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Sacht rieselten die Flocken. Das Land lag in mummeliges Weiß gehüllt. Still und friedlich wirkte die Welt. Anders war es mit dem Eduard Purplies. Voll Unruhe hastete er durch die Stuben, suchte hier, kramte da, murmelte Unverständliches vor sich hin. "Was is los mit dir?" fragte bald schon die Mutter. "Ach, ich find die Halskett nich, die ich für die Traute kaufte", erklärte der Eduard unwillig. "Kein Wunder, daß so was mal passiert bei den ganzen Marjellens, die du beschenkst." - "Dies Jahr sind es doch bloß zwei, die Bertchen und die Trautchen." - "So, so, man bloß zwei! Na denn geht ja!" antwortete die Mutter mit unverkennbar ironischem Unterton, der keinen Zweifel darüber offenließ, wie wenig ihr die casanovahaften Allüren ihres Sohnes gefielen.
Sie verurteilte besonders diese Schmuckschenkereien, die er sich angewöhnt hatte. Bei solchen Gaben war es doch nur allzu verständlich, daß die damit bedachten Mädels sich echte Hoffnungen machten und nachher enttäuscht wurden. Wenn er sie schon beschenken wollte, hätte nach Auffassung der Mutter auch Konfekt oder ein schönes Marzipanherz gereicht. Das hatte sie ihm wiederholt geraten. Aber nein, ihr Herr Sohn hatte auch in diesem Jahr wieder Kettchen gekauft. Zwei gleiche Ketten für zwei völlig verschiedene Marjellens! Sogar in gleiches Papier eingepackt hatte er sie. Das hatte die Mutter kopfschüttelnd mit angesehen.
Nun aber war eins der Päckchen mit dem Kettchen nicht auffindbar, so unbegreiflich das auch schien. Immer wieder wandte er sich jetzt an die Mutter mit der Frage, ob sie vielleicht das zweite Päckchen irgendwo gesehen hätte. Eins habe er, aber das andere sei nirgends zu finden. "Was gehen die Geschenke für deine Bräute mich an?" sagte die Mutter barsch. "Sind die Kettchen nich beide gleich?" fragte sie dann noch wie beiläufig.
Eduard nickte. "Na, denn nimmst du eben die Kett, die da is!" - "Aber wenn ich die andere nicht find, was mach ich dann?" - "Wirst se schon finden! Hast doch noch genug Zeit zum Suchen bis zu Zweitfeiertag. Du sagtest doch, daß du zu der Bertchen dann erst hinfährst". - "Ja, zu ihr soll ich Zweitfeiertag kommen, so haben wir abgesprochen. Aber bei ihr ohne ein Geschenk aufzutauchen, das wäre zu dumm."
Ihm war nicht wohl bei der ganzen Sache. Aber dann entschloß er sich doch, das vorhandene Kästchen einzustecken und es der Waltraut an diesem Tag zu bringen. Weg konnte das andere Schmuckstück schließlich nicht sein. Er spannte den Braunen vor den Schlitten, warf den neuen Schafspelz über, stieg auf und zog die von der Mutter bereitgelegte Felldecke über die Knie.
Es war eine Freude, durch die märchenhafte weihnachtliche Winterlandschaft zu gleiten. Doch seine Gedankten begleiteten ihn nicht dahin, wo hinzufahren er vorhatte. Sie zogen in andere Bahnen. Ein unüberwindlich scheinendes Unbehagen ließ ihn unentwegt an die Bertchen denken. Er bangte geradezu, daß das Geschenk für sie unauffindbar blieb. Doch die gegebenen Umstände regten auch dazu an, zwischen den beiden ihm sehr zugetanen Mädchen ernsthafte Vergleiche anzustellen. Das hatte er bisher nie getan. Und dabei fiel ihm bald auf, daß er die Trautchen immer an der Bertchen maß, nie umgekehrt. Und plötzlich wurde ihm klar, daß das ja eigentlich eine Entscheidung war. Alles an der Bertchen erschien ihm beispielhaft. Sie war es, die ihm am besten gefiel, die ihm mehr lag, und die er eigentlich, wie er sich jetzt eingestand, keinem anderen gönnte. Und je näher er dem Dorf kam, in dem die Waltraut wohnte, je weniger war er bereit, ihr das Geschenk zu überlassen.
Als er das erste Gehöft jenes Ortes erreicht hatte, kehrte er entschlossen um. Es erschien ihm plötzlich sogar wichtig, daß die Bertchen sein Geschenk schon zu Heiligabend hatte, es nicht erst am zweiten Weihnachtstag bekam. An diesem Tag noch sollte sie es bekommen!
Die Dämmerung brach bereits herein, als Eduard das Dorf, in dem sie wohnte, erreichte. Von der langen Fahrt doch ziemlich verklammt, kam er bei Schwermers an. Und er war froh, daß Bertchen ihn gleich hereinbat, obwohl er damit nicht gerechnet hatte. Was auch keineswegs selbstverständlich war, da sein Besuch erst für den zweiten Feiertag anstand.
Schon bald konnte er aber feststellen, daß man sich über sein Kommen allgemein freute. Und Grog und dicker Blechpfefferkuchen ließen ihn bei aller Behaglichkeit neben Bertchens strahlenden blauen Augen das Aufbrechen dann auch immer weiter hinauszögern. Und als er ging, zeigten alle ehrliche Freude auf seinen Besuch zu dem vorher vereinbarten Tag, den man durch diesen Besuch nicht aufgehoben sehen wollte.
Eduard versprach zu kommen. Und mit der Bertchen verabredete er sich, als sie ihn zum Schlitten brachte, noch auf einen Händedruck am Heiligen Abend nach der Kirche. Als er abfuhr, blickte Bertchen ihm nach, bis sie von den Schlittenglocken nichts mehr hören konnte. Sie war ja so glück-lich, daß er gekommen war. Und diesem Glücksgefühl bot sich ja auch noch eine Ergänzung: das Geschenk!
Berta ging damit in ihr Zimmer und legte es dort behutsam auf den kleinen Tisch. Bald aber verspürte sie einen nahezu unbezwingbaren Drang, es zu öffnen. Dem widerstand sie auch nicht lange. Eduard war schließlich fort, und wen ging es sonst etwas an? Als sie das Bändchen gelöst, das Papier auseinandergefaltet und den kleinen Deckel geöffnet hatte, war ihr aber zumute, als würde sie aus heißer Sonnenglut plötzlich ins eisige Wasser gestürzt. Denn in dem Kästchen lagen zwei Ketten. Vollkommen gleich in ihrer Art, und an jeder hing ein Schildchen mit herzlichen Weihnachtsgrüßen in Eduards Schriftzügen. Nur stand auf dem einen "meiner lieben Trautchen" und auf dem anderen "meiner lieben Bertchen". Das war eindeutig. Nur konnte Berta sich nicht recht vorstellen, wie es zu dieser Sachlage gekommen war. Jemand mußte dem Eduard einen Streich gespielt haben, eine andere Erklärung fand sie nicht.
Aber dieser Streich war für sie ganz und gar aufschlußreich. Wer immer ihn ausgelöst haben mochte, sie mußte demjenigen dankbar sein.
Und wer dieser jemand war, ahnte Eduard dann sofort, nachdem Bertchen ihm die beiden Ketten am Heiligen Abend nach der Kirche zurückgegeben und gemeint hatte, er möge sie zu dem anderen Dutzend packen, das er vermutlich noch zu verschenken habe. Sie könne darauf verzichten. Ihm war klar, daß nur die Mutter für diesen Husarenstreich in Frage kam, und es stieg eine solche Wut gegen sie in ihm auf, wie er sie noch nie empfunden hatte. Nichts spürte er von dem, was die Heilige Nacht vermitteln kann, auf dem Weg nach Hause.
Daheim angekommen, nahm er sich jedoch zusammen. Auch wollte er sich vor den jüngeren Geschwistern nicht bloßstellen, die immer noch vor dem Weih-nachtsbaum saßen und sich ihrer Geschenke und der bunten Teller erfreuten. Deshalb hielt er feierlich den Mund und sang die Weihnachtslieder mit, die der Vater in Abständen anstimmte. Bald aber ging er, ohne eine Wort zu sagen, ins Bett.
Am zweiten Feiertag war die Familie verwundert, daß der Eduard diesen Tag daheim verbringen wollte, obwohl er lange vorher angekündigt hatte, dann zu Schwermers zu fahren. Nur die Mutter erstaunte das nicht, nachdem sie gehört hatte, von wo er drei Tage vorher so spät nach Hause gekommen war. Sie konnte es sich nicht verbeißen, ein paar ironische Bemerkungen in dem Zusammenhang zu machen. Auf die hin geriet der Eduard in Rage. Und dabei wurde nur allzu deutlich, wie sehr ihm an der Bertchen lag. Als die Mutter nun noch bemerkte, sie verstünde überhaupt nicht, wieso er wegen eines einzigen Mädels ein solches Spektakel mache, wo ihn doch sonst nie interessiert hätte, wie den Mädchen zumute gewesen sei, die er schon verlassen habe, geriet er ganz außer sich. Er liebe die Bertchen und wolle sie heiraten, brüllte er, und es wäre ganz egal, was er anstellen müsse, um wieder in Ordnung zu bringen, was die Mutter zerstört habe.
Die Mutter sagte dazu nichts, sie lachte still in sich hinein. Und sie dachte bei sich: Endlich wird er vernünftig! Sie freute sich geradezu königlich darüber, daß ihr die Idee gekommen war, beide Ketten in ein Schächtelchen zu legen. Einen gehörigen Denkzettel wollte sie ihm verpassen, den er allemal verdient hatte. Und das hatte anscheinend mehr gefruchtet, als sie geglaubt hatte. Doch sie offenbarte ihre Gedanken nicht. Laut sagte sie zum Sohn: "Du und heiraten! - Wer wird einen Hallodri wie dich schon nehmen?"
Daraufhin packte Eduard noch einmal voll die Wut. Er ging hinaus und spannte an. Er wollte zur Bertchen. Jetzt gleich! Warum auch nicht? Eingeladen war er schließlich. Wenn er ihr alles genau erzählte, von der Fahrt ins andere Dorf, der plötzlichen Umkehr, um zu ihr zu kommen, würde ihr Ärger sich vielleicht legen. Denn eins wußte er: Lieb hatte sie ihn.
Eduard sollte mit seiner Vermutung auch recht behalten. Alles war so, wie er gedacht hatte. Zu Neujahr schon machte Bertchen mit ihren Eltern dann den ersten Besuch bei Purplies . Und bis zur Hochzeit dauerte es auch nicht mehr lange.
Winter in Ostdeutschland: Eisiger Wind fegt über die Felder |
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