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Es war eine verbotene Liebe, doch Berit Degnäs und ihr Kollege Richardt können nicht mehr ohne einander, und so trennen sie sich gegen jede Vernunft von ihren jeweiligen Ehepartnern und ihren halbwüchsigen Kindern und ziehen nach über einem halben Jahr nervenaufreibender Trennungsversuche zusammen. Beide bauen sich einen gemeinsamen Bekanntenkreis auf, einige ihrer Kinder ziehen sogar zu ihnen und das neue Leben der beiden über 40jährigen kann beginnen.
Doch das Glück währt nicht lange. Richardt wird merkwürdig vergeßlich, der ehemals Redegewandte braucht manchmal mehrere Augenblicke, um die richtigen Worte zu finden. Gerade Anfang 50 scheint Richardt zerstreut zu werden wie ein Senior. Auch mehrere Arztbesuche bringen keine Erklärung für das Phänomen, und Berit und ihr Lebensgefährte sind sogar fast enttäuscht, als die Diagnose Gehirn tumor ausbleibt, denn so schlimm dies auch gewesen wäre, es gäbe eine Erklärung und Möglichkeiten dagegen anzugehen. "Als ich Richardt das erste Mal im Bad vor dem Spiegel gesehen hatte, mit dem Rasierapparat in der Hand und vollgeschmiert mit Zahnpasta, hatten wir beide darüber gelacht. Jetzt konnte ich nicht mehr lachen, geblieben waren Tränen und Schmerz." Immer öfter bringt Richardt sie auch in der Öffentlichkeit in Verlegenheit, indem er beispielsweise mit herruntergelassener Hose von der Herrentoilette kommt, da er nicht mehr weiß, wie man die Hose schließt.
Als Richardt nicht mehr arbeiten kann, ist es für beide erst eine Erleichterung, doch die währt nicht lange, da der erwachsene Mann bald nicht mehr ohne Aufsicht alleine zu Hause sein kann. Erst als die Diagnose Alzheimer lautet, findet Berit Degnäs endlich Personen, die sie in der Pflege ihres eigentlich noch jungen Partners unterstützen.
"Ein Jahr wie tausend Tage - Ein Leben mit Alzheimer" heißt das Buch, in dem die Norwegerin ihre Erfahrungen mit der Krankheit und den Problemen im norwegischen Gesundheitssystem schildert. Nachvollziehbar führt sie an, wie sie, Richardt, die Kinder, Verwandtschaft und Bekannte auf die für das Alter ungewöhnliche Krankheit reagieren. Sie selbst kann es nicht verwinden, daß sie ihren Liebsten Stück für Stück verliert, doch so lieben wie einen Liebsten kann sie ihn auch nicht mehr. Als Richardt einen seiner lichten Momente hat, will er mit ihr schlafen, doch die Autorin verweigert sich ihm, da er inzwischen für sie eher wie ein pflegebedürftiges Kind denn wie ihr Mann ist - eine Entscheidung, die sie noch heute mit Schuldgefühlen erfüllt.
Als Berit Degnäs ihren Mann ins Heim geben muß, da sie alleine mit der Pflege überfordert ist, leidet sie mit ihm. "Die Angst dominierte. Richardt hatte auch zu Hause sehr darunter gelitten, aber ich hatte es immer geschafft, ihm die Angst zu nehmen ... Jetzt erlebte ich, daß er sich von mir abwandte, daß er mich als Bedrohung ansah." Nun rennt er mit einer 80jährigen Heimbewohnerin, die ihn als ihren Mann ansieht, Hand in Hand über die Heimflure.
"Hilf mir zu sterben", bat Richardt sie, doch Berit Degnäs kann nicht. "Inmitten der Hochzeitsvorbereitungen für meine Tochter kämpfte Richardt seinen letzten Kampf. Zum Verlieren verurteilt. Ich war Mutter und Gastgeberin, ich war Lebensgefährtin und Trauernde ... Mit der rechten Hand schrieb ich Tischkarten, mit der linken Hand versuchte ich, Richardt Kraft zu geben auf seinem letzten Weg."
Am Ende dieses sehr lesenwerten und trotz allem mutmachenden Erfahrungsberichtes sind übrigens zahlreiche Literaturhinweise und Institutionen genannt, die einem in ähnlicher Lage helfen können.
Berit Degnäs: "Ein Jahr wie tausend Tage - Ein Leben mit Alzheimer", Walter, Düsseldorf 2006, broschiert, 170 Seiten, 14 |
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