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Von Frieden und Freud

 
     
 
Was war bloß los heute morgen? Rosa starrte im Vorbeigehen wütend in den Spiegel, der auf dem Flur hing. Alles lief verquer, und das an solch einem Tag. Ausgerechnet heute hatte sie verschlafen. Dabei wollte sie zeitig in die Stadt, um noch die allerletzten Kleinigkeiten zu besorgen. Mehl hatte sie vergessen, ausgerechnet. Sie wollte doch noch schnell Plätzchen backen.

Rosa brummte - immer noch mißmutig und jetzt auch abgehetzt - vor sich hin und ging in die Küche, um ihre Einkäufe abzuladen. Es war doch ein wenig mehr geworden als geplant. Mandarinen und Nüsse hatte sie noch beim Türke
n gekauft, dabei hätte sie fast wieder das Mehl vergessen. Jetzt aber wollte sie sich endlich ihrem Teig widmen.

Für wen backte sie überhaupt die Plätzchen, es würde ja doch keiner kommen. Alle würden den Heiligen Abend in ihren Familien oder bei besonders engen Freunden verbringen. Wer kümmerte sich da schon um eine Rosa Richter?

Mit kräftigen Händen arbeitete sie den Teig durch, formte ihn zu einer Kugel. Ein tolles Wurfgeschoß, fuhr es ihr durch den Kopf. Aber nein, so schlimm war es denn doch nicht mit ihr. Der Teig war ihr wieder gut gelungen, der sollte ausgerollt werden, und die Plätzchen wollte sie einfach für sich backen. Was hatte doch die neue Nachbarin erst gestern gesagt: "Man soll sich auch selbst mal was gönnen."

Ach ja, die Nachbarin. "Katrin Klages", hatte sie sich vorgestellt und dabei geschmunzelt. Frau Klages und Frau Richter Tür an Tür, wenn das nix ist. Ob die wohl auch allein sein würde heute abend? Sie kannte hier doch noch niemanden, hatte sie gesagt.

Rosa schob die ausgestochenen Plätzchen in den Ofen. Die würden schnell fertig sein, und dann ... Dann, Rosa richtete sich entschlossen auf, würde sie zu Frau Klages rübergehen und ihr ein paar Plätzchen vorbeibringen. Und natürlich Mandarinen und ein paar Nüsse

Als Rosa aus dem Küchenfenster blickte, sah sie, daß ein Sonnenstrahl sich durch die dunklen Wolken geschoben hatte und Lichtreflexe auf die Fensterscheiben des gegenüberliegenden Wohnblocks zauberte. Wenn das kein gutes Omen ist, dachte sie. In dem Augenblick begannen auch die Glocken der nahen Kirche zu läuten. So schön war ihr Klang Rosa noch nie vorgekommen, so klar und so hell. Sie begann zu summen, ein altes Lied, das sie noch aus Kindertagen kannte:

Süßer die Glocken nie klingen

Als zu der Weihnachtszeit,

s ist als ob Engelein singen

wieder von Frieden und Freud. Wie ging es bloß weiter? Rosa überlegte, aber der vollständige Text fiel ihr nicht mehr ein. Schade.

Ob Frau Klages das Lied kannte, grübelte sie. Ach nee, die war doch viel jünger als sie. Aber fragen kostet ja bekanntlich nichts.

Rosa schmunzelte. Ein anderes Weihnachtslied war ihr eingefallen: "Macht hoch die Tür, die Tor macht weit." Das würde sie singen, wenn sie bei Frau Klages an der Tür klingelte. Vielleicht konnte man ja doch gemeinsam ein bißchen Weihnachten feiern.
 
     
     
 
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