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Putsch der Faschisten: Wie linke Literaten den ersten antikomunistischen Volksaufstand der Welt denunzierten

 
     
 
Erich Mielke stellte am 31. August 1989 in eine Dienstbesprechung die bange Frage: "Ist es so, daß morgen der 17. Jun ausbricht?" Die Anspielung auf den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 war nich zufällig. Denn dieses Datum markierte das zentrale Trauma, das die DDR-Führung währen ihrer 40jährigen Herrschaft nur verdrängen, aus objektiven Gründen aber nie überwinde konnte. Damals war offenbar geworden, daß trotz 99prozentiger Zustimmung bei de "Volkswahlen", des verordneten Jubels bei Massenaufmärschen und der endlose Meldungen über begeisterte Planerfüllungen in den Betriebe
n, die SED-Politbürokrate die verhaßten Satrapen der russischen Besatzer geblieben waren. Allein die russische Panzer hatten Ulbricht und Genossen 1953 gerettet.

Stasi-Minister Mielke war wohlinformiert darüber, daß sich an dieser Ausgangslag nichts geändert hatte und die Regierung bei einer neuen weltpolitischen Lage vom eigene Staatsvolk hinweggefegt werden würde. Und die Weltpolitik war längst in Bewegun geraten. Die SED konnte sich nicht mehr sicher sein, ob Gorbatschow nochmals russisch Panzer auffahren lassen würde!

In Westdeutschland wurde der 17. Juni als "Tag der Deutschen Einheit" begangen, eine Interpretation, die "aber schon nach einem Jahrzehnt im Zuge de wachsenden westdeutschen Bereitschaft, die Zweistaatlichkeit nach dem Mauerba hinzunehmen, ins Wanken" geriet (Lutz Niethammer). Als arbeitsfreier Tag war der 17 Juni willkommen, im übrigen blieb er eine DDR-interne Angelegenheit, ein Tag de "Arbeiterprotests". Mit dieser Erklärung ließ der Aufstand sich sogar noc für eine linke Weltanschauung retten. Signalisierte er denn nicht einen Einsatz fü einen besseren, einen demokratischen Sozialismus, aber für einen Sozialismus jedenfalls Die Verbindung von sozialem und politischen Protest mit dem nationalen Impuls wurd zunehmend als suspekt angesehen – eine snobistische Überheblichkeit, die 1980 auc die polnische Solidarnosc zu spüren bekam. Spuren dieses geschichtsblinden Hochmut fanden sich noch im ursprünglichen, 1998 vorgestellten Plan für das Denkmal zum 17. Jun in Berlin wieder – eine in das Straßenpflaster eingelassene Leuchtinstallation, die die Worte schreibt: "Wer bin ich denn, daß ich sagen könnte, eine Heldentat?" Wer so fragt, hat keine Ahnung, daß es auch Bewährungssituationen jenseits de Spaßkultur gibt!

In der DDR hat eine freie Diskussion über den 17. Juni und seine Bedeutung ni stattgefunden. Die Akten verschwanden oder wurden unter Verschluß gehalten, und ein ergebnisoffene Forschung hätte geradewegs ins Gefängnis geführt. Nachdem die russisch Besatzungsmacht am Nachmittag des 17. Juni die Machtfrage geklärt hatte, legte da "Neue Deutschland" auch die Sprachregelung fest, die, von einige Modifizierungen abgesehen, bis 1989 gültig blieb. "Zusammenbruch des faschistische Abenteuers", triumphierte das SED-Zentralorgan am 19. Juni.

In der DDR-Literatur, einst als authentische "Gegenöffentlichkeit" hofiert blieb der Ertrag ebenfalls mager. Die berühmte Anna Seghers folgte in ihrem Roma "Das Vertrauen" (1968) weitgehend der offiziellen Parteilinie. Stefan Heyms Buc "Fünf Tage im Juni" (1959/74) ist zwar SED-kritisch, in modernistischer Machar verfaßt und deswegen in der DDR verboten worden, doch zur fälligen Systemfrage dran auch Heym nicht vor. Im Roman "Auf der Suche nach Gatt" (1973) des allzei linientreuen Erik Neutsch wurde der Titelheld am 17. Juni von gewalttätige "Konterrevolutionären" niedergeschossen. Das gemeinste Dokument aber stammt vo Stephan Hermlin, dessen Erzählung "Die Kommandeuse" (1954) aus eine Propaganda-Coup der SED einen zeitgeschichtlichen Mythos machte, den selbst Kritiker ni in Zweifel zu ziehen wagten. Am 17. Juni, lautete die propagandistische Vorlage, sei die verurteilte "KZ-Bestie" (E. Loest) Erna Dorn aus dem Gefängnis Halle a. d Saale befreit worden. Anschließend habe sie die Menschen gegen den antifaschistische Staat aufgehetzt und wurde dafür zum Tode verurteilt. Bei Hermlin heißt die KZ-Kommandeuse Hedwig Weber, Gesinnungsgenossen holen sie aus dem Gefängni "Saalfeld". Während sie sich darauf freut, "bald wieder (ihre) geliebt SS-Uniform" anzuziehen und mit dem "roten Pack" abzurechnen, wird diese Aufstand der Unterwelt rasch niedergeschlagen, sie selber verhaftet und schließlic – Gerechtigkeit muß sein – zum Tode verurteilt. Hermlin hat sich nach eigene Angaben auf Gerichtsakten gestützt. Vor allem aber hat er in seiner Auftragsarbeit nich bloß die SED-Lügen in elegante literarische Formen gegossen, sondern auch eine Justizmord gerechtfertigt. Denn neuere Studien haben zutage gefördert, daß die Herkunf der Dorn in Wahrheit nach wie vor unbekannt ist und es sich um eine hilflose, womöglic schwachsinnige Person handelte.

Publizistisch waren die DDR-Autoren ebenfalls nur Getriebene und fühlten sich de angegriffenen SED-Führung näher als den Protestierenden. In Umkehrung eines bekannte Goethe-Ausspruches konnten sie von sich sagen, an diesem Tag nicht bzw. nur als Objekt dabeigewesen zu sein! Ihr Verbandshaus in Berlin-Mitte lag nur ein paar Steinwürfe vo "Haus der Ministerien" entfernt, wohin die Bauarbeiter der Stalinallee zogen, u von der DDR-Regierung Rechenschaft zu verlangen. Die Demonstranten rüttelten auch an de verschlossenen Tür des Schriftstellerhauses, so daß die versammelten Autoren sich fü einen Verteidigungskampf von Stockwerk zu Stockwerk rüsteten. Der Verbandssekretär Kur Barthel (genannt "Kuba") geriet in Panik. Die Fama geht um, er habe hilfesuchen bei Brecht angerufen, doch der habe nur gespottet: "Kuba, Deine Leser kommen!"

Erst, als "es gefahrlos war, schwärmten die Schriftsteller aus" (S. Heym) agitierend, schreibend, Resolutionen verabschiedend. Vereinzelt übten sie Kritik a "Überspitzungen" der SED-Politik, doch vor allem wollten sie dem politische Bewußtsein der Massen auf die Sprünge helfen. Selbst ein aufmüpfiger Zeitgenosse wi Erich Loest, der 1956 für acht Jahre ins Zuchthaus gesteckt wurde, fiel als Konsequen aus den Ereignissen nur eine aufgeklärt-nachsichtige Erziehungsdiktatur von Partei un Regierung ein. Unter dem Titel "Elfenbeinturm und Rote Fahne" schrieb er "Sie müssen aufmerksam auf das lauschen, was die Massen denken, sprechen, wollen sie müssen gewissenhaft und liebevoll bemüht auf diese Gedanken, Gefühle und Wünsch eingehen und sie behutsam und geschickt in die Richtung lenken, die den Massen de größten Nutzen bringt." Fast keinem Schriftsteller war bewußt, was die historisch Stunde tatsächlich geschlagen hatte.

Brecht ließ es zu, daß seine verhaltene Kritik an Ulbricht durch Verstümmelun seines Briefes in ihr Gegenteil verkehrt wurde. Erwin Strittmatter monierte die fehlend Offenheit in der Presse, war sich aber gleichzeitig sicher: "Hier demonstriere streikende Arbeiter gegen sich selbst." Dem jungen Dieter Noll, der später mit de Flak-Helfer-Roman "Die Abenteuer des Werner Holt" (1960) auch im Westen bekann wurde, verhalf das "Putsch-Abenteuer der Faschisten" zu neuer Landserromantik "Ich habe seitdem Nacht für Nacht im Betrieb Wache gehalten, in einem Verlag, de die Bücher von Lenin, Puschkin und Thomas Mann herausgibt."

In der selbstkritischen und selbstironischen Autobiographie "Durch die Erde ei Riß", die 1981 im Westen erschien, hat Erich Loest anschaulich beschrieben, welche Kesseltreiben nach seinen gut gemeinten Presseartikeln gegen ihn einsetzte. Er wurde nu selber als "faschistischer Provokateur" bezeichnet, ihm drohte der Ausschlu aus dem Berufsverband, er fürchtete seine Verhaftung.

Er verschwieg allerdings, wie intensiv er danach Selbstkritik an seine "begangenen Fehlern nach dem 17. Juni 1953" übte. In einem neunseitige Schreiben versicherte er, der "faschistische Charakter der Provokation am 17. Jun (…) war mir von der ersten Stunde an klargeworden". In seiner Not beschuldigt er Georg Stibi, den Chefredakteur der "Leipziger Volkszeitung": "Hätt mich der Genosse Stibi damals mündlich oder schriftlich auf meinen Fehler aufmerksa gemacht, hätte ich spätere Fehler nicht begangen." Das Dokument der erpreßte Selbstverleugnung endete mit einem Kniefall: "Ich stehe zur Partei, und ich kämpf darum, ihr weiter anzugehören. Ich bitte die Partei, mir dabei zu helfen."

Das erstaunlichste Zeugnis jener Tage und Wochen aber stammt von dem längs vergessenen Schriftsteller Karl Grünberg (1891–1972). Grünberg war ein Altkommunis und gehörte in den zwanziger Jahren zum "Bund Proletarisch-Revolutionäre Schriftsteller". Sein Aufsatz "Was sagen die SED-Genossen?" beschreibt in bitteren Worten die Zerstörung seiner jahrzehntelang gehegten Sozialismus-Träume durc die SED und zeigt zugleich, wieviel man 1953 auch aus linker Perspektive über die Aussichtslosigkeit des Projekts "DDR" wissen konnte – wenn man bereit war ideologische Scheuklappen abzulegen!

Grünberg stellte in der Bevölkerung "tiefe Depression" un "Angst" fest, die von der "gleichgeschalteten Presse" jedoc übergangen würden. Die Reparationslasten, die das zerstörte Land zu tragen habe, de gleichzeitige Aufbau einer Armee und der Schwerindustrie, stellten eine Überforderun dar: "Nun ist der überspannte Bogen gerissen und nun sagt man zu uns: schämt euc mal." Die Eruption vom 17. Juni sei keine Überraschung gewesen: "Ich wußte daß wir wenig beliebt, ja sogar verhaßt waren." Er warnte vor dem Glauben, de Bestand der DDR sei nun gesichert: "Ich meine, wir sind längst nicht über den Berg denn auf sowjetischen Bajonetten kann man nicht lange sitzen."

Durch den 17. Juni sei die nationale Rhetorik der SED widerlegt worden: "Au unserer Propaganda müssen wir die Forderung nach gesamtdeutschen Wahlen und Abzug alle Besatzungstruppen streichen, denn das nimmt uns keiner mehr ab. Ohne das Eingreifen de Sowjetfreunde wäre es uns sehr, sehr bescheiden gegangen." Bei freien Wahlen würd die SED nur zehn Prozent der Stimmen erhalten. Die Funktionäre lebten in eine "selbstgewählten splendid-isolation, in der sie ihre Wünsche und Ideen für die Wirklichkeit nehmen. Etwas ähnliches habe ich schon einmal 1932/33 erlebt, wo wir un auch allerlei über den wachsenden revolutionären Willen der Massen vorgaukelten Anscheinend ist nichts gelernt worden."

Die säuberliche Unterscheidung, ob der Aufstand vom 17. Juni nur ein sozialer ode auch ein politischer Protest war, ob er eine innersozialistische Reformbewegung darstellt in welche die Forderung nach der deutschen Wiedervereinigung von "westliche Agenten" künstlich hineingetragen wurde, erscheint angesichts von Grünbergs frühe Einsichten müßig. Die sozialen Konflikte in der DDR konnten von den polische Rahmenbedingungen nicht losgelöst werden, und daß politisch freie DDR-Brüger umgehen auch die Lösung der offenen deutschen Frage herbeigeführt hätten, kann als absolu sicher gelten. Das DDR-Gebilde wäre vom Erdboden verschwunden, die deutsche Teilun binnen Tagen aufgehoben worden.

Angesichts der globalen Kräfteverhältnisse aber konnte der 17. Juni nicht gelingen Die Amerikaner fürchteten eine militärische Konfrontation mit den Russen und weigerte sich zum Beispiel, den Regierenden Bürgermeister Ernst Reuter, der zu diesem Zeitpunkt in Wien weilte, mit einer Militärmaschine nach Berlin einzufliegen und ihn eine auf russisc verfaßte Ansprache an die Soldaten der Roten Armee verlesen zu lassen.

Der moralische Gewinn hingegen, der sich noch nach fast fünfzig Jahren aus diese Ereignis ziehen läßt, ist enorm. Das Klischee, die Deutschen seien durchwe autoritätshörig, politisch desinteressiert und auf machtgeschützte Innerlichkei versessen, wurde durch den Aufstand widerlegt. Dieser frühe Aufstand gegen die zweit deutsche Diktatur war zugleich der erste innerhalb des roten Imperiums! Der 17. Juni 195 ist ein Datum, an das sich voller Stolz erinnern läßt!

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