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Isabel Garcia Luna ist 70 Jahre alt, als sie sich mal wieder auf Forschungsreise begibt. Leider kommt es zu einem bösen Zwischenfall: Eine Bekannte erleidet einen Unfall und wird mit zerschnittenem Gesicht von den Behörden tot aufgefunden.
Da Isabel jedoch ihren Ruck-sack bei der Leiche vergißt, erhält ihre Familie kurz darauf die Nachricht von Isabels vermeintlichem Tod.
Besonders mitgenommen von der Hiobsbotschaft ist ihre Tochter Serena. Sie verarbeitet die Nachricht, indem sie alles niederschreibt. Schon immer an der Familiengeschichte interessiert, versucht sie die Wahrheit über das Schicksal mancher Familienmitglieder, zum Beispiel dem des legendären Großvaters Simon oder der Russin, welche angeblich gar keine war, herauszufinden.
Währenddessen verweilt ihre Mutter in weiter Ferne, unschlüssig, ob sie das Mißverständnis bezüglich ihres Todes aufklären soll. Auch sie arbeitet in Gedanken die Vergangenheit auf, die jedoch zum Teil im völligem Gegensatz zu der Version der Vergangenheit steht, auf welche Serena unterdessen stößt.
"Das war es: als stünde Julio hinter mir und verfluchte meine Gegenwart, hoffte, ich würde endlich verschwinden, damit er das Bild zu Ende malen konnte. Das Auge der Russin verließ mich den ganzen Vormittag nicht mehr. Es war da, leuchtend, feucht, bedrohlich, stand zwischen den Dingen der Welt und meinem eigenen Blick ... Als Julio an diesem Nachmittag vom Tisch und seinem praktisch unberührten Teller aufstand und verkündete, er gehe ins Schloß, benahm ich mich wie ein linkischer Teenager. Ich spottete vor den Kindern über seine Legende. Was denn für ein Schloß sagte ich, das sind ja bestenfalls ein paar Steine. Und warum nennst du sie Russin, wenn doch jedermann weiß, daß sie Engländerin ist."
"Lügen" ist ein interessanter Roman, der aufzeigt wie konsequent sich Lügen und Gerüchte über die Generationen einer Familie fortpflanzen können.
Sehr spannend zu verfolgen ist der Zwiespalt, in dem sich Isabel befindet. Sie ist sich nicht sicher, ob sie die Nachricht ihres Todes widerlegen und das Mißverständnis aufklären oder ihre Familie in dem Glauben lassen und ein neues Leben beginnen soll.
Am Ende des Buches läßt der Autor Enrique de Hériz den Leser nachdenklich gestimmt zurück, mit der unausgesprochenen Frage auf den Lippen, ob sich die Geschichten, die einem die eigene Mutter und Großmutter über diverse Familienmitglieder erzählt haben, wirklich der Wahrheit entsprechen oder ob vielleicht doch auch alles ganz anders war ...
Enrique de Hériz: "Lügen", Hoffmann und Campe, Hamburg 2005, geb., 512 Seiten, 23 Euro |
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