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Zu Pfingsten hinaus aufs Land

 
     
 
Vor dem respektabelsten Haus der Straße mit seiner schwülstigen balkonreichen Fassade hält am frühen Pfingstmorgen ein gewienerter Kutschwagen mit zwei blankgestriegelten Braunen davor. Der Kutscher bleibt auf dem Bock sitzen, ohne sich bemerkbar zu machen. Aber er braucht nicht lange zu warten. Unmittelbar nachdem er die Pferde zum Stehen gebracht hat, strömt eine fröhliche kleine Schar aus dem Haus, vor dem er steht, von einer glückstrahlenden Mutter begleitet.

"Otto, mach Platz - heut kutschier ich!" ruft die Mama der piekfein gekleideten Sprößlinge, die den Wagen von beiden Seiten stürmen. Und in ihrem Ungestüm haben sich die beiden Kleinsten, die Zwillinge, noch ehe sie sitzen, an Ärmel
n und Strümpfen mit Wagenschmiere beschmutzt. Auch streiten die Vier sogleich um den besten Platz.

Doch obwohl die Mutter dabei um Beistand angegangen wird, kümmert sie sich an diesem Morgen überhaupt nicht um ihr Gezänk.

Sie hat von dem stolz schmunzelnden Otto die Leine in die Hand gedrückt bekommen, und das läßt sie alles andere vergessen.

Wieder einmal selbst die Pferde lenken, und den Weg nach Hause mit dem Wagen fahren - ach, ist das schön!

"Sitzt ihr endlich?" fragt sie, ohne sich umzusehen, als es hinter ihr leiser wird. Und schon ist sie im Begriff anzufahren.

"Wir sitzen, aber Papa fehlt noch!" ruft nun erregt der Älteste.

"Den hätt ich glatt vergessen!" lacht die junge Frau zu Otto gewandt belustigt und zugleich ein wenig beschämt.

"Das glaub ich dir! Wenn du Pferde siehst, vergißt du alles! Das Konfekt für deine Mama liegt auch noch hier", ruft der Mann aus dem offenstehenden Fenster.

"Bring es mit und komm! Ich kann es nicht mehr erwarten, den Pferden die Leine zu geben!" antwortet sie.

In leichtem Trab geht es bald darauf aus der Stadt hinaus. Hell und warm scheint die Sonne vom wolkenlosen Himmel. Die junge Saat wogt auf den noch kurzen Halmen. Die Wiesen und Weiden sind saftig grün. Und grün prangen auch Sträucher und Bäume. Um die Gehöfte herum blühen die Kirschen. Die Luft ist erfüllt vom Gesang der Vögel. So geht es fröhlich durch das Land, an Dörfern, Höfen und Gütern vorbei. Hügel auf und Hügel ab.

Dann haben sie die letzte Erhebung erreicht. Nun geht es nur noch ein Stück bergab, und der Zufahrtsweg, in den sie rechts abbiegen müssen, wird eingeschlagen. Es geht an alten, stämmigen Weidebäumen vorbei. Und noch ehe sie das Gehöft erreichen, schlägt der Hund an.

Als sie auf den Hof kommen, stehen die Großeltern der vier kleinen Wageninsassen schon vor der Tür. Nachdem sich alle begrüßt haben, wird die Mama der kleinen Besucher von ihrem Vater ins Haus geführt. Schon bald darauf wird

gefrühstückt. Ausgiebig, mit selbstgebackenem Brot, eigener Butter und eigenem Schinken sowie feiertäglichem, dickbestreuseltem Fladen. Anschließend brechen der Vater und seine Tochter, wie früher, als sie noch daheim war, am Pfingstmorgen zu einem Spaziergang über die Felder auf. Am Roggenfeld bleibt der Vater stehen.

"Sieh einmal, Kind, wie gut schon das Korn steht!" sagt er, ihrer Bestätigung gewiß.

"Prächtig!" antwortet die Tochter, "aber ich dachte, du würdest in diesem Jahr oben, neben der kleinen Wiese, Roggen gesät haben!"

"Das wollte ich erst auch! Sagte ich dir das?"

"Nein, ich dachte es mir nur so!"

Eindringlich und stolz schaut der Vater die Tochter an. Sie lächelt glücklich.

Eine Weile schweigen sie. Dann meint der Vater: "Daß ausgerechnet du in die Stadt geraten mußtest, ist doch zu schade!"

"Aber Vater, mir geht es doch gut in Memel!" wirft die Tochter darauf ein.

"Ja, ja - so mein ich das auch nich!" sagt der Vater nun. Aber an jedem seiner weiteren Felder macht er ähnliche Äußerungen.

Und es dauert lange, ehe sie von diesem Spaziergang zurückkehren.

Auf dem Mittagstisch erwartet sie saftiger Schweinebraten, Gemüse, frischer Salat und goldgelbe Kartoffeln. Zum Nachtisch serviert die Großmutter Vanillepudding mit Erdbeeren aus dem Glas. Bei letzterem überschlagen sich die kleinen Leckermäuler regelrecht. Dann heißt es für die Kinder Mittagschlaf machen! Zwei werden in das Bett der Omi gesteckt und zwei unter den Zudeck des Großvaters.

Nach dem Kaffeetrinken dürfen sie dann nach Herzenslust auf dem Hof herumtoben, während die Erwachsenen sich an einem Likörchen erfreuen, das Tochter und Schwiegersohn aus der Stadt mitgebracht haben. Gespräche, die weitgehend in die Jugendzeit der Tochter des Hauses zurückführen, lassen diese zeitweilig ganz vergessen, daß all das doch schon Vergangenheit ist. Das Gefühl verstärkt sich noch, als man abends dann unter der riesigen Kastanie zusammensitzt und sich Otto mit seinem Quetschkasten dazugesellt, dem er so manches altvertraute Lied entlockt.

Jetzt ringt die junge Frau zeitweilig mit den Tränen. Erst als Werner, ihr Jüngster, noch einmal herausgelaufen kommt, weil er ohne die Mutti an der Seite nicht einschlafen kann, verliert sich diese Anwandlung.

Die Mädchenjahre sind vorüber, sie hat eine eigene Familie und zwar eine, auf die sie stolz sein kann. Dennoch ist es so, daß ihr die Besuche bei den Eltern nie lang genug sein können. Besonders Pfingsten nicht, wenn alles draußen zu neuem Leben erwacht ist, Pfingsten hier draußen bei den Eltern macht ihr dieses Fest zu dem schönsten des Jahres.

 

An der Memel: Träge fließt der breite Strom dahin.
 
     
     
 
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