A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z
     
 
     
 

Geographie

 
     
 
Gedanken sind als Dinge so wörtlich zu nehmen wie Täler und Hügel. Mit ihnen verhält es sich gleichsam wie mit magischen Dingen, sie schaffen bei aller vordergründigen Gleichheit unterschiedliche Welten, Landschaften und Regionen, aber sie brauchen das Wort, die Schrift. Was wäre die Mark Brandenburg ohne die Beschreibungen eines Fontane, was aber ist dagegen ein Kaliningrad oder ein Szczecin? Raum, zumal geschichtlicher
Raum, ist Gliederung, Unterschied, zeitliche Abfolge und Definition; er schließt immer auch machtpolitische Gestaltung ein.

Seit die politische Gliederung der Erde in die Hauptteile Ost und West ein Ende fand, ringen die Matadore der Macht um neue, scheinbar schlüssige Definitionen der Einflußsphären, die insbesondere die globale Dimension von der einen Welt einschließen soll. Gemeint ist dies als Zutat für den ungehemmten Liberalismus, der in der Tat nach dem freien Spiel der Wirtschaftskräfte lechzt, in der Konsequenz aber bald das gesamte schützende soziale (und kulturelle) Gefüge von Nationen zum Einsturz bringen dürfte. Doch immerhin, nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Welt muß der Zugewinn neu gegliedert und subsumiert werden, damit die Vergangenheit nicht alte Ansprüche reklamiert.

In Warschau spricht man also seither von den "wiedergewonnenen Westgebieten", in Prag werden die vormaligen Staatsbürger (wider Willen) dem Revanchismus zugeordnet, mit denen es ohnehin nichts zu reden gibt; der Raum gilt sowieso als zugehörig. Will man Begriffsverwirrung und Orientierungslosigkeit vermeiden, so schließt soviel Duldung anderwärts zwangsweise Begriffsveränderungen hier ein, so daß aus Mittel- nun Ostdeutschland geworden ist, obschon dies zwei Bundeskanzlern – Brandt und Kohl – gegen den historischen Strich ging. Man behilft sich mit "neuen" Ländern, auch wenn die Fragwürdigkeit solcher Begriffe auf der Hand liegt: Thüringen ist ganz zweifellos älter als das Land Hessen, einer reinen Nachkriegsbildung, ähnliches gilt für Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Baden-Württemberg.

Sie verdanken, wie Eberhard Straub in einem ausgezeichneten Beitrag in der "Frankfurter Allgemeinen" unter dem Titel "Je tiefer hinab in die Ebenen" kritisch notierte, ihre Gründung den "westlichen Alliierten und der Zertrümmerung Preußens, südlich des Mains schwäbischer Organisationsfreude". Ähnlich verhält es sich mit dem Föderalismus, den Straub nicht als "spezifisch deutsche Überlieferung" definiert, sondern "er wurde den besiegten Deutschen verordnet. Sie fügten sich gehorsam in die ihnen aufgenötigte Ordnung. Erlaubte sie es doch, Preußen mit all dem zu belasten, was gesamtdeutsche Verirrung war, und sich zu entlasten". Für den politisch-geographischen Ideengang Straubs, der ansonsten auf eine deutsche Nord-Süd-Scheidelinie abzielt, ist es hier wichtig, darauf zu verweisen, daß "an der Verscharrung Preußens" sich Sachsen, Thüringen und Bayern nur beteiligten, "soweit es geboten war. Sie hatten von jeher trotzig ihre Reichsfreudigkeit mit starken Beimischungen nicht immer bekömmlicher Preußenfeindlichkeit gewürzt. Die Leiche Hektors durch den Sand zu schleifen, das überließen sie den Brandenburgern und den ,Westpreußen‘ diesseits der Elbe und nördlich des Mains. Die nördliche Hälfte der früheren Bundesrepublik war einmal preußisch, ungeachtet früherer Einsprengsel, die Preußen duldete. Die ehemalige DDR hat geographisch-historisch viel weniger mit Preußen zu tun als die alte Bundesrepublik. Nicht einmal die Hälfte ihres ehemaligen Gebietes war preußisch" (Straub).

Dies ist vor allen Dingen deswegen von Belang, weil die aus der Zeit des sogenannten "Kalten Krieges" auf Ost-Berlin abgeschossenen Granaten namens "rote Preußen" nur propagandistische Hülsen waren, die nicht den "Sozialismus" Ulbrichts oder Honeckers treffen sollten, sondern die "ewig junge Staatsidee", die man mit dem leichtfertig gegebenen Hinweis auf Stechschritt und Zapfenstreich der Volksarmee zu diffamieren meinte. Diese Diffamierung nährt sich heute noch aus dem früh gegebenen Hinweis Adenauers, wonach jeder, der sich für Berlin als Hauptstadt entscheidet, geistig auch für ein neues Preußen plädiert.

Jene Entscheidung für die alte und neue Hauptstadt ist aber längst gefallen, es geht jetzt nur noch darum, den Ballast jener fünfzig Jahre kritisch zu sichten und Walther Rathenaus Gedanken im Hintersinn zu behalten, die bekanntlich Dinge sind: "Vergleicht das Heilige Römische Reich und das Deutsche Reich: Was bleibt? Preußen. Vergleicht Österreich und Deutschland: Was bleibt? Preußen. Zieht Preußen von Deutschland ab: Was bleibt? Der Rheinbund. Ein verlängertes Österreich. Eine klerikale Republik."
 
     
     
 
Diese Seite als Bookmark speichern:
 
     
     
     

     
 

Weitere empfehlenswerte Seiten:

Lese

Für Sie entdeckt

Wieder ein neuer Staat

 
 
Erhalten:
geographie
 

 

   
 
 
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
WISSEN48 | ÜBERBLICK | THEMEN | DAS PROJEKT | SUCHE | RECHTLICHE HINWEISE | IMPRESSUM
Copyright © 2010 All rights reserved. Wissensarchiv