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Rassentypologie und Rassensystematik beruhen überwiegend auf Form- und Farbmerkmalen, die augenfällig, leicht und genau bestimmbar und relativ umweltstabil sind. Schon die ältere Rassenkunde beachtete daneben aber gelegentlich auch physiologische und psychologische Rassenunterschiede, allerdings meist sehr vage und spekulativ oder nur auf dem Umweg über Klimabeziehungen (Kant: Rassen feuchter und trokkener Kälte, feuchter und trockener Hitze). Die Hauptschwierigkeit liegt für die meisten physiologischen Merkmale im Nachweis der Erblichkeit, der die Voraussetzung für die Frage nach Rassenunterschieden ist, und in der Ausschaltung der zahlreichen modifizierenden Faktoren (Ernährung und Ermüdung, Gesundheitszustand, Art der Beschäftigung, Tages- und Jahreszeit, Klima u. a.) bei Reihenuntersuchungen.
Weitaus das meiste Material liegt über s e r o l o g i s c lz e Merk-in a l e vor. Es handelt sich dabei allerdings nicht eigentlich um physiologische (Funktions-) Merkmale, sondern um Strukturmerkmale der Eiweißkörper des Blutes, die mit physiologischen Methoden nachgewiesen werden. Die betreffenden Merkmale sind streng erblich (Humangenetik), sicher und zum Teil leicht bestimmbar und zeigen erhebliche regionale Häufigkeiten; sie stellen also gute Rassenmerkmale dar (Rassenbegriff).
ABO-SYSTEM. Die höchsten Anteile des Blutgruppengens A liegen einerseits bei den australischen Eingeborenen, andererseits bei Indianerstämmen Nordwestamerikas; von dem letzten Genzentrum fallen die Häufigkeiten sehr rasch nach Osten und vor allem nach Süden hin ab: Mittel- und Südamerika ist das Gebiet niedrigster A-Häufigkeiten (unter 5 v. H.). Die Alte Welt ordnet sich zwischen den Extremwerten ein. In Europa liegt ein Maximum im lappischen Nordskandinavien, Minima liegen bei den Basken, im äußersten Nordwesten (Island, Irland, Schottland) und Teilen des Mittelmeerraumes (Sizilien, Sardinien, Griechenland). Das Blutgruppengen B zeigt das größte Häufungsgebiet in Ost- und Zentralasien einschließlich Hinterindien und einem Teil des malaiischen Archipels sowie dem malaiisch besiedelten Osten Madagaskars. Von dem asiatischen Zentrum aus fallen die Häufigkeiten nach allen Seiten ab; ganz Amerika sowie Australien und Polynesien zeigen so niedrige Werte, daß ursprünglich völliges Fehlen von B angenommen wird. Europa zeigt ein ost-westliches Gefälle, besonders niedrige Werte jedoch nicht nur an der Westküste der iberischen Halbinsel, sondern auch zu beiden Seiten der Pyrenäen (Basken) und bei den skandinavischen Lappen. Im negriden Afrika liegen im ganzen die Werte höher als im europiden Nordafrika. Besonders hohe Häufigkeiten des Blutgruppengens 0 finden sich bei den Indianern beider Amerika und auch bei indianischen Mumien Nord- und Südamerikas (Peru, Basket-makers und Pueblo von Arizona und Neumexiko). In Europa fallen Häufungen im Nordwesten (Island, Irland, Schottland), im Baskengebiet, aber auch in Teilen des Mittelmeerraumes auf (vor allem Sardinien) ; auch bei ägyptischen Mumien überwiegt bei weitem 0 (über 75 v. H.).
MN-SYSTEM. Weitaus die höchsten Häufigkeiten des M-Gens (90-95• v. H.) finden sich in Mittelamerika und den anschließenden Teilen Süd- und Nordamerikas; fast das ganze übrige Amerika einschließlich Grönland hat höhere Häufigkeiten als die übrige Welt. Das M-Minimum liegt in Australien und Melanesien (unter 3o v. H.). In Eurasien-Afrika umfaßt eine Zone relativ hoher Werte (65-70 v. H.) Osteuropa, West- und Südasien einschließlich Arabien und Indien, Hinterindien mit malaiischem Archipel und Nordostafrika.
RH-SYSTEM. Das C-Gen ist am häufigsten in Teilen Ozeaniens (Neuguinea, Philippinen über 90 v. H.), es schließen sich Werte zwischen 7o und 90 v. H. in Australien, dem Malaiischen Archipel, Ost- und Südostasien an. Am C-ärmsten ist das negride Afrika. In Europa liegt das Maximum im skandinavischen Lappengebiet und schiebt sich eine Zunge relativ hoher Werte von Osten her in das Mittelmeergebiet vor. Das E-Gen scheidet wieder beide Amerika mit hohen Häufigkeiten (durchweg über 20, zum Teil bis über 5o v. H.) von der übrigen Welt. Der größte Teil von Afrika, Arabien und Indien weist niedrige Werte (unter 10 v. H.) auf. In Europa nimmt im ganzen die Häufigkeit von Süden nach Norden zu. Das D-Gen zeigt in Europa Höchstwerte (über 75 v. H.) in Nordskandinavien und ein weiteres Maximum im östlichen Mittelmeerraum (Griechenland, Türkei, Süditalien, Sardinien), während Nordwest- und der größte Teil von Nordeuropa D-arm sind (unter 6o v. H.) und im Baskengebiet ein Minimum liegt.
SONSTIGE BLUTGRUPPEN. Bei weiteren Blutgruppen sind bereits große regionale Häufigkeitsunterschiede nach Stichprobenuntersuchungen bekannt, liegen jedoch noch keine globalen Obersichten vor. So fehlt das L u t h e r a n -Gen Lua völlig in Südindien, bei australischen Eingeborenen, Buschmännern und malaiischen Negrito (Semang); sonst variieren die Gen-Häufigkeiten überwiegend zwischen 2 und 5 v. H. Das K e i i- G e n K wurde bisher nicht bei Chinesen, Malaien, Eskimo und einigen nordamerikanischen Indianerstämmen festgestellt, es ist auch selten (um 1 v. H.) bei den Negriden, von denen sich die Buschmänner mit dem relativ hohen Wert von über 5 v. H. deutlich absetzen. Die Lewis-Gruppe Le (a +) ist selten bis zu o v. H. bei amerikanischen Indianern und in Südostasien; in Europa schwanken die Werte dagegen von 18 bis 25 v. H. Das Du f f y -Gen Fya ist selten (um 10 v. H.) bei Negriden und Buschmännern, sehr hohe Werte (his 90 v. H.) sind aus Süd-und Ostasien (Indien, China, Japan), von den Lappen und zahlreichen Indianerstämmen bekannt. Europa zeigt überwiegend Werte um 4o v. H. Das Kidd-Gen Jka ist häufig unter Negriden (über 70 v. H.), selten bei Chinesen (31 v. H.); europäische Gruppen nehmen eine Mittelstellung ein.
Die geographischen Verteilungsbilder für die verschiedenen Blutgruppen decken sich nicht und überschneiden sich auch vielfach mit morphologisch-typologischen Rassengrenzen. Es sind jedoch einige Bevölkerungen bzw. Gebiete durch besondere Blutmerkmalskombinationen gekennzeichnet. So zeigen die Eingeborenen Australiens sehr niedrige Anteile von B und M, extrem hohe von C; die Basken extrem niedrige Werte von D in Verbindung mit B-Häufigkeiten unter und 0-Häufigkeiten über den Nachbargebieten; alle Indianer auffallend wenig B sowie extreme Werte von M und E. Sie unterscheiden sich damit erheblich von Ost- und Nordasien (sehr hohe B-, niedrige M-Werte), von wo sie nach Amerika eingewandert sein sollen. Die Rassenserologie stellt damit Rassengenetik und Rassengeschichte vor neue Probleme, die sowohl die Verwandtschaftsbeziehungen der Rassen wie die Entstehung und Ausbreitung der Blutmerkmale betreffen. Es wurden auch bereits Rassenklassifikationen allein auf Grund serologischer Merkmale versucht (0 t t e n s t e i n, Wiener, Boyd), die zu einer ähnlichen Großgliederung wie die morphologisch-typologische Rassenkunde kamen (Boyd: i. hypothetische alteuropäische, 2. europäische, 3. afrikanische = negride, 4. asiatische = mongolide, 5. amerikanische, 6. australoide Gruppe), bei dem Versuch einer Untergliederung durch weitere serologische Merkmale jedoch noch zu keinem sinnvollen System gelangen konnten.
BLUTKRANKHEITEN. Auch eine Reihe pathologischer erblicher Blutmerkmale zeigen große regional-rassische Häufigkeitsunterschiede. Am eingehendsten wurde die S i c h e i z e i i e n a n ä m i e untersucht (N e e l u. a.), eine rezessive, meist tödlich verlaufende Blutkrankheit; die Heterozygoten weisen gleichfalls die kennzeichnende Verformung der roten Blutkörperchen (Schrumpfung zu schmalen Sichelformen, vor allem in sauerstoffarmem Medium), nicht aber die schwere Anämie auf. Das Sichelzellengen wurde in Amerika fast ausschließlich bei Negriden, und zwar in einer Häufigkeit von durchschnittlich 9 v. H. gefunden, während es bei Weißen so gut wie fehlt; bei afrikanischen Negriden schwankt die Häufigkeit von o v. H. (Dinka, Schilluk u. a.) bis über 40 v. H. (Amba und andere bantusprechende Stämme in Uganda u. a.), das Gen fehlt aber wiederum so gut wie völlig bei weißen Bevölkerungen Afrikas und auch bei Buschmännern und Pygmiden. Ein weiteres Genzentrum wurde in Südindien festgestellt, wo der Anteil der Heterozygoten bei einigen Stämmen (Paniyan, Irula) auf über 3o v. H. steigt. Es handelt sich also nicht, wie man früher angenommen hatte, um ein ausschließlich negrides Merkmal. Kleine Herde und Einzelfälle (vor allem Griechenland und Sizilien) wurden auch in den Mittelmeerländern beobachtet.
Die stark schwankende Häufigkeit des Sichelzellengens bei den afrikanischen Negriden hängt mit der Verbreitung der Malaria zusammen (A l l i s o n) : das Sichelzellengen stellt einen Malariaschutz dar, was auch experimentell bestätigt werden konnte. In Gebieten mit endemischer Malaria ist daher der Anteil der Heterozygoten in der Regel hoch, dagegen niedriger in den malariafreien Gebieten. Auch die geringere Häufigkeit des Gens bei den amerikanischen Negriden kann daraus erklärt werden: bei der Verpflanzung in die von endemischer Malaria freie Neue Welt fiel der. Selektionsvorteil der heterozygoten Genträger fort, so daß ihr Anteil zugunsten der nichtbehafteten (dominanthomozygoten) Individuen sank.
Die T h a i a s s ä m i e (Cooleysche Anämie) tritt vor allem in den Mittelmeerländern und in den USA bei italienischen Einwanderern auf. Die Heterozygoten zeigen eine sehr viel leichtere Krankheitsform als die Homozygoten. In Italien variieren die Häufigkeiten von o bis 10,3 v. H.; die größten Häufigkeiten der Heterozygoten liegen im Raum Rovigo-Ferrara-Ravenna, auch Sizilien, Sardinien und Südkalabrien (Lecce, Reggio Calabria) stehen über dem Durchschnitt (S i l v e s t r o n i, B i a n c o und M o n t a l e n t i). Während also im ganzen eine gewisse Beziehung zur mediterranen Rasse anzunehmen ist, haben die lokalen Häufigkeitsschwankungen offenbar nichts mit morphologisch-typologischen Rassenunterschieden zu tun.
PTC-SCHMECKFÄHIGKEIT. Nächst den serologischen Merkmalen liegen die meisten vergleichbaren Bevölkerungsuntersuchungen über Schmeckfähigkeiten, insbesondere über die Fähigkeit, Phenylthiocarbamid (PTC) bitter zu schmecken, vor. Das Merkmal ist jedoch nicht so sicher zu bestimmen wie die Blutgruppen; es kann einmal nicht objektiv, sondern nur durch Aussage oder Verhalten der Versuchspersonen bestimmt werden; zum anderen wird die Schmeckfähigkeit modifiziert durch vorher eingenommene Speisen und Genußmittel, auch durch den Gesundheitsund Ernährungszustand, ja sogar durch Stimmung und Erregungslage (Kalmus u. a.).
Bei der Prüfung mit wäßrigen Lösungen verschiedener Konzentration überschneiden sich denn auch die Variationsbereiche von Schmeckern und Nichtschmeckern; es bestehen auch Geschlechtsunterschiede, und zwar wurden in der Regel bei Frauen etwas mehr Schmecker gefunden, was mit dem geringeren Konsum an Tabak, Alkohol und anderen Reiz- und Genußmitteln zusammenhängen dürfte. Immerhin bleibt nur bei etwa 5 v. H. der Prüflinge eine Zuordnung unsicher; der Bestimmungsfehler ist damit erheblich kleiner als die festgestellten Bevölkerungsunterschiede.
Die höchsten Anteile von Schmeckern treten bei einigen Indianerstämmen auf; auch bei Chinesen, Japanern und Negern liegen die Anteile höher als bei Europiden, wo sie zwischen 58 und 75 v. H. variieren. Bei chemisch verwandten Stoffen wie dem Conteben ergeben sich sehr ähnliche Unterschiede der Schmeckfähigkeit (E h r h a r d t).
ANDERE PHYSIOLOGISCHE RASSENMERKMALE. Für zahlreiche andere
physiologische Merkmale wurde durch Zwillings- und Familienuntersuchungen Erblichkeit nachgewiesen, jedoch war eine Genanalyse nicht möglich. Da die meisten dieser Merkmale ferner stärker umweltvariabel sind als serologische Merkmale oder Schmeckfähigkeiten, ist es schwierig, in der geographisch-ethnischen Variabilität die Rassenkomponente von Populationsmodifikationen (_ Konstitution) zu trennen. Es liegen daher nur relativ wenig sichere Daten vor. Der sog. Kassengeruch hängt von der Zahl der Schweiß- und Talgdrüsen und der chemischen Zusammensetzung des Sekrets ab. Die Japaner, die in der Achselhöhle weniger und kleinere Schweißdrüsen aufweisen, beschreiben den Geruch der Europäer als stechend und ranzig, bald süßlich, bald bitter (A d a c h i); Neger sondern unter gleichen Bedingungen mehr und fettreicheren Schweiß ab als Weiße, was einen Teil der dem tropischen Klima angepaßten W ä r in e -r e g u l a t i o n darstellt. Rassenunterschiede des Grundumsatzes sind am besten für die Maya gesichert, die im Gegensatz zu den meisten anderen Naturvölkern auffällig hohe Werte, verbunden mit auffällig niedrigen Pulsfrequenzen, aufweisen (B e n e d i c t u. a.). Araber und Amerikaner zeigen gleiche Durchschnittswerte in den mittleren Altersklassen, aber einen verschiedenen Altersablauf, nämlich eine stärkere Altersvariabilität bei den Arabern (G e n n a). Auch bei vielen anderen S t o f f w e c h s e l v o r g ä n g e n dürften regional variierende Erbfaktoren beteiligt sein. So scheiden unter gleichen Bedingungen Eskimo nach mehrtägigem Hunger weniger Azetonkörper durch die Nieren aus als Weiße, sind also besser in der Lage, im Notfall die Fettreserven des eigenen Körpers zu verbrennen.
Die Biochemie hat eben erst begonnen, nach Rassenunterschieden zu fragen. Unter anderem ist der Pottaschegehalt des Plasmas sowohl in Paris wie in Dakar bei Weißen niedriger als bei Negern (L e s c h i). Wesentliche Aufschlüsse dürften in Zukunft vor allem von der Biochemie der H o r m o ne zu erwarten sein. Bisher sind nur Rassenunterschiede im absoluten und relativen Gewicht der endokrinen Drüsen bekannt; unter anderem ist die Schilddrüse relativ, d. h. bezogen auf das Körpergewicht, bei Malaien und anderen Mongoliden kleiner als bei Europiden. Da mindestens die Rassenunterschiede des Körperbaus (Konstitution), wahrscheinlich aber auch viele andere morphologische Merkmale auf Unterschieden des Hormonhaushaltes beruhen dürften (v. E i c lc s t e d t, K e i t h), das Hormonsystem andererseits mit der physiologischen Umwelt (Klima, Boden, Ernährung) in Beziehung steht, könnten von dieser Seite wohl tiefere Einblicke in die selektiven Prozesse der Rassenbildung gewonnen werden, als dies bei Berücksichtigung der morphologischen Merkmale allein möglich ist. |
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