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Schau mal, das ist doch die Alster!" Die Frau stößt ihren Begleiter in die Seite; der jedoch schüttelt den Kopf: "Die Alster, nee! Das ist Luchao, ein Modell ..." Doch tatsächlich, das an die Wand projizierte Motiv einer lebendigen Stadt am Wasser, von viel Grün umgeben und belebt durch die weißen Segel der Boote, erinnert an die Alster und an Hamburg, wo im Rahmen des Hamburger Architekt ursommers noch bis zum 16. November im Museum für Kunst und Gewerbe die Ausstellung "Luchao - Aus einem Tropfen geboren" zu sehen ist (dienstags bis sonntags 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 21 Uhr). Gezeigt werden im Haus unweit des Hauptbahnhofs Pläne und Bauten, die das Architekturbüro gmp - von Gerkan, Marg und Partner - für China entwarf.
Durch eine in Blautönen gehaltene riesige Fototapete, das Modell der Stadt Luchao darstellend, tritt man in den ersten hellen Raum, in dem neben der erwähnten Projektion Modelle und Pläne der Stadt zu finden sind, die derzeit unweit von Shanghai entsteht und 300.000 Menschen Wohnung geben soll. Im Mittelpunkt der Stadt liegt ein See von drei Kilometern Durchmesser, um ihn herum breiten sich Geschäftshäuser und verschiedene Stadtbezirke wie "Wellen eines auf eine Wasserfläche fallenden Tropfens". Tatsächlich hat sich Meinhard v. Gerkan, geboren 1935 in Riga und seit langen Jahren in Hamburg ansässig, dabei von der Hansestadt und der Alster inspirieren lassen.
Einem Tropfen, der weite Ringe zieht, gleicht auch der Beginn der Arbeiten für China: die Deutsche Schule in Peking war es 1998, die als erstes Projekt den Anfang in einer intensiven Bautätigkeit für das Land der Mitte machte. Etwa 100 weitere Entwürfe entstanden in den Folgejahren, von denen drei bereits fertiggestellt und 18 in Bau sind; vieles wird in der Hamburger Ausstellung gezeigt. Neben Museen, Bürotürmen und Messehallen in der Größe von über 20 Fußballfeldern ist es vor allem aber die Stadt Luchao, die das Herz eines Architekten höher schlagen läßt. "Der größte Reiz an den chinesischen Projekten liegt in ihrer außergewöhnlichen Größe und Aufgabenstellung. Projekte dieser Dimension, sowohl inhaltlich als auch quantitativ, gibt es in Europa nur ganz selten, ebenso wie die Schnelligkeit, mit der viele der sehr großen Projekte in die Wirklichkeit umgesetzt werden", so Meinhard v. Gerkan. Und: "Wir bemühen uns, mit unserer Architektur in China gegen das verbreitete Klischee einer gefälligen Dekorationsarchitektur vorzugehen. Wir bekennen uns zu klaren und einfachen Formen, die auch bei den großen Dimensionen vieler chinesischer Projekte gleichermaßen Berechtigung haben."
Ganz andere Welten erschlie-ßen sich dem Besucher der Ausstellung "100 Ideen aus 200 Jahren", die gleich neben der Schau über Luchao zu sehen ist. 100 ausgewählte Blätter aus dem großen Bestand des Museums zeigen die verspielten Formen des Hochbarock, die nüchternen des Klassizismus und die vielfältigen des Historismus in der Wilhelminischen Ära. Neben Entwürfen von Gottfried Semper für ein Richard-Wagner-Festspielhaus im Glaspalast München (1865) oder einem Detail aus dem Theseus-Tempel in Athen (1836) sind Arbeiten zu finden von C. H. Achenbach, Carl Ludwig Wimmel oder Johann Arnold Nering (Hoffassade des Lietzenburger/Charlottenburger Schlosses 1694/95). Eindrucksvoll das Konzept von Friedrich Wilhelm v. Erdmannsdorff für die Schloßanlage zu Wörlitz, dem Gründungsbau des deutschen Klassizismus, oder die Vorzeichnungen, die Paul Dede d. Ä. für sein Traktat "Der Fürstliche Baumeister" (1711/16) schuf, eine besonders prachtvolle Architekturpublikation des 18. Jahrhunderts. Fast alle Exponate werden übrigens zum ersten Mal gezeigt.
Ganz in warmes Backsteinrot getaucht sind die Räume der dritten großen Ausstellung im Hamburger Architektursommer, die dem Baumeister Fritz Höger (1877-1949) gewidmet sind. Kein Wunder, denn Höger war es, der dem norddeutschen Backstein zu neuem Ruhm verhelfen wollte. Mit seinem Anfang der zwanziger Jahre errichteten Hamburger Kontorhaus, dem Chilehaus mit seiner gewaltigen, an einen Schiffsbug erinnernden Fassade, setzte er Maßstäbe. Und so steht dieser Bau denn auch im Mittelpunkt der Ausstellung, auf der 200 Exponate - Modelle, Zeichnungen, Pläne, Glasnegative, Fotografien und Dokumente aus verschiedenen Archiven - zu sehen sind. Wie durch ein Wunder haben viele die Feuersbrünste des Zweiten Weltkriegs überstanden, andere wieder wurden mühevoll rekonstruiert. Etwa 400 Bauten hat Höger geschaffen, daneben noch Vorträge gehalten, auch Publikationen und Ausstellungen zum Thema Backstein sind ihm zu verdanken. Er fühlte sich als der alleinige Reformator des Backsteinrohbaus, vor allem aber war er dessen vehementester Verfechter.
Neben dem Chilehaus baute Höger in Hamburg das Klöpperhaus an der Mönckebergstraße, in dem sich heute ein Kaufhaus befindet und das noch immer Skulpturen des Bildhauers August Gaul schmücken. Überhaupt war der Backsteinbau so nüchtern nicht, das beweisen zeitgenössische Fotografien, die den Blick auf reizende Details lenken. Zwölf Modelle von realisierten Höger-Bauten wurden eigens für die Ausstellung von Studenten der Hochschule für bildende Künste Hamburg gefertigt, so daß der Besucher sich eingehend mit dem Werk des Baumeisters, der Siedlungen, Schulen, Kirchen, Villen und Verwaltungsgebäude wie das Rathaus von Wilhelmshaven schuf, beschäftigen kann. - Alle drei Ausstellungen im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe zeigen in ihrer Unterschiedlichkeit und Bandbreite den Reichtum deutschen Architekturschaffens in vier Jahrhunderten. Von Wörlitz über Hamburg bis nach Luchao - ein weiter Weg, der den Blick weitet für eine bunte Vielfalt.
Peter van Lohuizen, Luchao: Seepromenade mit Brücke zum Theater Foto: gmp Hamburg: Das von Fritz Höger 1921/24 errichtete Chilehaus setzte Maßstäbe |
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