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Canossa, eine Burg im Appenin südwestlich Reggio-Emilia, wird im Januar 1077 Schauplatz eines denkwürdigen Ereignisses, der Kirchenbuße König Heinrichs IV. Seitdem ist der Begriff "Canossa" sprachlich aus dem historischen Zusammenhang genommen und zum Synonym für demütiges Verhalten geworden. Für die Zeitgenossen indes war Canossa kein symbolträchtiges Einzelereignis, sondern Glied in einer Kette beispielloser Vorkommnisse, an deren Ende eine schwere Beschädigung der sakral-theokratischen Königsidee stand.
Papsttum und Königtum streiten seit längerem um das Recht der Einsetzung der Bischöfe, an der die deutschen Könige stets unmittelbar beteiligt sind. Nach überliefertem Brauch setzt der deutsche König die Kirchenfürsten seines Herrschaftsbereiches durch die Übergabe von Ring und Stab in ihr Amt ein, nachdem Klerus und Volk zuvor die Wahl vollzogen haben. Da man den Kandidaten durch den Willen Gottes, den man nur nachzuvollziehen glaubt, vorherbestimmt sieht, besteht kein Bedürfnis nach einer klaren Regelung des Wahlverfahrens. Dies bedeutet, daß dem König auch eine ausschlaggebende Rolle bei der Feststellung des Willens Gottes und bei der Auswahl der neuen Bischöfe zukommt. Als aber Papst und König im Jahre 1070 bei der Besetzung des Mailänder Erzbistums verschiedene Kandidaten unterstützen, kommt es zum Investiturstreit.
Im Zuge der verhärteten Positionen im Investiturstreit formulieren die päpstlichen Reformsynoden immer deutlicher die Alleinzuständigkeit der geweihten kirchlichen Amtsträger für ihre eigenen Belange. Demzufolge fordern sie, daß die bisher übliche Einsetzung der Bischöfe durch die Königs für unrechtmäßig erklärt und verbote n werde.
Schließlich sprich Papst Gregor VII. ein allgemeines Investiturverbot aus. Mit diesem Schritt läßt er die Tatsache außer acht, daß die Reichsbischöfe als Reichsfürsten auch weltliche Herrschaftsfunktionen wahrnehmen und der König daher berechtigterweise den Anspruch erheben kann, daß ihrer Verpflichtung gegen König und Reich schon bei ihrer Einsetzung Rechnung getragen werde.
Um seiner Auffassung Nachdruck zu verleihen, daß sich das Königtum mit seinem Widerstand gegen den päpstlichen Kandidaten ins Unrecht setze, exkommuniziert der Papst die verantwortlichen königlichen Räte. Obwohl jedem Christen der Umgang mit Exkommunizierten bei Strafe der eigenen Exkommunizierung verboten ist, trennt sich König Heinrich nicht von seinen Räten. Trotzdem gibt er sich in seinen Briefen an Papst Gregor VII. verhandlungsbereit und nachgiebig und betont seinen Gehorsam gegenüber dem Apostolischen Stuhl. Im Dezember 1075 fordert der Papst in ultimativ-schroffer Form eine klare Entscheidung. Er verlangt von Heinrich die Trennung von seinen Räten und die Unterwerfung unter das päpstliche Urteil. Der Brief erreicht den König, als dieser gerade seinen großen Sieg über die aufständischen Sachsen feiert. Von diesem Hochgefühl beflügelt, kündigt er zusammen mit seinen Bischöfen dem Papst von Worms aus den Gehorsam und fordert Gregor auf, vom päpstlichen Stuhl herabzusteigen. Gregor VII., der sich als Stellvertreter des Apostelfürsten auch selbst für unfehlbar und keines Menschen Urteil unterworfen erklärt hat, wertet diese Aufforderung als gotteslästerliche Anmaßung und reagiert entsprechend. In einem Gebet an den Apostel Petrus setzt er seinerseits König Heinrich IV. ab und exkommuniziert ihn.
Einen solchen Vorgang, bei dem ein "von Gottes Gnaden" regierender König aus der Kirchengemeinschaft ausgeschlossen und abgesetzt wird, hat es noch nie gegeben. König und Papst haben sich gegenseitig die Legitimität ihrer Herrschaft abgesprochen.
Bald zeigt es sich, daß das Wort des Papstes mehr bewirkt als das des Königs. Die Anhängerschaft Heinrichs in Deutschland schmilzt dahin. Seine alten Gegner aus dem sächsischen Aufstand drohen mit der Wahl eines Gegenkönigs für den Fall, daß es Heinrich nicht gelinge, sich innerhalb eines Jahres vom Banne zu lösen.
Statt aber die Lösung vom Bann durch Verhandlungen und politische Zugeständnisse zu erreichen, wählt der König einen ungewöhnlichen und von niemandem erwarteten Weg. Mitten im Winter überquert er die Alpen und begibt sich auf die Burg Canossa, die sich im Besitz der Markgräfin Mathilde von Tuscien befindet.
Hier erfleht König Heinrich am 28. Januar 1077 im Büßergewand während dreitägiger Bußleistungen die Vergebung des Papstes und die Wiederaufnahme in die Kirche. Er verspricht die Annahme des päpstlichen Schiedsspruchs im Streit mit den Fürsten und garantiert dem Papst Sicherheit bei dessen Reisen nach Deutschland. Als Seelenhirte darf Gregor dem reuigen Büßer nach dessen persönlicher Kirchenbuße die Absolution und die Aufhebung des Bannes nicht verweigern. Heinrich wird wieder in die Kirchengemeinschaft aufgenommen und so die Königswahl zunächst verhindert.
Heinrich IV. hat einen Erfolg auf Zeit errungen, aber der geheiligten Würde des königlichen Amtes schweren Schaden zugefügt. Zudem ruht sein Erfolg auf tönernen Füßen, denn ungeachtet seiner Lösung vom Bann erklärt die Fürstenopposition den König im März für abgesetzt und wählt den Schwabenherzog Rudolf von Rheinfelden zum Gegenkönig, der auf das dynastische Erbrecht der Krone verzichtet und die freie Bischofswahl zugesteht. Es kommt zu jahrzehntelangen, blutigen Auseinandersetzungen, die erst durch das Wormser Konkordat von 1122 ihr Ende finden.
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