|
Wer als Patient an der Berliner Charité stationär behandelt wird, der muß bei der Einweisung ein Formular ausfüllen. Auf der Seite 2 des Kleingedruckten befindet sich der Punkt "Erklärung zur Abrechnung der Krankenhausleistung gemäß Paragraph 305 Absatz 2 Sozialgesetzbuch V". Der Patient kann hier ankreuzen, wenn er wünscht, "über die der Krankenkasse in Rechnung gestellten Entgelte unterrichtet zu werden". Wer den Punkt jedoch ankreuzt, wird nach einer Weile des vergeblichen Wartens zur Auffassung gelangen, daß die Verwaltung der Universitätsklinik ihn vergessen hat. Stimmt nicht. Diese Methode hat System im deutschen Gesundheitswesen.
"Intransparenz" (Undurchschaubarkeit) nennen das die Experten, die dieser Tage vermehrt zusammenkommen, um über die Zukunft des deutschen Gesundheitssystems zu beraten. Am 8. Juni will Ministerin Ulla Schmidt (SPD) mit einem Vorschlag an die Öffentlichkeit treten, über dessen Details bisher noch nicht viel an die Öffentlichkeit durchgesickert ist.
Zwei der bekanntesten Experten auf dem Gebiet der Gesundheitspolitik haben deswegen schon einmal vorab vor Universitätsärzten die Zukunftsfragen diskutiert - und zwar in der Kaiserin-Friedrich-Stiftung unmittelbar neben der Zentrale der Berliner Charité.
Die beiden Gesundheitsexperten sind die Professoren Karl Lauterbach und Bernd Raffelhüschen. In der Diagnose sind sich die meisten Experten einig: Die Deutschen werden immer älter, brauchen also immer mehr Leistungen. Trotz steigender Skepsis fühlen sich die zwei Drittel heute bestversorgt. In Wirklichkeit sind sie vielleicht sogar überversorgt. So wird kein Europäer so oft geröntgt wie der Deutsche.
Seit Jahren erfüllt Professor Lauterbach in Polit-Talkshows die gleiche Rolle wie Günther Jauch in Unterhaltungssendungen. Wo immer es um Gesundheitspolitik geht, verbreitet der Professor mit der Fliege seine Thesen.
Als Mitglied der sogenannten Rürup-Kommission war der heute 43jährige "nur" ein Experte ohne Macht. Seit September ist er SPD-Bundestagsabgeordneter. Längst gilt Lauterbach als einer der wichtigsten Stichwortgeber von Ministerin Schmidt.
Sofort packt er seine Thesen aus: Vor allem geißelt er das Punktesystem. Nach dem Punktesystem erhalten niedergelassene Ärzte kein feststehendes Honorar mehr von der Kasse des Patienten. Sie erhalten Punkte, von denen sie erst später erfahren, wie viel sie wert sind.
Sein Widersacher Raffelhüschen ist eher CDU-nah und spricht von "mehr Eigenverantwortung" wie ein Liberaler. Immer weniger Junge, mehr Alte - "Wir können nicht so weitermachen", sagt er weiter. Seit Jahren spiele Deutschland "Zweiter Weltkrieg": Die ausbleibenden Geburten seien wie Tote auf Schlachtfeldern zu werten.
Wenn ein Patient zehn Prozent seiner Kosten - zum Beispiel für das Röntgen - selbst zahlen müßte, dann würde er fragen, ob das wirklich nötig ist, argumentiert Raffelhüschen weiter.
Da Lauterbach - anders als Raffelhüschen - der Kommission im Hause Schmidt angehört, ist damit zu rechnen, daß ein Teil seiner Vorschläge (mal wieder) in Gesetzesform gegossen wird. Am 8. Juni wird die Öffentlichkeit informiert. |
|