A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z
     
 
     
 

Anmerkungen zur politischen Biographie des Verhaltensforschers

 
     
 
Was für wissenschaftspolitische Konsequenzen sich aus diesem Umschwung für Loren ergaben, skizziert ein Schreiben vom 11. April 1938, das seine erste "Säuberungs"-Maßnahmen berührt, die kurz nach dem "Anschluß" zahlreiche Entlassungen politisch mißliebiger Dozenten in Wien zeitigten. Lorenz nenn namentlich seinen Lehrer, den Psychologen Karl Bühler und dessen jüdische Ehefrau, die als Dozentin für Kinderpsychologie
am Institut ihres Mannes lehrende Charlotte Bühler Über die Hintergründe der Entlassung dieses Dozentenpaares stellt Lorenz Mutmaßunge an: Warum Bühler sogar verhaftet worden sei, bleibe unklar, sicher sei aber, daß e "bezüglich der Abstammung seiner volljüdischen Frau beschönigend gelogen hat vielleicht hat er (auch) Devisen verschoben, er hatte Rockefellergelder. Außerdem war e … so intensiv rot und schwarz, je nach dem Zug der Zeit, daß das allein genügen Erklärung ist. Jedenfalls kommt er nicht wieder." Aus diesem Umstand leitete Loren dann für sich die große Chance ab, Bühlers Lehrstuhl selbst zu besetzen und ihn in Interesse der Tierpsychologie umzuwidmen. Dabei schwebte ihm, wie später in Königsberg eine enge institutionelle Verbindung mit einem Humanwissenschaftler vor, in diesem Fal mit seinem Freund, dem Neurologen von Auersperg, der als Folge de "Säuberungen" gerade das, wie Lorenz schreibt, "zuvor jüdisch Neurologische Institut" übernommen habe. Auersperg ergänzend, wollte Lorenz dan die bis dahin im Bühler-Institut dominante Humanpsychologie neu definieren: "Ic getraue mich augenblicklich, eine Vorlesung über vergleichende Psychologie in eigentlichen Sinne zu bauen, daß die menschliche Psychologie, vor allem die Sozialpsychologie des Menschen, die heute doch wirklich das Wichtigste in de Verhaltenslehre von Homo sapiens ist, absolut nicht zu kurz kommt. Vor allem aber wage ic zu behaupten, daß diese weltanschaulich willkommen sein wird, so willkommen, wie si bisher unwillkommen war". Mit nicht geringem Selbstbewußtsein fügte Lorenz hinzu daß er die Berufung und Verpflichtung in sich fühle, "Schule zu machen" un "ordnend ins Durcheinander" gerade der Psychologie "einzugreifen". Au diesem Grunde solle die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft ein "Doppelinstitut" fördern, in dem ein Psychiater und ein vergleichender Zoologe die traditionell "Human-Psychologie totdrücken" und etwas Neues an ihre Stelle setzen würden "Vor allem etwas wirklich "arteigenes" Deutsches, denn ich muß (i strengsten Vertrauen) sagen, daß die Humanpsychologie unter ihren heutigen deutsche Vertretern immer noch für die Kenner merklich von dem Gedankengut de jüdisch-daherredend und worteschwelgenden Judengrößen durchsetzt ist. Eine der wenige Fälle, wo ich das Schädlingstum der Juden uneingeschränkt anerkenne. Es gib raffsüchtige und unsoziale Arier genug, aber durch Wissenschaft zu Quatsch zu machen, da bringen wirklich nur jüdische Humanpsychologen zustande".

Das sind scheinbar eindeutige Aussagen. Doch über das Psychologen-Ehepaar Bühle besitzen wir schärfere, antijüdisch grundierte Urteile – von keinem Geringeren als von dem 1935 als "Volljuden" entlassenen Romanisten Victor Klemperer, der beid während ihrer Dresdner Zeit kennen-, aber nicht schützen lernte. Daß gerade Charlott Bühler als "Charakter" Aversionen auslöste, die sich dann nicht nur be Klemperer auch gegen ihr Judentum richteten, ist zudem vielfach sonst bezeugt. Loren hingegen neigt in seinen Darlegungen eher dazu, mit dem Kollektivsingular "Jude" vorsichtig umzugehen und die Negativa zu individualisieren. Will er doch das jüdisch "Schädlingstum" nur in "wenigen Fällen uneingeschränkt" zugestehen Daß er die geisteswissenschaftliche Orientierung der Psychologie auf die Dominanz de tatsächlich in dieser Disziplin in den 20er und 30er Jahren stark vertretenen jüdische Forscher reduziert, hätte Lorenz selbst den Vorwurf einhandeln können, unter jüdische Einfluß geraten zu sein. Denn jede Variante naturwissenschaftlich fundierter Psychologie wie sie Lorenz hier projektierte, galt aus NS-Sicht als abstrakte, "typisc jüdische", mechanistisch-materialistische "Psychologie ohne Seele". Gerad das "völlig in Geist aufgelöste Studium der menschlichen Psychologie" wollt Lorenz aber radikal zu einem "Gebiet induktiver Naturforschung" machen, wie e Stresemann 1938 ankündigte.

Die Wiener Fakultät hatte jedoch nicht das geringste Interesse an solchen Plänen. Si wollte einen der von Lorenz verachteten Vertreter der "Geist"-Psychologie zu Nachfolger Bühlers machen. Statt dessen erhielt sie, als Folge des Zusammenspiel zwischen dem in Königsberg habilitierten Heinrich Harmjanz, Rusts personalpolitische "Weichensteller", und Friedrich Plattner, dem von der Albertina nach Wie zurückgekehrten "Säuberungskommissar" der "Ostmark", de Königsberger Philosophen und Soziologen Gunther Ipsen zugewiesen. Und Ipsen wiederum zo Ende 1939 Arnold Gehlen vom Pregel an die Donau, so daß sich gerade in Lorenz’ Heimatstadt jenes Personalkarussell zu drehen begann, das ihn letztlich auf de Königsberger Lehrstuhl Ipsens befördern sollte.

An der Albertina hatten 1939/40 verschiedene Kräfte an einem Strang gezogen, um die ungewöhnliche, in Wien 1938 nicht einmal erwogene Berufung eines Zoologen auf de Psychologie-Lehrstuhl durchzusetzen. Gehlens Nachfolger, den sozialwissenschaftlic ausgebildeten Philosophen Eduard Baumgarten, beeinflußt vom US-amerikanische Pragmatismus, schwebte vor, ein interdisziplinäres Zentrum aufzubauen, wo Geistes- un Naturwissenschaftler die Fundamente einer neuen philosophischen Anthropologie lege sollten. Sein Kollege, der Zoologe Otto Koehler und Baumgartens erklärter Wunschpartner der Göttinger Physiologe Erich von Holst, waren der Ansicht, daß Lorenz der geeignet Mann für eine solche Kooperation sei. Wohl gegen den Widerstand von Teilen de Philosophischen Fakultät, aber mit Unterstützung des Ministeriums, des Königsberge Rektors von Grünberg und des Kurators Hoffmann, konnten Baumgarten und Koehler den Wiene Tierpsychologen im Herbst 1940 an die Albertina ziehen.

"Meine erste Entensendung ist schon ohne Verlust hier eingewöhnt Haltungsbedingungen erstklassig, ich habe schon neue Mandarinenten gekauft, was doc sicher ein Symptom für Entenoptimismus ist ... Für Sondergehege und Züchtung steht mi der Garten des Zoologischen Instituts zur Verfügung ... Ich werde hier alle Gewässer Schloßteich, Oberteich, Hammerteich und noch weitere öffentliche Anlagen, die nur dün beschwant (Höcker) sind, allmählich mit Graugänsen überziehen." Aus de Weihnachtsferien in Altenberg Anfang Januar 1941 schreibt er Stresemann: "Meinen noc vorhandenen Enten geht es in Königsberg ausgezeichnet ... Die Zuchtbedingungen sind s gut, daß ich garantiert innerhalb weniger Jahre mehr habe als je zuvor. Ich nehm (Altenberger) Gänse in etwas über einer Woche nach Königsberg mit. ,Die Reise de kleinen Niels Holgersson mit den Wildgänsen’, individuelle Wünsche treten jetz stark hinter kollektiven Sieg- und Friedenswünschen zurück!" Aus Königsberg heiß es dann am 30. Januar 1941: "... ich arbeite, seit ich hier bin, täglich bis in die tiefe Nacht unter ständiger kombinierter Pyramidon- und Coffeinwirkung ... und träum nachts von balzenden Erpeln."

()


 
     
     
 
Diese Seite als Bookmark speichern:
 
     
     
     

     
 

Weitere empfehlenswerte Seiten:

Sippenhaft

Deutschland braucht leistungsfähige Dienste

Acaxee

 
 
Erhalten:
 

 

   
 
 
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
WISSEN48 | ÜBERBLICK | THEMEN | DAS PROJEKT | SUCHE | RECHTLICHE HINWEISE | IMPRESSUM
Copyright © 2010 All rights reserved. Wissensarchiv