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Bayreuth hat sich mit der neuen Holländerproduktion - Regisseur Claus Guth, Bühnenbild Christian Schmidt - verändert. Dabei geht es beileibe nicht um irgendwelche Gewagtheiten: Es wird nicht fäkalisiert wie anderswo - das lassen der Genius loci und Festspielleiter Wolfgang Wagner nicht zu -, und auch die bis zum Überdruß strapazierten Nazirequisiten werden nicht hervorgeholt. Auch wird nicht auf Zwang modernste Technik verwendet. Die Entsprechungen zwischen Handlung, Bühnenbild und Musik, die das Gesamt- kunstwerk Richard Wagner s kennzeichnen, stimmen allerdings bei diesem Holländer nicht mehr. Der optische Teil des Gesamtkunstwerks ist mehr oder weniger unkenntlich gemacht worden. Man ist nicht erschlagen oder erhoben oder sinniert oder tobt am Ende, sondern verläßt mit einem schalen Geschmack im Munde das Festspielhaus, froh, daß Schluß ist - ein sonst unbekanntes Gefühl in Bayreuth!
Die schaurige Geschichte vom Gejagten der Meere findet in der Aufgangshalle eines Bürgerhauses mit einer riesigen, gewundenen Treppe, die die Szene voll dominiert, statt. Meer und Schiffahrt sind ausgesperrt oder auf Lappalien reduziert: eine Art Wellenprojektion an der Zimmerwand, ein Spielzeugschiffchen und ein großes Modellsegelschiff, das sich aus der Zimmerdecke herabsenkt. Da kommt zwar keine Schaurigkeit, dafür um so mehr Gähnen auf. In diesem Rahmen ergießt sich nun die ganze Pseudopsychologie en mode über den Festspielgast. Klein-Senta und Groß-Senta, beide unentwegt im Matrosenkleid(chen), warten auf einen Holländer, den sie ja schon lange, aber nicht nur durch das bekannte Bild an der Wand kennen: Es ist nämlich ihr Vater, Daland, dessen spiegelbildliche Ausgabe der Holländer ist - Bart, Kleidung und Haltung sind identisch. Die Spinnerinnen sind Modistinnen im Aussehen der Zwischenkriegsjahre, sie tanzen lieber Revue und machen Bodengymnastik, als daß sie spinnen, und die Matrosen Dalands sind flotte junge Männer - warum sie allerdings Commedia-dell arte-Masken mit spitzen Nasen tragen, weiß man nicht - und ebenfalls im Revuetanz begabt. Entscheidende Momente im Geschehen, so das Auftauchen des Geisterschiffs, werden durch das rasante Aufziehen eines blutroten, gigantischen Vorhangs an der Wand, über den ganzen Treppenaufgang, angezeigt - übrigens eine der wenigen guten Regie-Ideen, vorausgesetzt, man findet sich mit dem Gesamtkonzept ab.
Senta erlöst am Schluß auch folgerichtig niemanden, sondern kratzt wie verrückt die Wände nach einem Ausgang ab, nachdem sich der Holländer durch die Hintertür verabschiedet hat. Auch mit dem Singen hat Senta (Adrienne Dugger) Schwierigkeiten. Schrillheit und schwächliches Piano beeinträchtigen besonders die Ballade. Die Parallelfiguren Daland (Jaakko Ryhänen) und Holländer (John Tomlinson) unterscheiden sich zwar wenig im Auftritt, aber in den Stimmen: Ryhänen hat mehr Material als Tomlinson, auch mehr Wohlklang. Endrik Wott-rich ist ein markanter Erik, Tomislav Muzek singt mit leuchtendem Tenor den Steuermann. Dem Orchester unter Marc Albrecht wünschte man den Schwung der Premiere. Aber, und das gilt für die ganzen ersten vier Wochen Bayreuth, die Hitzewelle ging an keinem der ohnehin ungeheuer belasteten Künstler spurlos vorüber. Man wundert sich sowieso, wie bei 40 Grad und mehr auf der Bühne und im Graben solche Leistungen zustande kommen können! An dieser Stelle: Ein Bravo und Hochachtung an alle Mitwirkenden!
"Tannhäuser" und "Lohengrin" sind mit dem Holländer die "romantischen" Opern Richard Wagners (von ihm selbst so bezeichnet). Stark vereinfachend könnte man, in bezug auf die jeweilige Regie und das Bühnenbild, sagen: lichte und dunkle, farbige und schwarze Romantik.
Philippe Arlaud hat einen unproblematischen, einfach schönen Tannhäuser inszeniert und dazu ein farbiges Bühnenbild geschaffen. Es wird nichts verkompliziert, seine Personenführung ist, zwar nicht immer, aber häufig, wohl durchdacht, besonders beim Sängerwettstreit im dritten Akt. Die wohl spektakulärste Szene im Venusberg liegt leider daneben: Trotz wunderschöner Venus kommt keine Erotik auf.
Musikalisch schien der Tannhäuser von den drei Werken am besten besetzt. Trotz zeitweise wohl hitzebedingter Schwäche bot das Orchester unter dem vielgelobten jungen Stardirigenten Christian Thielemann insgesamt eine glanzvolle Leistung. Elisabeth (Ricarda Merbeth), Wolf-ram (Roman Trekel), der Landgraf (Kwangchul Youn), Walter (Clemens Bieber) - alles Stimmen voll Kraft, Durchhaltevermögen und stellenweise großer Schönheit. Glenn Winslade singt und spielt die schwierige Partie des Tannhäuser durchaus souverän.
Keith Warners Lohengrin-Inszenierung ist ein Beispiel par excellence, welche Auslegungsbreite möglich ist und daß dabei doch das Werk ganz im Geiste seines Schöpfers stattfindet!
Dieser Lohengrin ist nicht der strahlende Ritter, mit der nahezu unbeschränkten Machtfülle des Gralsboten ausgestattet, sondern selbst ein Suchender. Er erscheint nahezu beiläufig im Brabanter Geschehen, und wenn er wieder geht, hinterläßt er keine geheilte Welt. Das Bühnenbild zeigt es vom Anfang bis zum Schluß: Die Welt war dunkel vor seiner Ankunft, und bleibt schwarz während seines kurzen Aufenthalts, wohl bis zu ihrem Ende. Das Böse, Ortrud, die Schwäche, König Heinrich und die Verzweiflung, Elsa und Lohengrin, dominieren - Erlösung erfolgt nur am Rande. Man versteht, was Richard Wagner meinte, wenn er diese Oper als sein "traurigstes Werk" bezeichnete.
Gesanglich ragten Peter Seifert in der Titelrolle, Petra-Maria Schnitzer als Elisabeth und Roman Trekel als Herrufer hervor. Die Chöre unter der Leitung von Eberhard Friedrich waren in allen drei Werken wie seit Jahrzehnten in ihrer Gewalt und Differenziertheit wieder ein Gütesiegel der Festspiele.
Wir hoffen, daß Bayreuth das bleibt, was es immer war. Regisseure, die nur für sich selbst inszenieren, denen das Publikum, wie sie stolz verkünden, und sogar der Komponist egal sind, die von ihren einzelnen "Regieeinfällen" sagen, sie müßten doch nicht unbedingt eine Bedeutung haben, Regisseure dieser Art, wie sie inzwischen in Salzburg und Hamburg, Stuttgart und Zürich, Brüssel und Paris sich breit gemacht haben, sollten Bayreuth künftig wieder erspart bleiben.
Festspiele brauchen keine nur für sich selbst inszenierenden Regisseure
Gelungene Entsprechung: Das düstere Bühnenbild spiegelt die Verfassung der Hauptfiguren im Lohengrin. Foto: Bayreuther Festspiele |
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