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Liebe einst und jetzt

 
     
 
Haffstrom, Anno Domini 1700

In scharfem Trab kehrte der Gutsherr von seinem allmorgendlichen Kontrollritt über Felder und Wiesen zum Gutshof zurück. Zügelte sein Pferd unter dem Torbogen, und im Schrittempo ritt er zum Pferdestall. Dort stand in Erwartung seines Herrn sein Großknecht. Der Gutsherr glitt aus dem Sattel, während der Großknecht seine Mütze vom Kopf riß, grüßte: "Gode Morje, Herr." Seine Mütze drehte er hin und her, so seine Verlegenheit verratend. "Was hat er, Hans Hochhausen. Er schaut so bedripst?" Dieser räusperte sich, erwiderte: "Herr, es wird nun Tied. Beim Paster war ich schon. Brauch nu , jnädiger Herr, dero Erlaubnis." - "Ja, Hochhausen, da hat er Recht. Schon die Bibel schreibt, alles hat seine Zeit. Wirf dem Gaul ne Decke über. Später reib er ihn ab. Es ging hurtig her, unser Ritt!" Derweil holte er einen Armvoll Heu und warf dieses dem Pferd vor. Währenddessen befreite Hochhausen das Tier von Sattel und Zaumzeug und warf ihm eine Decke über.

Der Gutsherr erschien gutgelaunt, ihn erwartete zum Frühstück ein gebratenes Täubchen. Leutselig wandte er sich an seinen Großknecht: "Komm er mit, wir genehmigen uns in der Gutsküche nen Schnaps
. Dabei beschabbern wir sein Anliegen." - "Jau, jnädiger Herr", und folgte in gebührendem Abstand seinem eilends nach der Gutsküche zustrebenden Herrn. Die Mamsell servierte den gewünschten Schnaps. Jeder nahm einen Schluck, wobei der Gutsherr seinen Großknecht zum Reden aufforderte.

"Jnädiger Herr, wir woll n nu heirat n!" Gedehnt wiederholte der Gutsherr: "Heiraten will er?" Nachdenklich schwieg er, meinte dann: "Na ja, schon die Bibel sagt, mehret euch." Schwieg erneut, dann: "Warum nich . Das Alter hat er, gedient auch. Wer is denn nu die Braut?" Neugierig schaute er seinen Großknecht an. "Adomeits Regine, jnädiger Herr."

Überrascht schaute sein Herr. "Aha, deswegen erschien sie mir letzthin so rundlich. Er hat die Katz im Sack nich kaufen woll n, was?" Grinste zu seinen Worten und stellte dazu fest: "So is eben das Leben. Also, Hans Hochhausen, heiratet in Gottes Namen. Wenn es dann soweit is , werd ich euch ne Stube zuweisen, später vielleicht ne Kate. Na, und das eine oder andere an Hausrat wird sich auch finden. Laß uns drauf noch einen trinken. Prost, auf euch beide!"

"Danke, jnädiger Herr, danke." Hans beabsichtigte die Hand seines Herrn demütig zu küssen. Doch dieser entzog sie ihm mit den Worten: "Laß er das! Ich bin nicht sein Seelsorger!", so das Gespräch beendend.

Die Mamsell kredenzte ein wohlduftendes Täubchen, genießerisch machte sich der Gutsherr an die Speise. Hans Hochhausen entfernte sich fröhlich pfeifend in Richtung Pferdestall, wo ungeduldig wiehernd der Gaul ihn erwartete.

Königsberg i. Pr., Anno 1930

Im Dorf Haffstrom lebte zu dieser Zeit kein Hochhausen oder zeitweilig in den Kirchenbüchern auch Hochhus genannt, ebenfalls kein Hochhaus, wie später der Name endgültig verzeichnet ist. Die Familienangehörigen lebten und arbeiteten entweder irgendwo auf dem Land im Samland, doch die meisten in Königsberg. Sie gingen einem Handwerk nach, vorwiegend als Schmiede.

Ein Sprößling der Sippe, wieder-um ein Hans, lebte und schaffte als Buchhalter in Königsberg. Im Sekretariat der Firma arbeitete eine Regine Borchert. Oft begegneten sie sich gewollt oder zufällig am Pausapparat, im Archiv, wie hier und da in den Büroräumen. Blicke wurden getauscht, geflirtet. Unverkennbar, sie hatten Gefallen aneinander. So blieb die eine oder andere gemeinsame Handlung nicht lange aus. Ein Kinobesuch, Spaziergänge in Luisenwahl oder im Botanischen Garten. Das "Sie" wechselte zum vertrauten "Du", und oft fanden sich ihre Hände auf den gemeinschaftlichen Wegen.

Hans schlug einen Besuch der Kurischen Nehrung, und zwar Rossitten, vor. Freudig stimmte Regine dem zu, sie verabredeten sich auf den kommenden Sonntag. Treffpunkt die Normaluhr am Nordbahnhof, ein beliebter Rendezvouspunkt Königsberger Liebespaare. Hans erspähte Regine bereits, als sie der Linie 15 der Elektrischen entstieg und auf die Uhr zueilte. Sie begrüßten sich umarmend. Staunend umkreiste Regine Hans, der nach der letzten Mode gekleidet war: Sportschuhe, karierte Strümpfe, Knickerbocker, Sporthemd, alles gekrönt von einer Schirmmütze. "Donnerwetter Hans, wie dem Modejournal entstiegen!" Sichtlich genoß er ihr Lob. Untergehakt durchquerten sie die Bahnhofshalle hin zur Cranzer Bahn.

In Cranz-Beek bestiegen sie den Dampfer "Memel", und los ging die Fahrt über die Beek hinein ins Kurische Haff. Plaudernd, flirtend, Himbeerlimonade schlürfend verging die Zeit im Nu. Das Schiff legte an der Mole in Rossitten an. Nicht zufällig empfahl Hans Rossitten. Dort hatte er einige schöne, ereignisreiche, unvergeßliche Kinderjahre verlebt und konnte sich so als ortskundiger Führer betätigen. Zunächst wanderten sie zur See. Die Sonne schien, es wehte eine leichte kühlende Brise. Ausgiebig gaben sie sich den Badefreuden hin. Man alberte und nahm ein Sonnenbad. Schließlich drängte Hans zum Aufbruch, beabsichtigte er doch, Regine vom Dorf und der Umgebung noch einiges zu zeigen. So zogen sie ab in Richtung des Ortes, wobei Hans einen Umweg wählte, um Regine die Wanderdünen bestaunen zu lassen. Eine erklommen sie, und lachend rutschten beide den Steilhang zum Haffufer hinunter.

Am Strand entlang schlenderten sie zum Dorf. Die Vogelwarte galt es zu besuchen. Bewunderten den Seeadler Pluto, verewigten sich im Gästebuch. Zurück kehrten sie zum Haff, etwas angeschlagen von den Wanderungen durch den Sand von Dünen und Strand. Hans schnupperte. Ihm stieg der Rauch aus einer Fischerkate in die Nase. Dem Duft nicht widerstehend, erwarb er für einige Dittchen drei frisch geräucherte, goldgelbe, noch warme Flundern. An einem auf dem Strand kieloben liegenden Kahn fanden sie einen schattigen Platz, das Haff vor Augen. Sie machten es sich bequem, legten die Kleider bis auf Badehose und Badeanzug ab, stürzten sich dann auf die Flundern. Mit Genuß verschlang Hans zwei, und da noch genügend Zeit bis zur Abfahrt verblieb, ruhte man satt und ermüdet. Nicht lange. Magenkneifen beunruhigte Hans zunehmend.

Jäh sprang er panikartig auf, preßte eine Hand auf sein Hinterteil, stürmte hin zum Haff und hinein ins Wasser. Regine schreckte auf, sah Hans nach. Ihr schwante, was da passierte. Beschämt kehrte er zurück, empfand die Situation als peinlich. Regine überspielte seine unerfreuliche Stimmung. "Laß man, Hans, das kommt in den besten Familien vor. Deine Unterwäsche ist sauber, wie auch deine modischen Bixen." Erleichtert und dankbar schaute Hans sie an, gab ihr einen unverfänglichen Kuß auf die Wange. So war man sich menschlich nähergekommen.

Indessen näherte sich von Pillkoppen kommend ihr Dampfer, dieses Mal die "Rossitten". Glücklich und zufrieden, Hand in Hand, spazierten sie an Bord. Die Route heimwärts verlief wie die Hinfahrt. Auf dem Oberdeck genossen sie die späte, noch wärmende Nachmittagssonne.

Hans, ein leidenschaftlicher Wassersportler, Besitzer eines Faltbootes, getauft auf den Namen Lorbaß, kannte von seinen Fahrten her viele ostdeutsche Flüsse und Seen. So erschien es denn auch nicht verwunderlich, daß er Regine zu einer Tour nach Arnau aufforderte. Begeistert stimmte sie zu. Am nächsten Sonntag sollte die Fahrt stattfinden. In aller Frühe trafen sie sich am Pregelufer, am Neuen Markt. Dort standen die Bootsschuppen. Gemeinsam hievten sie das Boot aus der Halterung, trugen es dann zum Flußufer. Hans gab einige Erklärungen, beide bestiegen das Boot, wobei Regine den vorderen Platz einnahm. Mit kräftigen Schlägen steuerte Hans das Boot zur Strommitte, um dann stromaufwärts zu paddeln.

Die Strömung des Pregels war mäßig, so daß Hans mühelos voran kam. Regine genoß die Fahrt. Einen ostdeutschen Sommertag ließ die schon wärmende Morgensonne erwarten. Ein lauer Wind umwehte sie, der Schwaden von würzig duftendem Heu über den Fluß trieb. Auf den Wiesen lag die Heuernte zum Trocknen. Ab und zu zogen sie an Inseln von Seerosen vorüber, aus denen das Quaken von Fröschen ertönte. Wildenten wasserten, und Fische sprangen plätschernd über die Wasseroberfläche. Auf der Landschaft ruhte eine friedvolle Beschaulichkeit, die von den ab und zu vorbeitreibenden Holzflößen eher betont als gestört wurde.

Inzwischen kam Arnau in Sicht. Hans steuerte das Boot ans Ufer, unmittelbar unterhalb der Kirche machte er es fest. Seine Bewegungen erschienen ihr fahrig. Er machte auf sie einen bedrückten Eindruck. Lag es an Hans, verursachte eine von Flößen unverhoffte Welle ein Schwanken des Bootes? Regine taumelte beim Ausstieg. Rechtzeitig jedoch fing Hans sie in seinen Armen auf. Hielt sie fest umschlun-gen, und atemlos stieß er hervor: "Regine, werd meine Frau!"

Nun verstand sie seine Nervosität. Ihre Antwort gab ihm die Ruhe zurück, und Freude erfüllte sein Wesen. "Ja, Hans, und noch mal ja! Gern will ich deine Frau sein, wie du mein lieber Mann." Ein erster inniger Liebeskuß besiegelte ihren Bund.

"So sind wir also verlobt?" stellte Hans fest. "Richtig, mein Lieber, und in sechs Wochen verheiratet!" - "Aber", gab Hans zu bedenken: "Wir müssen doch unsere Eltern um Zustimmung bitten?"

Erstaunt reagierte Regine: "Hans, wo lebst du? Wir sind freie, mündige Menschen und leben im 20. Jahrhundert! Wir müssen niemanden um Erlaubnis für unsere Heirat fragen." Zärtlich strich sie über seinen Haarschopf und fuhr fort: "Fragen müssen wir einzig den Pfarrer, ob er uns in sechs Wochen in seiner Kirche trauen kann. Wie eine Fügung erscheint es mir, daß wir hier, wohl an der ältesten Kirche des Samlandes, landeten." Ohne zu zögern, entgegnete Hans: "Recht hast du."

Der Pfarrer stimmte zu. Zärtlich umschlungen strebten sie dem Boot zu, wobei Hans äußerte: "Und morgen gehen wir zum Juwelier Bistrick, suchen uns Eheringe aus. Einverstanden, Liebling?" - "Sehr einverstanden!"

Nun als Verlobte, glücklich gestimmt paddelten sie heimwärts. Und tatsächlich, nach sechs Wochen gab es wieder nach Jahrhunderten ein Ehepaar Hans und Regine!

Sigi Helgard: Kurenkahn (Öl, 1997)
 
     
     
 
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