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Wie von Sinnen schlägt er auf die Frau ein. Er torkelt vor Trunkenheit und doch treffen seine Schläge sein Ziel, so als sei er programmiert auf sein Opfer. Die Frau hebt hilfesuchend die Arme, versucht sich zu schützen. Zwecklos. Sie fällt auf den Gehweg. Da ist er auch schon über ihr. Mit all seiner Kraft, die er trotz seines Alkoholspiegels noch hat, hält er sie am Boden, schlägt sie immer wieder, tritt sie mit Füßen. Da packt er ihr T-Shirt, reißt es hoch, will sie damit würgen. Da endlich, endlich greift die Polizei ein, reißt den Rasenden von seinem Opfer, nimmt ihn vorübergehend fest. - Und die Menschen im Umkreis verlassen den Ort dieses grausigen Geschehens, das sie vielleicht hätten verhindern, bestimmt aber verkürzen können. Sie aber standen nur da und sahen zu ...
So geschehen vor einigen Wochen in einer norddeutschen Kleinstadt, und ganz gewiß kein Einzelfall. Die Zeitungen sind voll solcher Meldungen über Gewalttaten zwischen Partnern unter Alkoholeinfluß, und dabei handelt es sich bei den Gewalttätigen nicht immer nur um Männer. Doch sie sind es, die allein wegen ihrer körperlichen Überlegenheit meist zu einem solchen "Ausweg" greifen.
Ein authentisch es Geschehen hat auch Kurt Biesalski inspiriert, seinen überaus spannenden und erschütternden Roman Die Frau des Trinkers (BS Verlag, Rostock, 408 Seiten, ISBN 3-935171-87-0, 24 Euro) zu schreiben. Er spielt in einem gottverlassenen Dorf in Mecklenburg, ein Kaff, das von dem Rest der Welt einfach vergessen wurde. Maren Jürß ist dorthin verschlagen worden, die kleine, schüchterne, etwas zurückgebliebene Maren, die während der Ferien an der Ostsee von einem smarten und hübschen Kerl namens Jörg Hinrichs geschwängert wurde. Irgendwann heiraten die beiden - die kleine Tochter ist längst auf der Welt. Maren ist wie verzaubert, wenn auch alle sie davor warnen, Jörg, den Blender, zu heiraten. Erste feine Risse bekommt ihre Beziehung, als Jörg sie vier Tage vor der Hochzeit schlägt. Maren aber läßt sich nicht abhalten von dieser Ehe, die in einer Tragödie enden muß.
Biesalski schildert feinfühlig das Leben dieser beiden so un-terschiedlichen Menschen, hier die zarte Maren, die geliebt werden will, Anerkennung sucht und sich für minderwertig hält, da der kräftige Jörg, der, ebenfalls nicht frei von Komplexen, dem Suff verfällt ("Ich kann jederzeit aufhören!") und sich wie ein wildgewordenes Tier über seine Frau hermacht, vor allem mit Prügeln. Die Schilderungen Biesalskis sind derart intensiv und voller Nähe, daß der Leser meint, mittendrin zu sein im dramatischen Geschehen.
Entstanden ist die Geschichte schon vor der Wende. Kurt Biesalski schrieb sie, wie alle seine Texte, mit der Hand: "Ich kann dann meine Augen schließen und sehe die Szenerie vor mir. Das Geschehen fließt dann direkt durch meine Hand aufs Papier. Korrekturen nehme ich erst ganz zum Schluß vor. Dann schreibt meine Frau das Manuskript mit der Maschine ab."
Als "Die Frau des Trinkers" dann endlich fertig war, kam die Wende, Biesalski wurde Bürgermeister in Hohen Viecheln, wo der am 16. Februar 1935 in Frankenau, Kreis Neidenburg, geborene Ostpreuße seit 1975 lebt und als freier Schriftsteller arbeitet. Als Bürgermeister hatte er viel zu schaffen, so viel, daß seine Gesundheit angegriffen wurde. Ein Herzinfarkt machte alldem ein Ende. Zunächst mußte die Gesundheit stabilisiert werden, dann ging s wieder ans Schreiben. Ein neuer Roman, Der Hauptgewinn, der zur Wendezeit spielt (ISBN 3-935171-13-7, 168 Seiten, brosch., 10 Euro), entstand, dann erst arbeitete Biesalski an den Feinheiten seiner "Frau des Trinkers".
Es sind vor allem die Sorgen und Nöte des kleinen Mannes, die Kurt Biesalski beschäftigen; soziale Probleme, Familienprobleme greift er auf, um sie dem Leser auf seine eindringliche Art näher zu bringen. Unmöglich, alle Titel hier aufzuzählen. Sein Roman "Duell" aus dem Jahr 1972 erlebte bisher fünf Auflagen und wurde unter dem Titel "Mann gegen Mann" 1976 von der DEFA verfilmt, ebenso die Titelnovelle aus dem Band "Letzte Liebe", die für das Fernsehen der DDR bearbeitet wurde. Schade nur, daß man im Westen von diesem außergewöhnlichen Autor aus Ostdeutschland, der durchaus in einem Atemzug mit Arno Surminski und Siegfried Lenz genannt werden darf, nur wenig weiß. Unsere treue und langjährige Leserin Anna-Luise Lucke aus Lüneburg war es, die in einem Brief an die Redaktion schrieb, sie hätte auf einem Flohmarkt (!) das Buch "Der kleine Mann" von Kurt Biesalski entdeckt und Kontakt zu dem Autor aufgenommen. Sie erreichte es auch, daß die Bücher des Ostdeutschland nun Aufnahme fanden in der Bibliothek des Ostdeutschen Landesmuseums. Biesalski dankbar: "Ich habe das Gefühl, auf diese Weise in der Heimat wieder angekommen zu sein."
Es war ein langer Weg, der Biesalski von Frankenau schließlich ins Museum führte. Nach dem Krieg und der Flucht besuchte er die Schule in Schwerin, wo er sein Abitur ablegte. Er wurde an der Offiziersschule der Volksmarine angenommen und wurde Leutnant zur See. Dann studierte er Germanistik und Anglistik an der Universität Rostock. 1965 ging er als Redakteur zum Fernsehfunk, zum Ostseestudio Rostock, nebenher veröffentlichte er erste literarische Arbeiten. "Unbekannt bis heute" hieß eine Fernsehreihe unter seiner Leitung, eine zweite: "Im Logbuch der Seefahrt geblättert". Seit 1975 lebt Kurt Biesalski als freier Schriftsteller.
Neben seinen Romanen sind es auch die kürzeren Texte, die Erzählungen oder Reportagen, die den Leser einfangen. Vieles spielt in Meck-lenburg, wo der Ostpreuße sein Zuhause gefunden hat. Doch auch ihm, der dieses neue Zuhause sehr schätzt, geschieht es schon einmal, daß er sich nach Ostdeutschland zurückversetzt fühlt, nachzulesen in der Liebeserklärung "Mein Meck-lenburg" (in "Eine Mutter" - Erzählungen, 2002). Unterhaltsam sind sie allemal, diese kurzen Texte. Doch nicht zu schlagen sind die von Kurt Biesalski neu erzählten Sagen aus Mecklenburg: Von Feuerkugeln, Schätzen und Ungeheuern - Sagen aus Wismar und Umgebung und Die rauhbeinigen Zwerge von Mecklenburg (beide Hinstorff Verlag, Rostock, geb. mit farbigem Schutzumschlag, je 9,90 Euro). Mit viel Witz und Humor erzählt der Ostpreuße die Geschichten um die Ünnerierdschen, die Unterirdischen, um Hexen und verzauberte Berge. "Mir macht es Spaß", so Biesalski, " und dabei lernen Kinder und Jugendliche die Sagen neu kennen und entwickeln so ein Gefühl für ihre Heimat." Ein gutes Stück kulturelles Erbe, das auf diese Weise vermittelt wird. Schließlich ist, so zitiert Biesalski im Vorwort zu einem Sagenbuch den Volkskundler und Sammler Richard Wossidlo (1859-1939), "nich all bloot Dudelkram un ut n Wind gräpen", was unsere Vorfahren zu berichten wußten. Peter van Lohuizen Kurt Biesalski: Vielseitiger Schriftsteller |
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