|
Sie saßen am Mittagstisch in einem sehr vornehmen Restaurant, und der Kellner brachte die Vorspeise. Die Dame war jung und blond und apart gekleidet. Der Herr trug einen sehr modernen Anzug sowie eine sehr dezente Krawatte. Er faltete bedächtig die Serviette auseinander, glättete sie noch einmal neu und sagte: "Ich hoffe, das Menü findet Ihren uneingeschränkten Beifall, meine Gnädigste! Ich für meine Person liebe seit jeher exklusive Gerichte!"
"Sehr wohl!" erwiderte die Dame. "Da gehe ich durchaus konform mit Ihnen."
"Thunfisch in Öl", sagte der Herr. "Der Thun ist ein makrelenartiges Flossen-Wirbeltier aus dem Ozean, der Meerenge von Gibraltar und dem Mittelmeer. Bereits seit Ewigkeiten beliebt wegen seines wohlschmeckenden Fleisches. Ebenfalls seit ewigen Zeiten mit ,Th geschrieben, seit Einführung der neuen Rechtschreibung nur mit ,T - also ohne ,h ! Wünsche dennoch wohl zu speisen!" Der Kellner brachte den Aperitif. "Auf Ihr ganz spezielles, meine Gnädigste! Trink ihn aus, den Trank der Labe ...", sagte er. "Schiller!" fügte er hinzu.
Sie hoben die kleinen Gläser. Sie setzten sie wieder ab. Sie beugten sich über die Vorspeise. Der Herr saß sehr steif, und die Dame war darauf bedacht, mit ihrem Besteck keine Geräusche zu machen.
"Kristall und Silber, echtes Porzellan", sagte die Dame, "und Seidenpapier an den Wänden, o ja!"
Der Kellner brachte die Andalusische Reissuppe.
"Und nichts", bemerkte der Herr, "geht über eine, sagen wir, gepflegte Konversation. Kleine Diskussionen, wobei Themen völlig unwichtig sind, tragen effektiv zur Hebung und Höherwertung unseres ansonst so belanglosen Daseins bei. Sie sind gewissermaßen des Lebens Quintessenz, diese kleinen Dispute, vor allem während eines Menüs."
"Oui! Oui!" sagte die Dame, denn sie besann sich augenblicklich ihrer französischen Sprachkenntnisse. "Ein Thema zum Beispiel", fuhr der Herr fort, "scheint mir besonders diskutabel: Die Liebe nämlich - respektive die Ehe ... Halten Sie weder das eine noch das andere für inessentiell, meine Gnädigste! Jeder distinguierte Liebhaber ..."
Der Kellner brachte ein paar funkelnde Schüsseln und Schälchen auf silbernem Tablett.
"Rehrücken mit Weinkraut", sagte der Herr. "Ach ja ... wo waren wir stehengeblieben?" - "Bei Liebhaber."
"Ja, so ist es!" sagte der Herr. "Indessen, meine Gnädigste, kann Liebe gleichsam nur ein irreales Gefühl sein, während in der Ehe die Zuneigung in Permanenz obwalten sollte ..."
In diesem Augenblick, vielleicht infolge einer etwas ungeschickten Handhabung der Gabel, sprang dem Herrn eine Kartoffel vom Teller und landete wohlbehalten im Weinkraut der Dame.
Eine Weile sahen sich die beiden Speisenden über ihre Teller hinweg an. "Die schöne Bluse, alles voll Spritzer!" sagte die vornehme Dame. "Verdammte Schweinerei!!!" Das war nun überhaupt nicht distinguiert, aber es brach das Eis ... und der vornehme Herr sagte: "Also, hör mal, Elfriede - willst du nun meine Frau werden oder nicht?"
An der Wiege gesungen Von Christel Poepke
Noch
zählt dein kleines Leben
nach Stunden,
morgen ist s schon ein Tag,
dann eine Woche,
ein Monat,
ein Jahr;
bald wirst du groß sein,
wirst Weib und Kind haben,
wirst Hühner züchten
und Formulare ausfüllen,
vielleicht einen
Apfelbaum pflanzen,
ein Buch schreiben
(wenn s gut geht)
und schon
zählen wieder
die Jahre,
die Monate,
die Tage,
die Stunden ... |
|