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Während die Bevölkerung je nach Umfrage mit Zweidrittel- bis Dreiviertel-mehrheit eine EU-Aufnahme der Türkei ablehnt, kann keine der vier Parlamentsparteien mit einer einheitlichen Position aufwarten. Viele Politiker verschanzen sich dahinter, die Türkei sei "noch nicht europareif" - was bloß auf eine Vertagung der Entscheidung hinausläuft. Und nur wenige beziehen klar Stellung, wobei die Begründungen für Zustimmung oder Ablehnung auch eher opportunistisch wirken und nur ausnahmsweise eine Weltanschauung erkennen lassen.
Bundeskanzler Wolfgang Schüssel war bisher einer "Noch-nicht-wirklich-Fraktion" zuzurechnen. Die jüngste Aussage des "großen Schweigers" lautet, der Bericht der Kommission müsse abgewartet werden, und die Verhandlungen sollten ohne vorherige Festlegung geführt werden. Was bedeutet, daß die Aufnahme von Verhandlungen gar nicht mehr zur Debatte steht! Durchaus irritiert war Schüssel jedoch über die "seltsame Inszenierung" von Erweiterungskommissar Verheugen, und in der Tat war es ein unwürdiges Spektakel, als nach dem Scheingeplänkel über "Ehebruch" Prodi und Verheugen den als Sieger posierenden Ministerpräsidenten Erdogan umschwärmten.
Die FPÖ-Führung hat sich zwar darauf festgelegt, einen Vollbeitritt der Türkei abzulehnen - doch "Koalitionsfrage" sei das keine. Das heißt in Klartext, der Bundeskanzler kann das ihm verfassungsgemäß zustehende Verhandlungsmandat auch entgegen der FPÖ-Position ausüben, ohne daheim seinen Sessel zu riskieren. Und Jörg Haider ist bekanntlich ohnehin für die Aufnahme der Türkei, sehr zum Ärger des "nationalen Lagers" in der FPÖ.
SPÖ-Chef Gusenbauer bemüht sich, eine Tendenz zum Nein zu zeigen, nur wird er ohnehin nicht unter internationalem Verhandlungsdruck stehen müssen. Ein eindeutiges Nein, noch dazu "im Namen der Partei", kommt von Josef Cap, dem SPÖ-Fraktionsführer im Parlament: Die Türkei solle von der politischen Union ausgeschlossen bleiben - bei gleichzeitig enger wirtschaftlicher Zusammenarbeit. (Was sich mit der FPÖ-Position deckt.) Der bisherige zweite Mann der SPÖ, der nunmehrige Bundespräsident Heinz Fischer, der seine Mitgliedschaft nur "ruhend gestellt" hat, gilt hingegen als Türkei-Befürworter.
Eindeutig für die Aufnahme ist der eigentliche starke Mann der SPÖ, der Wiener Bürgermeister Häupl. Dahinter steckt das "Erschließen" neuen Wählerpotentials durch beschleunigte Einbürgerungen. (An den angeblich für Inländer reservierten gemeindeeigenen Wohnhäusern fallen jetzt schon die vielen auf Turksat gerichteten Satellitenschüsseln auf.) Auch die Wiener Grünen-Chefin, selbst aus Griechenland eingewandert, tritt vehement für die Türkei ein, während andere Grüne mit Menschenrechts-Blabla Rückzugskosmetik betreiben.
Klare Nein-Positionen zeigen die EU-Parlamentarier mit Ausnahme der SPÖ. Für ÖVP-Fraktionsführerin Stenzel steht das christliche Abendland im Vordergrund. Beim FPÖ-Mann Mölzer gilt dasselbe und dazu kommt noch die Heimattreue - Mölzer ist Kärntner und eng mit dem Kärntner Heimatdienst verbunden. Überraschend deutlich auch der Grüne Voggenhuber: Die Türkei sei nicht Europa. Und wenn man die Türkei aufnehme, könne man dann auch anderen die Mitgliedschaft nicht verwehren - "von Rußland bis Marokko". (Israel wagte er nicht zu nennen.)
Europaweit sollte man sich jetzt verstärkt fragen, warum Politiker gegen den Willen der Wähler zum Schaden Europas und - zumindest in Deutschland und Österreich - auch zum Schaden des eigenen Landes unterwegs sind: Wer hat da etwas zu verbergen und ist daher erpreßbar? Wer wird bestochen? Denn bloße Dummheit wird man doch keinem unterstellen wollen, oder? Prof. Dr. Küssner
Teurer Handschlag: Der Beitrittsmarathon geht in die nächste Runde - welche Gedanken die Protagonisten einer Türkeivollmitgliedschaft wirklich lenken, offenbarte am 24. September EU-Erweiterungskommissar Günther Verheugen, wenn auch unfreiwillig. Er sei "sehr glücklich", so der SPD-Politiker, daß die Türkei "nicht systematisch foltert", und verband die anerkennend gemeinte Äußerung mit der Empfehlung, jetzt Beitrittsverhandlungen aufzunehmen. Ein "schlimmer Ausrutscher", kommentierte die CDU-Opposition umgehend, sei doch Folter generell nicht mit den Prinzipien der Europäischen Union vereinbar - wer zwischen systematisch und unsystematisch unterscheide, mache nicht einmal mehr den Versuch, seine Parteilichkeit zugunsten einer Türkeimitgliedschaft zu verhehlen, so der CDU Europaparlamentarier und Menschenrechtsexperte Armin Laschet. Derweil ringt seine Partei mit der Türkeifrage. Während die Parteispitze eher ablehnend bleibt, schießt Volker Rühe nach wie vor quer, will den für den 6. Oktober erwarteten EU-Kommissionsbericht zum Beitritt "akzeptieren". Doch die Kritik am Verheugen-Kurs wächst, auch in SPD-Kreisen, denn der Preis wäre hoch, eine "privilegierte Partnerschaft" womöglich selbst für die Türkei besser. SV |
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