herangegangen sind. Wir haben den NVA-Soldaten erklärt, warum wir nicht alle übernehmen konnten, wir haben ihnen geholfen, zum Beispiel bei der Berufsausbildung. Ich persönlich war sehr viel unterwegs, um vor Ort zu erörtern, was wir machen wollten, und so ist dieses Vertrauen entstanden.
Haben Sie eigentlich Erfahrungen, wie Soldaten der früheren NVA reagiert haben, wenn sie auf einmal konfrontiert wurden mit Dingen wie zum Beispiel der Reemtsma-Ausstellung oder diesem "Soldaten-sind-Mörder-Urteil" des Bundesverfassungsgerichts?
Schönbohm: Das stand nicht im Mittelpunkt damals, das ist ja erst später gekommen. Das wichtigste für mich war, daß die Soldaten die Grundlagen der inneren Führung anerkennen, alles, was damit zusammenhängt. Das Thema "Soldaten sind Mörder", das verstehen die Ehemaligen der NVA genausowenig wie die Soldaten der Bundeswehr, das versteht keiner.
Um noch einmal den Beginn unseres Gesprächs aufzugreifen: Sie gelten als betont wertkonservativer und patriotisch denkender Politiker, was heute ja leider mehr und mehr zur Seltenheit wird in diesem Lande. Wie läßt es sich bei einer solchen Positionierung eigentlich mit einem Koalitionspartner zusammenarbeiten, der weltanschaulich ganz woanders steht?
Schönbohm: Für mich ist der entscheidende Punkt die gemeinsame Auffassung, was wir für Brandenburg verändern müssen. Ich bin in die Politik gegangen, weil ich die Einheit vollenden möchte, mit dem Wertesystem und den Grundpositionen, die in einer Demokratie - in unserer Demokratie - dazugehören. Und dazu muß auch die Wirtschaft wieder funktionieren. Ich glaube, da gibt es in vielen Bereichen mit der SPD große Übereinstimmung.
In anderen Bereichen nicht. Ich erinnere nur an die Zuwanderungsfrage mit dem Eklat im Bundesrat. Dann gibt es zum Beispiel in der Schulausbildung unterschiedliche Auffassungen, ebenso in der Frage der Gewichtung des Haushalts zwischen den einzelnen Ressorts. Da kommen wir zu Kompromissen.
Könnten Sie sich denn vorstellen, daß eine große Koalition wie hier in Brandenburg für eine befristete Zeit auch auf Bundesebene eine gute Lösung wäre?
Schönbohm: Nein, das kann ich mir deswegen nicht vorstellen, weil die Voraussetzungen anders sind. Denken Sie daran, mit welcher Intensität der Bundeskanzler Rot-Grün propagiert hat, um die Macht zu erkämpfen, wie er den Wahlkampf geführt hat, etwa mit der Instrumentalisierung des Irak-Krieges. Und nachdem der Bundeskanzler und Herr Fischer erklärt haben, sie wollten 2006 gemeinsam wieder antreten, ist die Frage beantwortet. |
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