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Das Werkzeugverhalten spielt in der Kulturanthropologie eine besondere Rolle, da es nicht nur einen Vergleich zwischen lebenden Arten gestattet, sondern die Kluft zwischen Tierprimaten und Mensch durch prähistorische Funde überbrückt wird. Werkzeuge sind körperfremde Gegenstände, mit denen zu bestimmten Zwecken zielstrebig manipuliert wird, die im Falle des Verlustes durch gleiche Gegenstände ersetzt und folglich ein konstanter Bestandteil der technischen Ausrüstung sind (M ii h 1 m a n n); zumeist werden nur bearbeitete Dinge als Werkzeuge bezeichnet. Eine technische, Umgestaltung der Umwelt gibt es bei vielen Tieren; gelegentlich werden dabei auch körperfremde Gegenstände benutzt und bearbeitet, jedoch nicht aufbewahrt. Den höchsten technischen Leistungen, wie Bienenstöcken, Termitenlabyrinthen, Spinnennetzen und Vogelnestern, liegt jedoch eine überwiegende Instinktkomponente zugrunde, während die Lernkomponente gering ist oder ganz fehlt. Bei den Primaten, deren Verhalten weitgehend durch Lernen modifiziert wird, ist die gelegentliche Benutzung vön Steinen (zum Aufklopfen von Nüssen) und von Asten auch bei freilebenden Tieren beobachtet worden. W. Köhler führte systematische Versuche an gefangenen Schimpansen durch: sie benutzten verschiedene körperfremde Gegenstände (Kisten, Stöcke), um ersehnte Leckerbissen zu erreichen; wenn ein Hohlstock zurechtgebissen wurde, um ihn in einen anderen Hohlstock stecken und diesen damit verlängern zu können, so lag auch schon eine Bearbeitung vorgefundener Gegenstände vor; bei Wiederholungen der Versuche wurde ein früher benutzter Stock erneut, und zwar schneller als beim ersten Mal benutzt, so daß auch ohne Dressur ein gewisser Ansatz zur Konstanz der Dingbenutzung vorhanden war.
Die osteodontokeratische Kultur, der Australopithecinen (D a r t) stellt offenbar einen Übergang zwischen der gelegentlichen Werkzeugbenutzung durch Menschenaffen und der Werkzeugbearbeitung des paläolithischen Menschen dar: bestimmte Typen von Knochenfragmenten der Beutetiere treten so häufig in den Funden auf, daß mindestens auf eine Auswahl nach konstantem Muster zu bestimmten Zwecken geschlossen werden muß; möglicherweise wurden kleinere Knochen auch schon passend zurechtgebrochen. Da die Australopithecinen jagten, ist eine Benutzung von Werkzeugen schon deshalb sehr wahrscheinlich, weil weder ihr weitgehend hominides Gebiß noch die Primatenhände zur Zerlegung größerer Tiere, insbesondere der Öffnung der Lederhaut von Boviden geeignet sind (Washburn).
Eine Bearbeitung von Naturobjekten ist für Sinanthropus gesichert, für alle anderen Vertreter der Pithecanthropusstufe in hohem Grade wahrscheinlich (C h o p p i n g t o o l- K u l t u r e n Südasiens u. a.). Im Laufe des Paläolithikums wird die Steinbearbeitung immer feiner, neben Mehrzweckwerkzeugen wie dem Faustkeil treten mannigfache Spezialwerkzeuge aus Stein und Knochen (Spitzen, Schaber, Bohrer, Harpunen u. a.) auf. Sie setzen nicht nur Erfindungsgabe, sondern auch eine hohe Arbeitsausdauer und Geduld, und das heißt auch eine Distanzierung vom Endzweck, eine V e r s a eh l i c h u n g der Leistung voraus (Geh 1 e n), während beim Schimpansen technische Leistungen nur unter dem unmittelbaren Druck der Reizsituation gelingen. Im Laufe der kontinuierlichen technischen Entwicklung seit dem Paläolithikum ist kein Naturrohstoff unbearbeitet geblieben und haben die mannigfaltigsten Bearbeitungstechniken eine Vielzahl gemachter Dinge zur konstanten Manipulation in die Umwelt des Menschen eingebaut.
SPRACHE. Von den verschiedenen Funktionen der menschlichen Sprache kommt die Ausdrucks- und Appellfunktion am eindeutigsten auch tierischen Äußerungen zu. Viele Tiere können Freude und Zorn, Schreck und Angst durch Laute oder Gebärden ausdrücken, die von den Artgenossen, vielfach auch von verwandten Arten, verstanden werden. Mitteilungs- und Darstellungsfunktion der Sprache sind vor allem in der sog. Bienensprache repräsentiert, die genaue Angaben u. a. über Art, Richtung und Ergiebigkeit einer Futterquelle zu machen vermag; sie stellt jedoch eine reine Erbsprache dar. Von den Lautgebungen der Tierprimaten sind am besten die der Schimpansen bekannt (Yerkes und Learned, Hayes u. a.): Tonhöhe und Tonstärke, Rhythmus, Art und Folge der verfügbaren Vokale und Stimmlaute sind außerordentlich variabel und erlauben mit ihren wechselnden Kombinationen die verschiedensten Stimmungen und Affekte auszudrücken; dabei treten auch situationsspezifische Laute und mancherlei individuelle Verschiedenheiten auf. Die Artikulation ist jedoch undeutlich, was mit Bau und Stellung des Kehlkopfes zusammenhängt, und es gibt keine festbegrenzten Lautgestalten, sondern ,Kettenworte,, deren Länge vorn Maß der Erregung abhängt. Es ist bisher nur in ganz wenigen Fällen gelungen, durch mühsame Dressur einzelne menschliche Worte beizubringen, die auch noch nicht fest mit bestimmten Bedeutungen verknüpft, wenn auch auf begrenzte Bedeutungskomplexe eingeengt werden. Die kochentwickelte Imitationstendenz des Schimpansen ist nämlich fast ausschließlich visuell gerichtet, während Gehörtes nicht reproduziert wird. Das 611 o r t v e r s t ä n d n i s kann jedoch bis 50 Worte umfassen; es gelingt auch in der Dressur vereinzelt die Isolierung und Neukombination von Bestandteilen gelernter Satzgestalten (Hayes).
Die menschliche Sprache, die eng mit dem menschlichen Denken verknüpft ist und sich mit diesem entwickelt haben muß, ist vor allem durch ihren Symbolcharakter gekennzeichnet: Die Lautgebilde werden von den jeweiligen Situationen gelöst, versachlicht und in ihrer Bedeutung fixiert. Sie werden damit zu Symbolen für die Elemente der Wirklichkeit. Die Bildung abstrakter Begriffe, das Manipulieren mit ihnen, statt mit den Dingen selbst, um nicht nur Beziehungen, sondern auch Beziehungen zwischen Beziehungen festzustellen, ist nur mit Hilfe von Symboldenken und Symbolsprache möglich. Die gegenseitige Steuerung des Verhaltens durch die Sprache ist ungleich präziser und ungleich ökonomischer als die durch andere Gebärden (P o r z i g). Der Energiehaushalt wird damit entlastet, es ergeben sich mehr Chancen zur körperlichen Muße als Voraussetzung schöpferischen Denkens. Das Symbolsystem der Sprache vermag ferner Erfahrungen und Kenntnisse umfassend und dauerhaft aufzubewahren und weiterzugeben; es stellt das entscheidende Mittel dar, mit dem der geistige Bereich über die eigene Erfahrung hinaus wachsen kann. Die Erweiterung der Zeitdimension aus der unmittelbar erlebten Gegenwart in Vergangenheit und Zukunft, die sogar über die eigene Lebensspanne hinausreicht, ist daher ebenso an die Symbolsprache gebunden wie der Aufbau einer inneren Bildwelt , die auf Schritt und Tritt menschliches Verhalten formt und es gleichfalls aus der unmittelbaren Situationsgebundenheit löst.
Die menschlichen Sprachen sind reine Lernsprachen. Das Sprechvermögen ist jedoch eine erbliche Artanlage, und Erbelemente finden sich auch in den L a l 1 m o n o 1 o g e n der Säuglinge, in manchen Lautgebungen von Taubstummen und Geisteskranken und in Ausdrucksmerkmalen der Sprache. Der Modifikationscharakter der Sprachen hat ihre große Mannigfaltigkeit und damit erhebliche Verständigungsschwierigkeiten innerhalb der Species zur Folge. Auch die Gebärdensprache ist weitgehend modifiziert und in eine Fülle von ethnischen, sozialen und historischen Varianten aufgegliedert, in denen nur noch wenige Instinktelemente, z. B. in den Imponier- und Demutsgebärden, zu erkennen sind.
Auf die phylogenetische Entwicklung der Sprache lassen sich nur indirekte Schlüsse ziehen. Man kann fragen, welche psychischen Strukturen den Lebensweisen und Leistungen fossiler Menschen zugrunde liegen und wieweit diese- Sprache voraussetzen oder mindestens wahrscheinlich machen. Die philologische Sprachgeschichte reicht etwa bis in das Jahr 3000 v. Chr. zurück (Sumerer). Für das Jungpaläolithikum (Aurignacium) wird bereits allgemein eine ausgebildete Symbolsprache angenommen (P o r -z i g). Die jungpaläolithische Höhlenkunst weist auf einen starken Darstellungsdrang hin, sie manipuliert auch frei mit den Dingen und kombiniert sie zu Gebilden, die außerhalb der Realität stehen (z. B. der Zauberer von Trois Freres mit Menschenbeinen, Eulengesicht, Rengeweih und Katzenpenis). Auch für den Menschen des späteren Altpaläolithikums, insbesondere des Mousterien (Neandertaler), ist Sprache in hohem Grade wahrscheinlich. Das ergibt sich nicht nur aus den Werkzeugen, die einen bereits hohen Grad von Dingkonstanz, Dingdistanzierung und Versachlichung der Leistung bezeugen, sondern auch daraus, daß das Weltbild über das unmittelbar Erfahrbare hinausreicht: Totenbestattung und Beigaben zeugen von Gedanken über den Tod, und mit dem Bärenkult (Drachenloch, Petersstein u. a.) wurden Naturkräfte magisch beschworen.
Wenn der Neandertaler bereits eine menschliche Symbolsprache hatte, so muß diese spätestens von den Archanthropinen (Pithecanthropus und Verwandte) erfunden worden sein. Möglicherweise begann schon bei den Australopithecinen die Fixierung bestimmter Laute auf bestimmte Bedeutungen und lagen damit in Zu- und Anrufen Einwortsätze vor, mit denen auch beim Kind das eigentliche Sprechen beginnt. In der hominiden Stainmeslinie müssen irgendwo zu den Anlagen für Lautverständnis die Anlagen für Lautnachahmung hinzugetreten sein, die bei den lebenden Tierprimaten fehlen, ohne die aber menschliche Lernsprache nicht möglich ist. |
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