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Westler gegen Slawophile

 
     
 
Die russische Literatur zählt zu den großen Weltliteraturen. In ihr liegt ei ungeheurer Reichtum und eine unvergleichliche Vielfalt der schöpferischen Richtungen Bereits im 11. Jahrhundert existierte ein ostslawisches Schrifttum, jedoch gelangte e erst spät – durch die petrinischen Reformen und die allgemeine Europäisierun Rußlands – ins Bewußtsein der Westeuropäer. Die ständige Spannung zwischen de "modernen" Fremdeinfluß aus dem Westen gegenüber einem vorzivilisatorische Slawen
tum, wie sie beispielsweise in den Bezeichnungen "Slawophiler" un "Westler" Ausdruck fand, führte zugleich zu einer Mannigfaltigkeit der Forme und Richtungen.

Professor Reinhard Lauer, Direktor des Slawischen Seminars der Universität Göttingen hat in einer umfassenden Geschichte der russischen Literatur einen Überblick über die Literaturentwicklung vom 17. Jahrhundert bis heute dargestellt. Der Autor beginnt mit de Epoche der Europäisierung der russischen Literatur in der Zeit Peters des Großen. Dabe ist ein Hauptanliegen des Autors, neben dem Aufweisen der Gattungsgeschichte sowie de chronologischen, typologischen und geneti-schen Literaturverbindungen, nicht nur die Feststellung von sogenannten "Einflüssen" aufzuführen, die bereits in de petrinischen Epoche stattgefunden haben, sondern darüber hinaus auf de literarisch-kulturellen Dialog zwischen den Völkern hinzuweisen.

Seit den politischen Veränderungen in Rußland gegen Ende des 20. Jahrhunderts zeig sich die russische Literatur erstmals in ihrer Vollständigkeit, ohne die Ausgrenzunge und Unterschlagungen, die sowohl in der sowjetischen als auch in der Zarenzei stattgefunden haben. Insofern muß es heute Aufgabe der Wissenschaftler sein, das Bild de russischen Literatur neu zu zeichnen. Das Werk Lauers beschränkt sich auf die neu russische Literatur (17. Jh. bis heute), während die altrussische (11. bis 17. Jh. außer acht gelassen wird. Besondere Beachtung der umfangreichen Literaturgeschicht verdienen die Kapitel, die sich mit Entwicklungen und Tendenzen seit der Phase de Perestroika bis heute befassen.

Die Perestroika hat die Voraussetzungen für eine Reintegration aller Teile de russischen Literatur geschaffen, wobei sie zugleich neue Wege und Möglichkeiten eröffne hat, deren weiterer Verlauf und Ergebnisse längst noch nicht absehbar sind. Während in vorsowjetischer Zeit niemals die gesamte zur Verfügung stehende Textwelt veröffentlich werden konnte – zum Teil aus politischen, religiösen oder auch ästhetische Gründen – bestehen heute erstmals unbegrenzte Möglichkeiten, die allenfalls durc finanzielle Ressourcen auf der Produktions- und Rezeptionsseite eingeschränkt werden. S entstand ein breitgefächerter Pluralismus der Richtungen und Gruppierungen, der nicht nu höchst verschiedene künstlerische Methoden, Schreibweisen und Textherstellungsverfahre hervorgerufen, sondern auch zu unterschiedlichen Auffassungen von der Rolle de Schriftstellers und der Funktion von Literatur in der neuen russischen Demokratie geführ hat. Die weitere Entwicklung der russischen Literatur dürfte insofern auch im Westen vo besonderem Interesse sein.

Reinhard Lauer: Geschichte der russischen Literatur. Von 1700 bis zur Gegenwart, C. H Beck Verlag, München 2000, 1072 Seiten mit 33 Abb., Leinen, 98 Mar
 
     
     
 
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