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In der Partei nennt man sie "das Mädchen". Doch der Spitz- oder Kosename ist eine Untertreibung. Machtbewußt wie kaum ein anderer Politiker hat Angela Merkel ihren Durchmarsch an die Parteispitze fast geschafft. Wenn nicht alle Eindrücke täuschen, dürfte die 45jährige Pastorentochter aus Mecklenburg-Vorpommern am 10. April als Nachfolgerin von Wolfgang Schäuble an die CDU-Spitze gewählt werden. Damit wird die CDU künftig mehr nach links driften, wenn die Bundestagsfraktion mit ihrem neuen Vorsitzenden Friedrich Merz nicht gegensteuert.
Der unaufhaltsame Aufstieg der Angela Merkel begann mit der verlorenen Bundestagswahl 1998, nachdem sie in den letzten Jahren der Kohl-Ära als Umweltministerin und stellvertretende CDU-Vorsitzende eine unauffällige Rolle gespielt hatte. Kohl hatte die aus dem "Demokratischen Aufbruch" der DDR kommende Politikerin in den wilden Wendezeiten entdeckt, weil sie ihre Arbeit als stellvertretende Regierungssprecherin des letzten DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maiziere vorzüglich verrichtete. Fortan stand sie im System Kohl für die Ost- und Frauenquote. Erst Schäuble erweckte die in der Rostockerin (in Hamburg geboren) steckenden Talente und beförderte sie, nachdem er den CDU-Chefsessel von Kohl übernommen hatte, zur Generalsekretärin. Eloquent ging Frau Merkel ans Werk. In der Familienpolitik setzte sie mit dem im Dezember verabschiedeten Grundsatzpapier andere Akzente. Seitdem gehören für die CDU homosexuelle Lebensgemeinschaften auch "irgendwie" zu den Familien.
In der aktuellen Finanz- und Spendenkrise spielte Frau Merkel die Rolle der rückhaltlosen Aufklärerin. Da sie nicht mit dem Finanzsystem des "Patriarchen" in Verbindung gebracht werden konnte, stand sie im Gegensatz zu dem sich immer stärker selbst verstrickenden Schäuble im Ruf einer glaubwürdigen Politikerin.
Mit Schäubles Ankündigung, sich aus der politischen Führungsebene zurückzuziehen, schlug Frau Merkels eigentliche Stunde. Beim Bemühen, den Chefsessel zu übernehmen, kam ihr nicht nur das eigene Geschick zugute: Auch die vehementen Ausfälle der bayerischen Schwesterpartei CSU, die vor einem Linksruck durch Merkel warnte, sorgten für Solidarisierungseffekte. Ihr eigentlicher Widersacher Volker Rühe war nicht besonders ernst zu nehmen, er verfügte in der Partei kaum über Rückhalt, und sein eigener Landesverband Hamburg sprach sich als erster für Frau Merkel aus.
Auf einem Geheimtreffen im Lübecker Rathauskeller kurz vor der schleswig-holsteinischen Landtagswahl waren sich CSU-Chef Edmund Stoiber, Schäuble und Rühe schnell einig, daß Rühe keine Chance hätte, die parteiinterne Auseinandersetzung zu gewinnen. Wenige Tage später teilte Rühe seinen Verzicht mit. Doch die Herrenrunde fand keine Alternative. Die in Frage kommenden Ministerpräsidenten Bernhard Vogel (Thüringen) und Kurt Biedenkopf (Sachsen) wollen nicht in einen personellen Wettbewerb gehen. Da Frau Merkel intern jedoch auf einer Kandidatur beharrt, will niemand gegen sie antreten. Die alten Herren der CDU haben "das Mädchen" unterschätzt.
Georg Münster
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