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Tschechien: Nacht überm Hradschin

 
     
 
Das Ende der Amtszeit von Präsident Václav Havel Anfang nächsten Jahres wirft seine Schatten voraus. Zwar ist noch unklar, wer genau sich um die Nachfolge bewirbt, doch ein namhafter und heftig umstrittener Kandidat hat bereits seinen Hut in den Ring geworfen: Václav Klaus.

Nachdem die von Klaus 1991 gegründete rechtsliberale Demokratische Bürgerpartei (ODS) aus den tschechisch
en Wahlen im Juni als großer Verlierer hervorgegangen war, zog der einstige CSFR-Finanzminister und spätere tschechische Ministerpräsident sowie Parlamentspräsident nun die Konsequenzen.

Am 10. Oktober kündigte er an, auf einem ODS-Sonderparteitag im Dezember nicht wieder für die Parteispitze zur Verfügung zu stehen. Statt dessen wolle er sich um das Amt des Staatsoberhaupts bewerben. Dabei dürfte der unter anderem durch polemische EU-Kritik und Deutschfeindlichkeit in die Schlagzeilen gekommene Intimfeind Havels nur Außenseiterchancen haben.

Schließlich wird der Präsident im Januar von den beiden Kammern des Parlaments gewählt, - und dort ist die politische Linke tonangebend, allen voran die Sozialdemokraten (30,2 Prozent) und die Kommunistische Partei (18,5 Prozent) als stärkste bzw. drittstärkste Kraft. Klaus selbst erklärte mehrfach, daß er sich nur im Falle einer Direktwahl gute Chancen ausrechne. Doch damit wird es nichts werden. Zwar beantragte eine Gruppe von zehn Mandatsträgern der regierenden Mitte-Links-Koalition am 15. Oktober in der Abgeordnetenkammer eine entsprechende Verfassungsänderung, die auch Aussichten auf die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit hat.

Doch wird es bis zur eventuellen Festlegung auf eine Direktwahl mehr Zeit brauchen, als bis zum Abtritt Havels noch verbleibt. So dürfte der Favorit aus den Reihen der Sozialdemokraten (CSSD) kommen. Auf der Mitte Oktober gebilligten vorläufigen Kandidatenliste der CSSD tauchen der ehemalige Justizminister Jaroslav Bures, der Ombudsmann Otokar Motejl, der Soziologe Martin Potucek und nicht zuletzt der abgelöste Regierungschef Milos Zeman auf. Dieser will nach Angaben der Zeitung Pravo gegebenenfalls nicht in der ersten Abstimmungsrunde zur Präsidentenkür antreten, sondern erst in einem - als wahrscheinlich geltenden - zweiten Durchgang.

Die Vorstellung, der redliche und sich trotz Krankheit aufreibende Havel könnte durch den machtversessenen Klaus oder den ebenfalls deutschfeindlichen und obendrein farblosen Zeman ersetzt werden, ist haarsträubend. Gleiches gilt natürlich für den kommunistischen Bewerber Miroslav Krizenecky. Durchaus erfreulich wäre es dagegen, wenn der christdemokratische Senatspräsident Petr Pithart das Rennen machen würde.

Dessen Lebensweg vom Juristen zum von den Kommunisten zu Hilfsarbeiten herabgewürdigten Dissidenten (Pithart zählte zu den Unterzeichnern der "Charta 77") und schließlich zum Staatsmann der Nach-Wende-Ära weist deutliche Parallelen zum Schicksal Havels auf. Auch vor diesem Hintergrund kann er sich der dezenten Unterstützung des Schriftsteller-Präsidenten sicher sein.

Noch herrscht in der Öffentlichkeit Wehmut vor angesichts des nahenden Abschieds des Ex-Bürgerrechtlers Havel, der zwei Amtszeiten lang in der Prager Burg residierte. Doch schon bald dürfte sich der Machtkampf um seine Nachfolge nicht mehr nur hinter den Kulissen abspielen, sondern in aller Offenheit und mit einiger Härte ausgetragen werden. Louis v. Valenti
 
     
     
 
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