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Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus - so heißt es in Artikel 20 unseres Grundgesetzes. Und weiter in Artikel 21: Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Das ist die gutgemeinte Verfassungstheorie; die Verfassungswirklichkeit sieht leider anders aus.
Längst haben sich die Parteien aller Staatsgewalt bemächtigt, das Volk hingegen darf allenfalls noch bei der politischen Willensbildung der Parteioberen ein wenig mitwirken. Parteien, die dieses nicht immer ganz saubere Geschäft besonders erfolgreich betreiben, nennen sich "Volksparteien ". Was wollen sie uns, dem Volk, damit sagen? Daß wir eigentlich überflüssig sind? Daß wir - frei nach Brecht - bei Nichtgefallen umgetauscht, sozusagen abgewählt werden können? Daß die von uns in Parlamente und Regierungen Gewählten uns, das Volk, nicht mehr nur vertreten, sondern quasi ersetzt haben? "Wir sind das Volk" - diese schöne Parole war aber doch ursprünglich ganz anders gemeint.
Nehmen wir die "Volkspartei" SPD. Sie dümpelt bei den Umfragen unterhalb der 30-Prozent-Marke, Landtags- und Kommunalwahlen bestätigen diesen Trend. Und nicht nur das Wählervolk, auch das eigene Parteivolk wendet sich von Schröder, Scholz & Co. mit Grauen ab; die Denkzettel, die ihnen auf dem Bochumer Parteitag verpaßt wurden, sprechen für sich.
Die Argumentation, mit der Schröder sich und seine Spitzengenossen tröstet, zieht nicht: Das Volk habe eben noch nicht richtig kapiert, wie gut und wichtig die rot-grüne Regierungspolitik wirklich ist. Selbst wenn es so wäre, muß das ja nicht zwangsläufig am "dummen" Volk liegen, sondern vielleicht auch an der doch nicht ganz so guten Politik oder gar an den nicht ganz so klugen Regierungspolitikern.
Weit weg vom Volk - das gilt auch für die andere große "Volkspartei", wie in diesen Tagen die "Affäre Hohmann" lehrte. In den wenigen veröffentlichten Umfragen (merkwürdig, dieses gesammelte Schweigen der sonst so umfragewütigen Institute!) stand das Volk eindeutig an der Seite des Fuldaer Abgeordneten, was CDU-Chefin Merkel nicht hinderte, seinen Rausschmiß zu inszenieren. Warum wohl? Möglicherweise witterte sie eine Chance, lästige Konkurrenten um die Kanzlerkandidatur loszuwerden. Die Rechnung ging auf: Roland Koch konnte gar nicht anders, als in die Falle zu laufen. Hätte er sich hinter Hohmann gestellt, wäre er, wie dieser, als "Antisemit" und "Rechtsradikaler" fertiggemacht worden. So zog er es vor, sich hinter Merkel zu stellen - die Betonung liegt auf "hinter".
Und CSU-Chef Stoiber hat sich wohl deshalb so weit - für manchen seiner konservativen Gefolgsleute zu weit - aus dem Fenster gelehnt, weil er die K-Frage für sich selbst abgehakt hat - vermutlich will er entweder Ministerpräsident in München bleiben oder Bundespräsident in Berlin werden; letzteres geht natürlich nur, wenn man den Zorn der Korrekten von sich fernhält.
Die Abstimmung über Hohmanns Rausschmiß zeigte aber auch, daß Merkels Kalkül nur vordergründig aufgeht. Zwar kann ihr die Kanzlerkandidatur vorerst niemand in der Union streitig machen. Aber bei der nächsten Bundestagswahl werden viele Stimmen des wertkonservativen, "rechten" Wählervolks fehlen - man kann sich eben nicht ungestraft irgendwo "in der Mitte" ein anderes Volk suchen, weil einem das, dessen Partei man bislang angeblich war, auf einmal nicht mehr paßt.
Da kann die SPD sich bequem zurücklehnen und der Selbstdemontage der Union zuschauen. Ist die Opposition erst einmal in Volkes Meinung genauso unten durch wie die Regierungskoalition, dann lassen sich die Dinge elegant "unter sich" regeln. Volksparteien ohne Volk als schwarz-rot-grün-gelbes Zukunftsmodell - so enden Demokratien.
Teuer und überflüssig: "Topographie"-Baustelle in Berlin. |
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