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Seit einer Woche war ich nicht an der Uni, war zu Hause geblieben, paukte für die Prüfungen. Manchmal gab ich vor, in die Uni zu gehen, und schaute bei Lambo vorbei. Und ich suchte Arbeit, ohne daß sie es zu Hause mitbekommen.“
In dem Roman „Eine seltsame Frau“ erzählt Leylâ Erbil die Geschichte der Türkin Nermin. Das Buch beginnt in Nermins Jugend, als sie als 19jährige Studentin versucht, ihr Leben gemäß ihren eigenen Vorstellungen zu leben.
Das Älterwerden zieht sich wie ein roter Faden durch die vier, von unterschiedlichen Erzähltechniken geprägten Kapitel und endet mit den Gedanken Nermins, als sie sich als 40jährige geschiedene Frau in Rückblenden noch einmal mir ihren Ehejahren und ihrer Zeit in der Öffentlichkeit als Politikerin auseinandersetzt. „Das Volk ist sehr stur, hörst du zu, Josef? Ich behaupte nicht, daß ich das ,Volk‘ lieben kann, weil Liebe etwas anderes ist, etwas Konkretes. Ich kann jemanden, zum Beispiel meine Mutter oder auch dich, lieben. Aber zu sagen, daß ich jeden einzelnen Menschen in dieser Masse lieben würde, wäre gelogen. ,Du sollst die Menschen lieben‘, so lautet das moralische Gesetz der Generationen vor uns ...“
Dieser Roman von Leylâ Erbil ist jedoch nicht neu. Bereits 1971 ist er in der Türkei erschienen und sorgte dort für großes Aufsehen, da die Autorin dieses Buch ohne Rücksicht auf Tabus verfaßte. Erbil verbindet die altbekannte und doch so komplexe Darstellung des Frauenbildes in der Türkei mit der Erläuterung der linken Ideologie der 50er und 60er Jahre, welche zu jener Zeit höchsten Anklang in den Kreisen der türkischen Intellektuellen fand.
Eine interessante und facettenreiche Lektüre. Allerdings bleibt anzumerken, daß durch den Gebrauch der verschiedenen Erzähltechniken, für die die Autorin bekannt ist, die Übergänge zwischen den einzelnen Kapiteln nicht ganz so flüssig zu lesen sind.
Leylâ Erbil: „Eine seltsame Frau“, Unionsverlag, Zürich 2005, geb., 205 Seiten, 17,90 Euro |
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