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Es war ein Hilfsmitteltransport der "ruhigen Hand", das heißt, er verlief so komplikationslos wie schon seit Jahren nicht mehr. Keine Pleiten, Pech und Pannen, wenn man von einer defekten Blinkerbirne absieht und dem Verlust der oberen vorderen Fahrzeugsbegrenzungsleuchte. Daß der Transport zweimal kurzfristig verschoben werden mußte, lag auch daran, daß der Lkw zuvor zum TÜV sollte und deshalb der eine oder andere Mangel durch die Werkstatt zu beheben war. Andererseits gab es insofern Zeitdruck, als der nächste Hilfstransport, bei dem der Wagen eingesetzt werden sollte, schon feststand.
Schon zwei Tage vor dem Start war der Lkw komplett beladen, denn seit der Rückkehr vom vorausgegangenen Mai-Transport (s. Nummer 23) beherbergte er bereits drei Paletten gefriergetrockneter Suppen. Bei sorgfältiger Stapelung konnten die angesammelten Hilfsgüter untergebracht werden, und ein Anhänger erübrigte sich. Schlußendlich bestand die Ladung aus diversen Artikeln mit einem Gewicht von drei Tonnen, darunter 26 Fahrräder , die schon erwähnten Suppen, Spielzeug, Bekleidung, Haushaltsartikel, Personalcomputer, Blindenschreibmaschinen, Prothesen und Hörgeräte. Medikamente und Rollstühle waren leider nicht dabei, da diesmal keine zur Verfügung standen.
Lediglich die Ladepapiere waren noch zu erstellen. Offiziell braucht man keine Ladelisten, Geschenkurkunden und Desinfektionsbescheinigungen für Bekleidung mehr für die Einreise in das südliche Ostdeutschland. Dr. Botho von La Chevallerie von der Preußischen Genossenschaft des Johanniterordens nimmt dennoch nach wie vor diese Papiere mit, denn man weiß ja nie, wer einen wann und warum überraschend kontrolliert.
Die Akquirierung eines Beifahrers gestaltete sich erheblich einfacher als bei der vorausgegangenen Mai-Fahrt. Einer der Vettern von La Chevalleries, Wilfried Steppuhn, der schon mehrfach mitgefahren war, hatte gerade Zeit und sollte ihn am Hermsdorfer Kreuz erwarten.
Dementsprechend fuhr von La Chevallerie in aller Ruhe bei strahlender Sonne an einem Sonnabend in Deutschlands Südwesten fast wie geplant um 19.15 Uhr los. Wegen eines Fußballspiels war die Autobahn weitgehend leer, selbst auf der A 3 war kaum Verkehr. Da von La Chevallerie die Strecke über Nürnberg nicht so sehr mag, fuhr er über Schweinfurt, Bamberg und Kulmbach. Bis zum Hermsdorfer Kreuz benötigte er fünf Stunden. So nahm er gegen 0.15 Uhr seinen Vetter auf. Nach einer Tankpause ging es 0.30 Uhr weiter, jetzt mit Steppuhn am Steuer.
Bis zur Staatsgrenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen bei Küstrin sind es noch einmal vier Stunden. In neun Stunden wurden 720 Kilometer zurückgelegt, was eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 80 Stundenkilometern ergibt.
Der Grenzer will die Pässe sehen, und ... Wilfried Steppuhn hat seinen gar nicht mitgenommen, aber wenigstens den Führerschein hat er dabei. Das wäre vor der Wende eine mittlere Katastrophe gewesen, aber es darf ja auch einmal etwas besser werden. Innerhalb von 15 Minuten hatte er einen Ersatzausweis, und die beiden konnten passieren. Der Sprit reichte gerade noch bis zu einer halbwegs preiswerten Tankstelle in einem Ort unaussprechlichen Namens.
Wenig Verkehr, Straßen gut befahrbar, Wetter warm und teils sonnig, zwischendurch auch Regen, zum Teil heftig, was dem Land aber gut tut. Über Landsberg, Deutsch Krone, Marienburg, Elbing und Allenstein erreichen die beiden Vettern um 16.30 Uhr Suwalki, treffen aber Pfarrer Penczek nicht an, vermuten ihn in seiner Kirche, finden einen passenden Parkplatz und landen ausgerechnet in der falschen Abteilung, nämlich im Gottesdienst der katholischen Kirche. Zum Glück können sie sich unauffällig wieder entfernen und treffen nunmehr Penczeks zu Hause an.
Ohne den obligatorischen Kaffee läuft in Masuren nichts, erst danach schaffen sie die vorgesehene Ladung in Penczeks Garage. Allerdings hat er noch genügend Suppenvorräte, so daß hier keine abgeladen werden müssen. Das Krankenhaus wünscht sich noch einen weiteren Überwachungsmonitor, aber das dürfte mehr als schwierig zu bewerkstelligen sein.
Danach wird es gemütlich mit "Plachandern" und gutem Wodka. Im kommenden Jahr wird das Chorsingen aller evangelischen Kirchenchöre Masurens, das immer an Fronleichnam stattfindet, zum ersten mal in Suwalki sein, und die beiden Vettern sind dazu herzlich eingeladen. Des weiteren wird im Herbst in Suwalki das Stadtgründungsfest gefeiert, und auch dazu sind die beiden eingeladen. Ob und wie das alles unter einen Hut zu bringen sein soll, bleibt abzuwarten. So ganz ausgedehnt wurde der Abend aber nicht, 22.30 Uhr war das Ende der Fahnenstange erreicht.
Am nächsten Morgen erfolgte bei wechselnder Bewölkung und schöner Wärme um 10 Uhr der Aufbruch nach Neidenburg. Die beiden fahren wieder die schon im Mai ausprobierte Strecke über Johannisburg, Peitschendorf und Ortelsburg nach Neidenburg, die sich als schnell und gut ausgebaut erwiesen hatte.
In Neidenburg wiederholt sich, was in Suwalki geschah, und hier werden auch Suppen reichlich benötigt. Da die beiden Verwandten genügend Zeit haben, bleiben sie den weiteren Tag dort, tanken relativ preiswert und beschaffen - natürlich - auch Wodka für daheim. Pfarrer Zagora wirft den Grill an und es wird gegrillt, was das Zeug hält. Jedenfalls sind die Beteiligten hinterher wie die geprellten Frösche und nur mit ein paar guten Cognacs weiterhin verwendbar. Gemütlich war s.
Man kommt in der Republik Polen an der Politik - früher oder später - nicht vorbei. Hier herrscht der Eindruck, daß sich alte kommunistische Einflüsse wieder vermehrt breit machen. Das Parteibuch ist für die politische Karriere wieder von Vorteil, und auch die Bürokratie feiert fröhliche Urständ, Subventionsbetrug ist an der Tagesordnung.
Am Dienstagvormittag geht es weiter nach Soldau. Für das Krankenhaus haben die beiden leider nur eine Sitzwaage und ein Fahrradergometer. Sie schwatzen längere Zeit mit der Apothekerin Tamara und warten längere Zeit auf den Krankenhausdirektor, der sie unbedingt sprechen wollte, aber in einer Unterredung beim Landrat ist. Auch hier überlegen die Ärzte, ob sie streiken sollen, sie wollen ebenfalls 30 Prozent mehr Gehalt. Das bundesdeutsche Beispiel scheint Schule zu machen.
Anschließend fahren die beiden noch nach Lautenburg, um das renovierte Gästehaus, das ehemalige Pfarrhaus, zu besichtigen. 30 Betten gibt es jetzt dort, zehn Zimmer mit eigenem Duschbad, die anderen mit Etagendusche, alles propper in Stand gesetzt und durchaus westlichem Standard entsprechend. Die Küsterin weckte die Lebensgeister der beiden mit kühlem Getränk wieder auf, denn es war mehr als warm.
Wieder in Soldau kam auch hier der Grill zur Anwendung, unterstützt durch guten Rioja-Rotwein. Sehr spät ließen es die beiden in Anbetracht der Rückfahrt am nächsten Tag aber nicht werden.
Am Mittwoch begeben sich die beiden um 9.30 Uhr auf den Heimweg bei weiterhin knallwarmen Temperaturen. Unterwegs treffen sie zunehmend auf preiswertere Tankstellen. In Deutsch Krone stoßen sie auf ihren Hinweg. Bald darauf verläßt sie die strahlende Sonne, und es zeichnet sich ab, daß sie Regen aufs Haupt bekommen, was in Strelznow dann auch tatsächlich der Fall ist. In Landsberg tauschen sie den Regen gegen eine kilometerlange Schlange vor einer beampelten Straßenbahnkreuzung ein. Daß in Landsberg Berlin schon ausgeschildert ist, ist ihnen nur ein schwacher Trost. Danach läuft es aber wieder glatt und schnell, denn die Straße wird wieder besser, aber es regnet auch wieder. Man kann eben nicht alles auf einmal haben.
Die beiden erreichen die Staatsgrenze bei Küstrin um 17.30 Uhr, eine hübsche Grenzschutzbeamtin wirft einen Blick in den Lkw und fünf Minuten später passieren sie die Oder. Dort bessert sich auch wieder das Wetter. Auf der Gegenfahrbahn staut sich der Verkehr in erheblichem Maße. Um 21.30 Uhr erreichen die beiden das Hermsdorfer Kreuz, wo sie sich nolens volens wieder trennen. Um 2.15 Uhr ist von La Chevallerie schon zu Hause in Ehningen. Damit wurde der bisherige Rückreise-Rekord von 17 Stunden um 15 Minuten unterboten. Also, es geht doch noch. (B. v. L. C.)
Fotos: Da alles in den Lastkraftwagen paßte, konnte diesmal auf die Mitnahme eines Anhängers verzichtet werden; Neben Fahrrädern (Bild links) gehörten auch diverse andere Produkte des täglichen Bedarfs zu den mitgenommenen Hilfsgütern. (von La Chevallerie) |
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