|
Im Jahr 1905 passierte Kaiser Wilhelm II. auf einer Kreuzfahrt die griechische Insel Korfu. Die Kaiserin Elisabeth von Österreich ("Sissi") hatte dort 1890 ein Palais bauen lassen, wohin sie sich nach dem Selbstmord ihres Sohnes zurückzog. Nach Elisabeths Tod erwarb Kaiser Wilhelm II. 1907 dieses Feriendomizil. Das "Achilleion" - so hatte es Elisabeth getauft - trat zu Schloß Wilhelmshöhe bei Kassel und dem Gut Kadinen in Westpreußen als Ferienresidenz der Hohenzollern. Der "Reisekaiser" suchte mit Familie und Gefolge das "Achilleion" fast jedes Jahr vier Wochen um Ostern auf.
Seinen Aufenthalten dort widmet die "Gesellschaft für wilhelminische Studien" den ersten Band ihrer Reihe. Mit ihr soll Wilhelm II. in den Fokus der kulturgeschichtlichen Forschung gerückt werden. Jörg Michael Hennebergs Aufsatz wird komplettiert durch den Abdruck der Korfu-Erinnerungen des Kaisers von 1924, einen Reiseführer sowie einen Lebenslauf des Kaisers wie der Kaiserin Auguste Victoria. Auch das mit Umsicht zusammengestellte üppige Bildmaterial lohnt die Anschaffung. Zahlreiche Fotos zeigen die private Seite der Herrscherfamilie und Entourage ("Der Kaiser versteckt Ostereier für die Mannschaften der ,Hohenzollern ").
Die Einleitung stammt vom Soziologen Nikolaus Sombart, der Wilhelm II. für die Kulturwissenschaft entdecken und so die Normalität des letzten deutschen Kaisers zeigen will. Der Kaiser sei mithin nicht anders gewesen als die Mehrzahl der Deutschen seiner Zeit, daher sei es falsch, ihn als Sündenbock abzustempeln. Dies läßt sich letztendlich anhand der Korfu-Aufenthalte weder belegen noch abstreiten. Eine Einbettung in große Zusammenhänge nimmt Henneberg nicht vor, wie sollte diese auch aussehen? Er tut gut daran, lieber detailliert Ankauf, Umbau und das Leben im Korfu-Urlaub zu schildern. Wilhelm II. zeigt sich hier als Bürger - und das ist das eigentlich Überraschende: keine Uniformen, keine "Hunnen"-Reden, keine neobarocken Prachtbauten. Statt dessen genießt der Kaiser im weißen Anzug die Sonne, liest, betätigt sich als Archäologe. 1911 wurden die Reste eines archaischen Tempels entdeckt. Sie veranlassen Wilhelm II. noch in Doorner Zeiten zu Veröffentlichungen. Der Umbau durch Wilhelm II. belegt den Wandel seines ästhetischen Geschmacks.
Manche Biographen führen die Taktlosigkeiten des Kaisers, sein aufbrausendes und impulsives Talent auf seine labile Persönlichkeit zurück. Auf Korfu scheint Wilhelm II. ganz bei sich. Hennebergs Aufsatz und die Abbildungen lassen Wilhelm II. auf Korfu so wirken, wie man ihn sich gerade nicht vorstellt: gelöst, entspannt, in sich selbst ruhend. Eine bislang verkannte Seite des Kaisers oder lediglich der Ausnahmezustand des Urlaubs? Es scheint auf jeden Fall, daß Wilhelm II. Unrecht getan wird, wenn man ihn auf den tumben Militaristen reduziert, der er sicher auch gewesen ist. Henneberg stellt jedenfalls fest: "Nach der Eulenburg-Affaire und dem Daily Telegraph-Skandal 1908 wurde das Schloß der unglücklichen Kaiserin Elisabeth zu seinem geliebten Tusculum."
Das Idyll war nicht von Dauer. 1916 trat Griechenland auf Seiten der Entente in den Krieg ein, an dessen Ausbruch Wilhelm und sein Reich Mitschuld trugen. Der Besitz Wilhelm II. wurde eingezogen. Er besuchte Korfu nie wieder.
"Man läßt ja eine ganze Welt zurück, und wie schön war sie!" beschrieb der Kaiser einen Abschied vom sommerlichen Korfu. Es scheint wie ein Rückblick auf die wilhelminische Epoche insgesamt. Georg Götz
Jörg Michael Henneberg: "Das Sanssouci Kaiser Wilhelm II - Der letzte Deutsche Kaiser, das Achilleion und Korfu", Isensee Verlag, Oldenburg 2004, brosch., zahlr. Abb., 147 Seiten, 12,80 Euro |
|