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Das Rad an meines Vaters Mühle brauste und rauschte schon wieder recht lustig, der Schnee tröpfelte emsig vom Dache, die Sperlinge zwitscherten und tummelten sich dazwischen; ich saß auf der Türschwelle und wischte mir den Schlaf aus den Augen; mir war so recht wohl in dem warmen Sonnenscheine. Da trat der Vater aus dem Hause; er hatte schon seit Tagesanbruch in der Mühle rumort und die Schlafmütze schief auf dem Kopfe, der sagte zu mir: ‚Du Taugenichts! Da sonnst du dich schon wieder und dehnst und reckst dir die Knochen müde und läßt mich alle Arbeit allein tun. Ich kann dich hier nicht länger füttern. Der Frühling ist vor der Tür, geh auch einmal hinaus in die Welt und erwirb dir selber dein Brot. "
So beginnt eine der bekanntesten Erzählungen der europäischen Literat ur: "Aus dem Leben eines Taugenichts". In Königsberg wurde sie zwischen 1824 und 1826 geschrieben, von Joseph von Eichendorff. Er läßt sie in dem einzigen Gutsbesitz beginnen, der seiner Familie geblieben ist, in Sedlnitz in Mähren. Die Mühle, an der das Rad rauscht, ist die Mühle seines Gutshofes, das lange Dorf ist Sedlnitz. - Nach ein paar Stunden Fußwanderung darf der Taugenichts auf dem prächtigen Reisewagen zweier vornehmer Damen aufsitzen. Sie hatten ihn gefragt, wohin er denn wandere, und er hatte in seiner Not kurzerhand gesagt: nach Wien! Dorthin fuhren auch die Damen, und so kam er am Abend "... vor ein prächtiges Schloß hinter einer Lindenallee". Seitwärts durch die Bäume sah er die Türme von Wien. Dieses prächtige Schloß ist Schloß und Gut Seebarn im Bezirk Korneuburg, damals wie heute im Besitz der Grafen Wilczek. Nicht nur die Brüder Eichendorff, auch die Weltliteratur hat der Adelsfamilie viel zu verdanken, denn nur die generöse Gastfreundschaft des Grafen Franz Joseph Wilczek (1748-1834), eines entfernten Verwandten, hatte das Wiener Studium des Dichters und seines Bruders überhaupt noch möglich gemacht. Er hatte Wilhelm und Joseph von Eichendorff in seinem Palais in der Wiener Herrengasse freies Quartier gegeben. Eine Gedenktafel erinnert daran. Obwohl die Eichendorffs selbst zu dieser Zeit noch 1.600 Hektar landwirtschaftlichen Besitz hatten, waren ihre Vermögensverhältnisse durch die Schuldenwirtschaft des Vaters derart zerrüttet, daß ein Studium der Söhne aus eigenen Mitteln nicht mehr finanzierbar war.
"Dicht am herrschaftlichen Garten ging die Landstraße vorüber, nur durch eine hohe Mauer von derselben geschieden. Ein gar sauberes Zollhäuschen mit rotem Ziegeldache war da erbaut und hinter demselben ein kleines, buntumzäuntes Blumengärtchen, das durch eine Lücke in der Mauer des Schloßgartens hindurch an den schattigsten und verborgensten Teil des letzteren stieß. Dort war eben der Zolleinnehmer gestorben, der das alles sonst bewohnte." So wird der Eichendorff sche Taugenichts zum Zolleinnehmer. Einen solchen gab es in der Herrschaft Seebarn wirklich, nämlich für den Wegezoll. Deshalb machte er seinen Taugenichts zum Einnehmer der "gnädigen Herrschaft", in der Wirklichkeit also der Grafen Wil-czek.
"Eines Abends war die Herrschaft auf die Jagd geritten; die Sonne ging eben unter und bedeckte das ganze Land mit Glanz und Schimmer, die Donau schlängelte sich prächtig wie von lauter Gold und Feuer in die weite Ferne, von allen Bergen bis tief ins Land hinein sangen und jauchzten die Winzer. Ich saß mit dem Portier auf dem Bänkchen vor meinem Hause und freute mich in der lauen Luft, wie der lustige Tag so langsam vor uns verdunkelte und verhallte. Da ließen sich auf einmal die Hörner der zurückkehrenden Jäger von ferne vernehmen, die von den Bergen gegenüber einander von Zeit zu Zeit lieblich Antwort gaben."
Dieses Bild kehrt bei Eichendorff immer wieder, für die Landschaft um Heidelberg, den anderen Platz stets erneuerter erinnernder Beschwörung, gebraucht er ähnliche Bilder. Man hat lange Zeit geglaubt, das seien Märchenszenen, die im Grunde nirgends und zugleich überall Wirklichkeit waren. Heute weiß man, daß Eichendorff sich recht genau an die Bilder gehalten hat, die er gesehen, denen er aber dann seine ganz eigenen Worte gegeben hat. Doch seine eigentlich monotonen landschaftlichen Staffagen haben bei Eichendorff gleichwohl eine zweite Dimension. Sie sind literarische Naturmagie, die sich - vermutlich - auf den magischen Humanismus zurückführt, der am Prager Hof Rudolfs II. sein europäisches Zentrum des 16. Jahrhunderts hatte.
Zum niederösterreichischen Teil des Stromlaufes der Donau hatte Eichendorff eine besonders enge innere Beziehung. Einmal stammte sie aus seinen Wiener Studienjahren und den Bildern, die ihm die Landschaft um Seebarn geboten hat, zum anderen vom Ende seiner Kavaliersreise von Paris nach Wien im April 1808. Von Regensburg nach Wien fuhren sie mit einem der Postschiffe, die seit 1663 mit regelmäßigen Kursen auf der Donau verkehrten. Die Donau und ihre Postschiffe kehren in seiner Dichtung immer wieder. Als der Taugenichts nach seiner eifersüchtigen Flucht von Seebarn aus Italien nach Österreich zurückgekehrt war, ließ der Dichter auch ihn mit dem Postschiffe auf der Donau reisen: "... wir beschlossen sogleich, alle miteinander auf der Donau nach dem Schlosse der schönen Gräfin hinunterzufahren." Das sollte Seebarn sein. Bei Klosterneuburg ist die lustige Reisegesellschaft an Land gegangen: "Das Schiff stieß an das Ufer, wir sprangen schnell ans Land und verteilten uns im Grünen, wie Vögel, wenn das Gebauer aufgemacht wird ..."
Der Taugenichts und sein Dichter waren damit an einen der großen Orte eines unaufhörlichen Heimwehs zurückgekehrt, nach Österreich und in die Donaulandschaft, die er am besten gekannt und in der er sich am meisten zu Hause gefühlt hat. Geschrieben hat er seine berühmteste Novelle ja etwa 1.000 Kilometer weiter nördlich, in Königsberg, als Beamter im preußischen Staatsdienst, der für ihn, vorsichtig gesagt, "unbeliebt" war.
"Die Sonne war schon lange untergegangen hinter den Bergen, es schimmerte nur noch ein rötlicher Duft über dem warmen, verschallenden Abend, aus dem die Donau immer vernehmlicher heraufrauschte, je stiller es ringsum wurde. Ich sah unverwandt die schöne Gräfin an, die ganz erhitzt vom Laufen dicht vor mir stand, so daß ich ordentlich hören konnte, wie ihr das Herz schlug. Ich wußte nun aber gar nicht, was ich sprechen sollte vor Respekt, da ich auf einmal so allein mit ihr war. Endlich faßte ich ein Herz, nahm ihr kleines, weißes Händchen - da zog sie mich schnell an sich und fiel mir um den Hals und ich umschlang sie fest mit beiden Armen.
‚Siehst du , sagte sie nach einem Weilchen wieder, ‚das weiße Schlößchen, das da drüben im Mondschein glänzt, das hat uns der Graf geschenkt, samt dem Garten und den Weinbergen, da werden wir wohnen. Er wußt es schon lange, daß wir einander gut sind und ist dir sehr gewogen ... , ‚Mein Gott, schönste gnädigste Gräfin , rief ich aus, ‚ich weiß gar nicht mehr, wo mir der Kopf steht vor lauter unverhofften Neuigkeiten ... ‚Aber was nennst du mich denn Gräfin? Ich sah sie groß an. ‚Ich bin ja gar keine Gräfin , fuhr sie fort‚ unsere gnädige Gräfin hat mich nur zu sich aufs Schloß genommen, da mich mein Onkel, der Portier, als kleines Kind und arme Waise mit hierher bracht. "
Eichendorff war für die Schwächen und vor allem die existenzbedrohenden Fehler, besonders des preußischen Grundadels, alles andere als blind und hat mit Kritik an seinem Stand nicht gespart, aber in Frage gestellt hat er die ständische Gesellschaftsordnung nie. Das wird in jedem seiner Werke, am meisten aber im Taugenichts markant sichtbar. Der wandernde Müllerbursch verliebt sich in eine "schöne gnädige Frau" und eine Gräfin und meint schließlich, sie erwidere seine Liebe, doch erst als sie sich als Kammerjungfer zu erkennen gibt, "... ist alles alles wieder gut". Dietmar Stutzer
Edeltraud Abel-Waldheuer: "Die Gedanken sind frei" - Der Taugenichts (Öl) |
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