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Wer bin ich, und wer werde ich sein? Jeder Therapeut begrüßt es, wenn Menschen sich mal eine Auszeit nehmen und überlegen, wie sie mit sich und ihrer Umwelt zufrieden sind und was sie angesichts ihrer inneren Ziele und der äußeren Umstände ändern möchten und müssen. Dies gilt nicht nur für Einzelpersonen, sondern auch für Parteien. SPD und CDU versuchen jeweils für sich, ein neues Grundsatzprogramm zu erstellen. Eine Auszeit von den laufenden Regierungsgeschäfte n können sie sich allerdings nicht nehmen, und so müssen sie, während sie in Berlin versuchen, eine von Harmonie bestimmte große Koalition zu sein, nebenbei ihre Konturen für zukünftige Wahlkämpfe schärfen, in denen sie sich wieder als Konkurrenten um die Gunst des Wählers gegenüber stehen.
Derzeit scheint sich erstaunlicherweise die CDU mehr um die Gunst ihrer Basis zu kümmern, als die Sozialdemokraten, die so gern ihre Debattenkultur rühmen. Denn während die SPD interessierten Mitgliedern nur in einem Konferenzraum in Berlin eine Übertragung des Diskussionsbeginns ausgewählter Parteipolitiker zugestand, veranstaltet die CDU gleich mehrere Regionalkonferenzen, bei denen die Basis nicht nur zuhören, sondern auch mitreden kann.
Offenbar will die Basis sich auch aktiv an der Richtungssuche ihrer Partei beteiligen. Mit den Worten: "Wer kein Koordinatensystem hat, der wird irre an dieser Welt", leitete sie vergangene Woche in Potsdam die erste der fünf Regionalkonferenzen vor 1200 Delegierten ein. Auch in Fallingbostel durften und in Karlsruhe, Düsseldorf und Kassel dürfen sich die CDU-Mitglieder zu Wort melden. Ob das der CDU-Spitze immer gefällt und ob sie sich danach richten wird, ist anzuzweifeln.
So hat die CDU unter anderem angekündigt, sich von dem 1994 geschlossenen Grundsatz, die Ehe sei "das Leitbild der Gemeinschaft von Frau und Mann", zu verabschieden, schließlich sehe der deutsche Alltag heute ganz anders aus. Viele CDU-Mitglieder und
-Wähler wollen diesen Weg jedoch nicht mitgehen. Für viele haben sich die Konturen der Partei sowieso schon zu sehr aufgeweicht. Zu schwammig geworden und der SPD zu ähnlich, zu sehr nach links gerutscht, zu wenig freiheitsliebend, kaum noch christlich geprägt - die Kritikpunkte sind vielfältig. Auch das Elterngeld paßt nicht jedem, der sich den Christdemokraten verbunden fühlt. Familie zu fördern, sei ja durchaus begrüßenswert, doch warum schon wieder so bürokratisch? Weniger Staat war doch auch mal Maxime der beiden Unionsparteien, doch die Regierungsteilung mit der SPD scheint dies verdrängt zu haben.
Daß die beiden Parteien nach über zwölf Jahren ihre Grundsatzprogramme überarbeiten, ist trotz aller Bedenken und Zweifel begrüßenswert, da sie sich öffentlich festlegen müssen und am Ende des gewiß nicht einfachen Prozesses Parteimitglieder und auch die Wähler wissen, auf was sie sich da einlassen. Möglicherweise stolpert sogar eine der beiden Parteien über einen Bereich, in dem sie ihre Marschrichtung wirklich korrigieren muß - vielleicht sogar in die richtige Marschrichtung.
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