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Urwald verriegelt Zehlauer Bruch

 
     
 
Zu de zahlreichen landschaftlichen Kostbarkeiten unserer Heimat gehörte das Zehlauer Bruch, da einzige wachsende Hochmoor Deutschlands. Die ostdeutsche Tundra war schon 1901 unte Naturschutz gestellt worden. Eine Urnatur wie ein Trugbild zwischen Schein un Wirklichkeit – wer sie einmal sah, konnte sie nicht mehr vergessen. 60 Jahre habe ic an "die Zehlau" gedacht, wie sie auch kurz genannt wurde. Seit wir ein Klassenfahrt in das im nordöstlichen Zipfel des Kreises Preußisch Eylau gelegen Moorland gemacht hatten, war sie in meinen Wachträumen der Schauplatz
tanzender Feen un flüchtiger Spukgestalten. In der Schule lernten wir es nüchterner: Das Zehlauer Bruc ist ein 2360 Hektar großes lebendes Hochmoor, das 725 Millionen Kubikmeter Moor un 18 Millionen Liter Wasser enthält. Ein gewaltiger Schwamm, der sich wie ein Uhrgla wölbt und eine Höhe von acht Metern erreicht. Rund 100 Mooraugen – bis zu eine halben Hektar große Blänken –, kleinere und größere, auch schwimmende Insel darin, gaben dem moosigen Gelände den besonderen Reiz. Seltene Pflanzen und Vögel hatte dort ihr Zuhause, eine weltfremde Einsamkeit, wie geschaffen auch für den Elch.

Dann aber kam das Grauen auch über dieses kleine Paradies. Der Krieg und seine Folgen Schutzlos und verlassen wurde das Gelände mit seiner weiteren Umgebung militärische Sperrgebiet, ein geheimer Übungsplatz ersten Ranges – bis vor einigen Monate durchsickerte, daß mit besonderer Genehmigung vielleicht eine Fahrt wenigstens in die Nähe denkbar sei. Also versuchen wir es mal! Aber – da ist niemand der Beschei weiß. Achselzucken, bedenkliche Gesichter, Kopfschütteln. Na, denn. Wir starten au eigene Faust. Mal sehen, wie weit wir kommen. Von Königsberg geht es über Uderwangen Abschwangen, in Richtung Friedland bis Stockheim. Dann nördlich bis Sommerfeld, dem alte Startplatz für einen Besuch der Zehlau. Doch wo ist Sommerfeld geblieben? Vielleicht gib es eine Zufahrt an anderer Stelle. Nach rechts geht es durch die unheimliche Einsamkeit bis wir die Ruine eines Kirchturmes entdeckten, wie ein ausgestreckter Arm anklagend in den Himmel weisend.

"Klein Engelau", sagt ein Mann, der aus dem Busch auftaucht. "Wie komm man ins Zehlauer Bruch?" wollen wir wissen. Ver-ständnislos blickt er un an. "Ein Kilometer", meint er gedehnt. "Dort noch ei Grab". Er weist dabei auf eine zerborstene Grabplatte, die an den traurige Kirchenrest gelehnt ist. Er weiß nichts von unserem Sehnsuchtsziel, und wi sind auch nicht in Klein Engelau, sondern in Klein Schönau, etwa fünf Kilomete östlich der Zehlau. Vom Kirchdorf sind zwei Restgehöfte übriggeblieben. Das Gotteshaus im Krieg wenig beschädigt, wurde zum Teil vom Militär abgerissen. Auch die jetzige zwei, drei Bewohner dienen dem Militär – als Kuhhirten, doch das erfahren wir ers später. In westlicher Richtung das gleiche Bild: Kein Haus, kein Mensch, nichts mehr vo den kleinen idyllisch gelegenen Gehöften am Rande des Zehlauer Bruchs. Nur einmal finde wir eine Einfahrt. Doch nach kaum hundert Metern ist Schluß. Wie eine undurchdringlich Wand steht der Wald vor uns. Als wir aussteigen, fällt ein Schwarm von Bremsen über un her. Mit einem Sprung sind wir wieder im Wagen, ungezählte aufgeregte Bremsen mit uns Erst als wir wieder im gewesenen Sommerfeld ankommen, sind die letzten verjagt. Ein Hau steht noch an der Kreuzung. Ein Mann im Militärhemd kommt über den Hof. Erstaunen in Gesicht. Sind wir ertappt? "Nein, nein", meint er lachend. "Das Militä ist schon seit drei Jahren weg. Wir sind nur noch drei Soldaten hier – als Kuhhirten". Wenn das so ist – auf ins Zehlauer Bruch! "Was ist das?" will er wissen. Wir zeigen in die Richtung und versuchen kurz zu erklären. Er versteh nicht, was wir meinen. "Davon habe ich noch nie etwas gehört, und von uns war auc noch niemand da." Kopfschüttelnd bleibt der Soldat zurück. "Schwierige Gelände", schreit er hinterher. Und als wir an einem bunkerartigen Bau vorbeikommen der sich als Unterstand für Kühe entpuppt, ruft uns vom Dach her ein anderer Hirte nach "Paß auf, da sind viele Schlangen".

Über das versteppte Land führt ein verwucherter Holperpfad in Richtung Wald, wo da Moor sein muß. Wildwuchs allenthalben, manchmal durch Blüten verschönt. Es ist ei mühsamer Marsch in glühender Hitze, und der Wald kommt kaum näher. Kein Mensch, kei Laut, glücklicherweise auch keine Schlange. Dann ein segelnder Storch – endlich ei vertrauter Anblick. Doch der Adebar läßt sich auf einer hohen Fichte am Rande de Hochwaldes nieder. Wo sollte er auch ein Haus finden, um darauf sein Nest zu bauen. Zu Rechten wächst ein skelettartiges Holzgerüst aus der grüngrauen Ebene, links leuchte das Rot einer Ziegelmauer auf, Reste offenbar von Schießanlage und Beobachtungsstand Endlich sind wir nahe am Ziel. Die grüne Wand löst sich auf in hohe Fichten und Erle als Hintergrund und einen Ring halbkugelförmiger Weidenbüsche davor. Das Herz klopf schneller. Wir suchen einen Zugang wie zum "Sesam, öffne dich!" Doch da Dickicht ist undurchdringlich. Wir gehen eine größere Strecke nach rechts, dort wo die Zehlau einen schwungvollen Bogen macht. Überall das gleiche Bild – kein Durchkommen Endlich entdeckte ich eine lichtere Stelle. Die ersten Tritte hinein in die unbekannt Welt des Zehlauer Bruches heute. Ganz vorsichtig. Doch da ist kein Sumpfgelände Vertrocknetes Geäst knackt laut unter den vorsichtigen Schritten. Nach wenigen Minute scheitert auch dieser Versuch. Der Augenblick des Begreifens: Es gibt kein Wiedersehen mi dem Zehlauer Bruch von einst. Das einzigartige Naturparadies ist nun verschlossen. Nich durch das Militär oder anderer Menschenhand. Die Natur selbst hat es zugesperrt. Ei Hochwaldgürtel hat sich um das Moor geschlungen, so dicht und fest, daß kein Pfad meh vorhanden ist. Urwald verriegelt die Urnatur.

Später als wir mit Wehmut einem ehemaligen sowjetischen Offizier davon berichten sagte er mit ernstem Gesicht: "Da habt ihr noch Glück gehabt. Denn dort liegen noc immer gefährliche Minen." Die Zehlau ist nicht nur versperrt, sondern auc gefährlich. In diesem Land bleibt aber immer eine Hoffnung: Einmal wird sich alle ändern. Helmut Peitsch

 
     
     
 
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