|
Das erste Wort, das ich schrieb, ist AME, mein chinesischer Name. Ich bin fünf Jahre alt, und wir leben in Chungking", erinnert sich Ingrid Noll, die zusammen mit drei Geschwistern als Tochter eines deutschen Arztes in Nanking aufwuchs. Es sei ein außergewöhnlicher Zaubertrick gewesen, den der Vater ihr beigebracht habe, so Noll. "Ich sehe die drei Zeichen und weiß: Das bin ich. Es ist Hexerei." Das Kind beginnt, diese Zauberwelt der Zeichen zu erobern. Es denkt sich Geschichten aus und schreibt sie heimlich auf. Heimlich deshalb, weil Eltern und Geschwister diese ersten Gehversuche der kleinen Ingrid in der Welt des Geschichtenerzählens nur belächeln. "Meine Geschichtchen und Bilder hält man für recht niedlich. Es ist mir peinlich, ich geniere mich."
Bald entdeckt sie die Welt der Bücher. "Ich lese früh, was mir von den Schätzen unserer Bibliothek in die Hände fällt, auch wenn ich vieles noch gar nicht verstehe." Sie ist zehn, als sie sich in "einen jungen Mann mit feinem Gesicht und hübschen Locken" verliebt - es ist Heinrich Heine, der ihr von einem Bild aus einem Buch entgegenlächelt. Sie ist 14, als die rauhe Wirklichkeit sie einholt. Die Familie zieht 1949 nach Deutschland, wo Ingrid ein katholisches Mädchengymnasium in Bad Godesberg besucht. Sie möchte die Schule so bald wie möglich hinter sich bringen und "eigentlich nur lesen und schreiben. Denn ich weiß: meine Zeilen vor mir auf dem Papier, das bin ich."
Doch so schnell schießen die Preußen nicht. Ingrid versucht es mit einem "richtigen" Beruf. Sie will Journalistin werden oder doch besser Lehrerin? Sie studiert in Bonn Germanistik und Kunstgeschichte. 1959 schließlich heiratet sie einen Arzt und schenkt ihm drei Kinder. Nun hat die Familie Vorrang.
Ingrid Noll ist 55 Jahre alt, als ihr erster Roman veröffentlicht wird. Der Krimi "Der Hahn ist tot", eine bitterböse Geschichte um eine Frau, die über Leichen geht, um den Liebsten zu erobern, wurde wie viele ihrer Romane verfilmt - "Die Apothekerin", "Die Häupter meiner Lieben" oder "Kalt ist der Abendhauch". Es sind Geschichten, die durchaus in der Nachbarschaft geschehen könnten, mit Menschen wie du und ich. Geschichten, in denen Frauen die Hauptrolle spielen, sprich den einen oder anderen Mann "um die Ecke bringen". Als Männerfeindin sieht Ingrid Noll sich nicht, und sie schmunzelt listig, als sie sagt: "Ich mag Männer, schließlich habe ich selber einen."
In ihrem neuen Roman "Ladylike" nun geht es um Lore und Anneliese, zwei Freundinnen, die sich im Alter zusammengetan und eine WG gegründet haben. "Der ganze Streß, den man im Zusammenleben mit einem Mann nun einmal hat, fällt völlig weg. Frauen sind belastbarer, friedlicher, kompromißbereiter ..." Von wegen! Lore grübelt immer wieder einmal, ob Anneliese ihren Mann nun tatsächlich ... Hat sie vielleicht auch etwas zu befürchten? Und als dann auch noch ein Ex von Anneliese auftaucht, ist der Frauenfrieden dahin. Mit "Ladylike" ist Ingrid Noll nicht nur ein Krimi gelungen, sondern auch ein Roman für Frauen und über Frauen, die ab einem gewissen Alter einfach übersehen werden. Anneliese und Lore tun alles, damit man sie nicht übersieht.
Ingrid Noll: "Ladylike", Diogenes, Zürich 2006, 324 Seiten, broschiert, 19,90 Euro. |
|