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Nein, ernsthaft gefährdet sei sie nicht gewesen, doch einmal sei es fast schlimm ausgegangen, seitdem brenne sie die Nesselstoffe nur noch im Garten. Anneliese Konrat-Stalschus schmunzelt ein wenig, als sie an das Mißgeschick denkt - es ist ja noch mal gutgegangen. Seit 1985 beschäftigt sich die Künstlerin mit Collagen aus gebranntem Nessel. Damals sollte sie für die Dominikanerkirche in Osnabrück ein Raumobjekt fertigen. Es entstand aus drei Ballen Stoff (etwa 200 Meter) eine begehbare Höhle. „Ich stellte fest, daß es mir Spaß macht, mit Feuer zu experiment ieren. Man hat es nicht in der Hand, was geschieht. Das Feuer macht, was es will.“ So entstanden im Laufe der Jahre wunderschöne Arbeiten, die durch die Magie des Feuers und seiner Spuren bestechen.
Meist sind es Collagen, in denen angebrannter Nesselstoff zu Landschaften, aber auch zu runenähnlicher Schrift gefügt wurde. „Verbrannte Erde“, „Feuervogel“ (ein Triptychon, dessen Mittelteil aus Naturmaterialien wie Tannenzweigen mit Bitumen gefertigt wurde) sind die Titel der flächigen Arbeiten. Doch auch Raumobjekte wie „Kaskade“ oder „We shall overcome“, entstanden aus dem Erlebnis des Golfkrieges mit all seinen Schrecken, hat Anneliese Konrat-Stalschus geschaffen. Dieses Objekt umfaßt ursprünglich 30 Hemden aus Nesselstoff - auf unheimliche Art erinnern sie an Leichenhemden, deren Ränder Brandspuren aufweisen und deren ausgebreitete Arme an ein Kreuzigungsmotiv gemahnen. Am Halsausschnitt hat die Künstlerin Embleme, eine Kette, bunte Federn befestigt, die an die einst heile Welt erinnern sollen, damals, als der Krieg noch nicht war. Drei dieser Hemden sind nun im Rahmen einer Ausstellung zu sehen, die der Museumsverein Stade im Schwedenspeicher-Museum, Wasser West, noch bis zum 23. September zeigt (dienstags bis freitags 10 bis 17 Uhr, am Wochenende 10 bis 18 Uhr). Anlaß der Ausstellung, die zum Treffen der Kreisgemeinschaft Goldap in der Patenstadt Stade eröffnet wurde, ist der 75. Geburtstag der Künstlerin, deren Wiege in der kleinen ostdeutschen Kreisstadt stand.
Die Retrospektive zeigt Arbeiten der Goldaperin aus zwanzig Jahren und macht einmal mehr deutlich, wie vielseitig das Schaffen der Künstlerin ist. Angefangen hatte alles mit farbigen Gobelinwebereien. Seide, Wolle, merzerisierte Baumwolle verarbeitete sie zu zauberhaften Landschaften - Mohnfelder, Rapsfelder, aber auch Strömungen im Wasser setzte sie in dieser Technik um. Faszinierend die Farbigkeit einer solchen Webarbeit. Besonders deutlich wird sie in der Stader Ausstellung durch die Gegenüberstellung des Motivs „Spiegelung“, das Anneliese Konrat-Stalschus zunächst für einen Glaskünstler entwarf, später dann in Gobelintechnik nacharbeitete. Wieviel mehr Farbtöne kann eine geschickte Weberin den Woll- und Seidenfäden entlocken, als das auch noch so geschickt beleuchtete farbige Glas sie hervorbringt.
Immer wieder ist Anneliese Konrat-Stalschus dabei, Neuland für sich zu entdecken. Außer der Gobelinweberei und dem Brennen von Nesselstoff haben es ihr auch andere, in der Textilkunst nicht gerade übliche Werkstoffe angetan: Kunststoff-Fäden werden kunstvoll miteinander verwoben, hüllen kleine Garnrollen ein, Büroklammern oder Sicherheitsnadeln geben anderen Objekten den gewissen „Pfiff“. Aufsehen erregen auch zwei Kleider, die aus Negativfilmstreifen und aus Dia-Streifen bestehen: Das Kleid der Diva mit dem Filmband in Silber/ in Gold. Ganz neu sind Collagen, in denen ganz dicht nebeneinander geklebte Fäden die Illusion einer Webarbeit erwecken. Glasperlen oder auch Knöpfe werden kühn „umgangen“, so daß der Eindruck einer kräftigen Strömung entsteht, so denn auch die Titel der neuesten Arbeiten. „Mir kam es bei dieser Ausstellung darauf an“, so Anneliese Konrat-Stalschus, „einmal die heile Natur zu zeigen, aber auch die Zerstörung der Natur.“ Auf welch einfühlsame Art ihr dies gelungen ist, davon kann sich der Besucher der Ausstellung überzeugen. Peter van Lohuizen
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