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Wiederaufnahme der Traditionen

 
     
 
Die Historische Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung tagte vom 11. bis 13. Juni im schlesischen Görlitz, sozusagen auf altem preußischen Territorium über die "Kulturgeschichte des Preußenlandes vom ausgehenden 18. bis zum 20. Jahrhundert". Und mit etwa 50 Teilnehmern war die Tagung im Großen Ratssaal des Görlitzer Rathauses gut besucht. Nach den Grußworten des Veranstalt
ers und des Oberbürgermeisters wurden zunächst dialekt- und mundartlich bezogene Vorträge von Eva Zebrowska (Allenstein) und Dr. Thomas Braun (Kiel) sowie ein Beitrag von Dr. Rolf Straubel (Berlin) über die Königsberger Kriegsräte und Kaufleute zu Gehör gebracht; Beiträge, die durch Solidität, spezielle Fachkenntnisse und saubere Darstellung glänzten und zeigten, daß Deutsche und Polen heute zu vorurteilsfreier Darstellung historischer Prozesse über Ostdeutschland befähigt sind.

Am Nachmittag des 11. Juni referierte nach einer total verregneten Stadtführung durch Dr. Markus Bauer vom im Aufbau befindlichen "Schlesischen Museum Görlitz" (der Name "Schlesisches Landesmuseum" konnte mit Rücksicht auf polnische Empfindlichkeiten nicht durchgesetzt werden) in sachlich engem Zusammenhang zu Dr. Bauers Ausführungen Dr. Ronny Kabus, ein gebürtiger Görlitzer, über das Ostdeutsche Landesmuseum in Lüneburg (hier war der Museumsname kein Problem), wobei er auf die Vorarbeit des Ostdeutschen Kulturrats OKR hinwies. Es sei dem Ostdeutschen Landesmuseum gelungen, die 1945 gekappten Traditionen wieder aufzunehmen, auch wenn der größte Bestand des Königsberger Prussia-Museums als verloren gelten müsse. Anhand jüngst erworbener herausragender Exponate wie beispielsweise dem Ehrenhumpen der Stadt Königsberg aus dem Jahre 1815 für den preußischen General Yorck v. Wartenberg oder der Braunsberger Madonna auf der Mondsichel von 1520 konnte er belegen, daß die immer besser werdende Zusammenarbeit mit den polnischen, russischen und litauischen Museen Früchte trägt. Ziel sei es, in Lüneburg ein Museum mit kulturell-pädagogischem Auftrag und wissenschaftlichen Ansprüchen zu schaffen, um Ostdeutschland für das ganze deutsche Volk lebendig zu erhalten. Doch dann änderte sich der bisher streng wissenschaftliche Tenor der Tagung.

Dr. Ingo Haar, Berlin, referierte über die "Volkstumspolitik als Paradigma und den Königsberger Historikerkreis"; danach Dr. Christian Tilitzki, Berlin, über die Königsberger Universität als der "Grenzlanduniversität auf dem Weg zum geistigen Zentrum nationalsozialistischer Neuordnung des Ostseeraumes", beide also über einen zeitlich eng begrenzten Abschnitt der Königsberger Universitätsgeschichte. Um es vorwegzunehmen: Beide Vorträge erfüllten nicht die Anforderungen, die man angesichts des heiklen und anspruchsvollen Themas hätte erwarten dürfen, weder im wissenschaftlichen noch im didaktischen Bereich. Sie scheiterten an der ungenügenden Einbettung der Thematik in die damalige Zeitgeschichte, ermangelten der souveränen Beherrschung der Materie insgesamt, waren ideologisch stark überfrachtet und drehten die Abfolge von Ursache und Wirkung wiederholt schlicht um.

War Haar noch in der Lage, jedenfalls eine Disposition aufzustellen, um dem Zuhörer den Nachvollzug seiner Thesen zu ermöglichen, so war der Vortrag von Tilitzki inhaltlich einseitig und dazu überladen, schlecht gegliedert, rhetorisch dürftig vorgetragen und schlicht viel zu lang. Haar versuchte in seinem Vortrag zu belegen, welche Rolle die Königsberger Historiker Rothfels, Conze und Schieder als Vertreter einer revisionistischen Volkstumspolitik im Rahmen der Weimarer Republik spielten. Er warf ihnen dies vor, weil seiner Meinung nach das Versailler Friedensdiktat für die deutsche Bevölkerung in den an Polen abgetretenen Gebieten nur eine "vermeintliche Fremdbestimmung" war. Wenn Haar die deutsche Revisionspolitik verurteilte, weil sie angeblich Hitler den Boden bereitet habe (in Wirklichkeit haben ihre ausgebliebenen Erfolge Hitler ermöglicht, eine erfolgreiche Grenzpolitik Weimars hätte sehr wahrscheinlich die Republik gerettet), so fand er doch kein einziges Wort der Kritik an der polnischen Revisionspolitik von Versailles, der die territorialen Gewinne von 1919/21 nicht ausreichten und die sich Danzig, das südliche Ostdeutschland und ganz Oberschlesien einverleiben wollte. Haar unterschätzte ferner bei der deutschen Revisionspolitik die Bedeutung der "vernetzten Jungkonservativen", ähnlich wie auch heute die "konservativen Netzwerke" von Außenstehenden überschätzt werden. Er belegte dann zunächst den Vorzeichenwechsel von Weimar zum Dritten Reich, der aber das ganze deutsche Universitätswesen und nicht nur Königsberg betraf. Daraus folgend verurteilte er entsprechend seinem Ansatz die Königsberger Historiker dann aber schärfer als vorher als Exponenten der Großraumpolitik des Dritten Reiches, ohne zwischen ihrer passiven und aktiven Rolle unterscheiden zu können oder zu wollen. Bekanntlich geriet die Volkstumspolitik aber erst bei Kriegsausbruch zur völkischen Großraumpolitik, wie sie sich in der überstürzten Eindeutschung der neugewonnenen (vordem polnischen) Ostgebiete Danzig-Westpreußen, Warthegau, des Regierungsbezirks Zichenau sowie Ostoberschlesiens niederschlug. Den aktiven Beitrag der Königsberger Historiker bei der Findung neuer Staatsgrenzen in völkischen Mischgebieten durch "Entmischung", durch die Erfindung der Deutschen Vokalliste (DVL) für Optanten und die Propagierung der Volksbiologie (1944) konnte Haar indes nicht überzeugend belegen.

Haar verschwieg auch, wie der Mißbrauch von Statistiken, Karthographie, politischer Geographie und völkischer, zum Teil rassischer Ideologie durch skrupellose Politiker der Tschechen, Slowenen, Italiener und Polen bei den Pariser Vorortverträgen von 1919 die Landkarte Europas veränderte, beklagte aber, daß wir Deutsche gelernt hätten, indem wir "Versailles" als Vorbild für erfolgreiche Volkstumspolitik nahmen. Rein ideologiebeladen war auch die unkritische Verwendung der Begriffe "Rassismus" und "Imperialismus", die jeglichen differenzierenden Ansatz unmöglich machte.

Dr. Reinhard Strecke, Humboldt-Universität Berlin, referierte über Schinkels Dienstreise als preußischer Oberbaudirektor nach West- und Ostdeutschland 1834/35. So nahm Schinkel das Thorner Rathaus als Vorbild für die von ihm geplante Berliner Bibliothek, die allerdings nie gebaut wurde. Aber auch um die Erhaltung von Dörfern und Waldungen kümmerte sich Schinkel; das Publikum lernte mithin einen höchst modernen "grünen" Schinkel kennen. Handwerkliche Kenntnisse, weniger technische Raffinesse forderte Schinkel von der preußischen Bauverwaltung und vor allem das Bewußtsein, das Kulturerbe des alten Preußenlandes zu erhalten. Er wurde damit, wie wir wissen, von weitreichender Bedeutung für die preußische Architektur des ganzen 19. Jahrhunderts bis in die ausgehende wilhelminische Epoche. Spezielle Beiträge über die Kontinuität und den Wandel in der ostdeutschen Denkmalpflege von Dr. Stefan Hartmann, Berlin, und das Königsberger Werk des Architekten Hans Hopp durch Dr. Gabriele Wiesemann, Bonn, schlossen sich an und rundeten das kulturell-architektonische Bild Preußens ab.

Die Tagung zeigte erneut, zu welch historischen Tiefen in Forschung und Lehre die Historische Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung vorzudringen in der Lage ist, und sie bewies darüber hinaus durch den angenehmen Umgang mit Vertretern höchst einseitiger ideologischer Thesen ihre innere Liberalität.

Möge das große, 1938 gemalte Wandgemälde von Görlitz im Ratssaal des Rathauses, das die Stadt vom Ostufer über die heute trennende Grenzlinie an der Neiße hinweg als geschlossene Einheit zeigt, als Sinnbild einer überwundenen, aufgehobenen Grenze auch die Arbeit der Historischen Kommission beflügeln und ihr weitere Erfolge bescheren.

 
     
     
 
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