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Solidarität und soziale Gerechtigkeit - mit diesen Schlagworten haben die unter dem Dach des DGB zusammengefaßten Gewerkschaften sich in den letzten Wochen und Monaten verstärkt in die bundesdeutsche Reformdebatte eingebracht, sehr zum Leidwesen der in Berlin Regierenden, deren größerer - roter - Teil der organisierten Arbeitnehmerschaft traditionell eng und oft sogar in Personalunion verbunden ist.
Die Sozialdemokraten fühlten sich von den einstigen Kampfgenossen im Stich gelassen. Doch auch die Opposition, von Merkel bis Stoiber, fand keine rechte Freude am heftigen Streit im linken Lager - ihre eigenen Vorstellungen über den Umbau des Sozialsystem s wurden und werden von Gewerkschaftsfunktionären genauso vehement kritisiert wie Schröders Agenda 2010. Von nahezu allen Seiten wird dem DGB nun der Vorwurf gemacht, einseitig und egoistisch nur Einzelinteressen zu vertreten und darüber das Gemeinwohl sträflich zu vernachlässigen. Das trifft zwar weitgehend zu, doch muß den Herren Funktionären entlastend zugute gehalten werden, daß erstens die Vertretung eigener Interessen ja in der Natur der Sache, sprich: jeder Interessenvertretung, liegt und zweitens andere Organisationen diesbezüglich dem DGB keineswegs nachstehen.
Im übrigen: So ganz unrecht haben die Gewerkschaftler mit ihrer Kritik ja nun auch nicht. Viele Eingriffe ins soziale Netz treffen in der Tat diejenigen am schlimmsten, die sich am wenigsten wehren können: Rentner, chronisch Kranke, ältere Arbeitnehmer, die oft einem brutalen, vom Jugendlichkeits-Wahn geprägten Verdrängungswettbewerb auf dem Arbeitsmarkt ausgeliefert sind. Dies findet seine Entsprechung auf der anderen Seite der vielgerühmten Sozialpartnerschaft: Wachstumsfördernde Rahmenbedingungen werden, wenn überhaupt, dann allenfalls im Bereich der Großindustrie in Angriff genommen - der Mittelstand, immerhin Deutschlands größter Arbeitgeber und Ausbilder, muß sehen, wie er alleine zurecht kommt.
Es ist selbstverständlich, daß die jeweiligen Interessenvertretungen gegen solche Schieflagen Sturm laufen, zumal zu befürchten ist, daß die anstehenden Reformen sie nicht mildern, sondern eher noch verstärken. Allerdings muß man dann auch verlangen, daß die Wortführer sich selber an das halten, was sie von anderen fordern. Und hier hat der DGB ein erhebliches Glaubwürdigkeitsdefizit.
Jüngstes Beispiel: Das Berufsfortbildungswerk, ein DGB-Tochterunternehmen, das bislang zu 80 Prozent von lukrativen Aufträgen der Bundesanstalt für Arbeit lebte, erlitt im letzten Jahr einen Umsatzeinbruch von 35 Prozent und muß nun sparen. Wo aber spart der DGB? Da, wo auch die sonst so wild kritisierten Früh-, Spät- und sonstigen Kapitalisten sparen, beim Personal. Ein Drittel der 2.200 Mitarbeiter wird arbeitslos, darunter viele über 55jährige, die kaum eine Chance haben, eine neue Arbeit zu finden. Also Leute, für die der DGB gern und laut kämpft - solange es nicht die eigenen sind. Immerhin wurde bei der Massenentlassung die Auswahl so unsensibel getroffen, daß bereits 250 Kündigungsschutzklagen anhängig sind. So entlarvt sich der Gewerkschaftsbund als ein Kartell der Scheinheiligen - und erweist gerade denen, die zu vertreten er vorgibt, einen schlimmen Bärendienst. |
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