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Ausverkauf überkommener Werte

 
     
 
Die SPD in Berlin will einen Werteunterricht als Pflichtfach einführen. Ihr eigener Fachsenator plädierte vergeblich für ein Wahlpflichtfach, das zugunsten von Religion abwählbar sein sollte. Ihn hat man kaltschnäuzig überstimmt. Nach traditionellen "Werten" hätte jemand, dem das passiert, seinen Hut genommen. Auch die Bedenken seitens der Partei auf Bundesebene, wie von Bundestagspräsident Thierse und Bundeskanzler Schröder geäußert, werden in den Wind geschlagen.

Wie kann es eigentlich dazu kommen, daß überhaupt die Idee auftritt
, ein eigenes Fach "Werteunterricht" einzurichten? Die Ursachen sind unter anderem in der Entwicklung des schulischen Angebots und speziell darin zu suchen, mit welchem Inhalt einzelne Schulfächer gelehrt werden.

Traditionell wurden "Werte" und Kenntnisse über das Wertesystem anderer Kulturen und Religionen in allen Disziplinen vermittelt. Das geschah im Deutschunterricht zum Beispiel durch die Lektüre von Lessings Nathan, in Geschichte bei der Behandlung von Humanismus und Aufklärung, in Geographie durch die Vermittlung der Kultur der behandelten Länder, im Fach Gemeinschaftskunde durch Befassung mit den Grundrechten, in Physik bei der Erörterung der Folgen der Kernspaltung, in Chemie im Zusammenhang mit der Erörterung des Einsatzes von C-Waffen und in Biologie mit Blick auf die Genforschung - um nur einige, wenige Beispiele zu nennen. Entscheidend war, daß nicht etwa nur Techniken oder wertneutrale Kenntnisse vermittelt wurden Die Behandlung der "Werte" wurde nicht etwa in das Fach Religion abgeschoben. Durch die Beschäftigung mit jedem Fach sollten nicht nur Fakten gelehrt, sondern auch die Einordnung in ein Wertesystem verständlich gemacht werden. Dies scheint in Berlin weitgehend verlorengegangen zu sein, denn sonst wäre es nicht erklärbar, daß es eines gesonderten Fachs "Werteunterricht" bedarf.

Die Debatte erinnert in fataler Weise an die nicht sehr rühmliche Arbeit der sogenannten Grundwertekommission der SPD. Wer zunächst alle überkommenen Werte zur Dis-position stellt, darf sich nicht wundern, wenn ein Vakuum entsteht. Dabei wäre es doch so einfach: Bibel und Grundgesetz bieten alles Rüstzeug.

Wie hilflos der Versuch wirkt, eine Bündelung in einem Fach vorzunehmen, ergibt sich schon daraus, daß erst jetzt eine Arbeitsgruppe eingerichtet wird, die den Rahmenplan erarbeiten soll. Man nennt es "unausgegoren", wenn erst gehandelt und dann gedacht wird. Der Inhalt steht so wenig fest, daß spekuliert wird, ob vielleicht ein allgemeiner "Benimm-Unterricht" dabei herauskommt; immerhin eine Aufgabe, für die es Veranlassung genug gibt.

Sollte es tatsächlich darum gehen, ein zivilisiertes Miteinander einzu-üben, also elementare Regeln des Anstands und der guten Sitten bekannt zu machen? Sollte das Ziel sein, Versäumnisse mancher Elternhäuser auszubügeln, den Schülern mithin klar zu machen, daß Vandalismus und Rücksichtslosigkeit kein gedeihliches Miteinander ermöglichen, um so Hemmschwellen gegen Verwahrlosung aufzubauen? Soll versucht werden zu verdeutlichen, daß Eigeninteressen nicht in hemmungslosen Egoismus ausarten dürfen, daß ein bestimmtes soziales Verhalten unverzichtbar in einer Gemeinschaft ist? Dann aber ist der Kontext mit dem Fach Religion (womöglich bewußt) falsch gewählt. Man kann darüber streiten, ob ein Sammelsurium wie LER (Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde) und Religion in Brandenburg alternativ angeboten werden sollen, nicht aber ob eine Erziehung zu zivilisiertem Verhalten und das Fach Religion austauschbar wären. Es drängt sich der Verdacht auf, daß mit dem verschwommenen Begriff "Werte" ein Nebeneffekt erreicht werden soll, nämlich die Zurückdrängung des Religionsunterrichts auf kaltem Weg.

Das alles riecht stark nach PDS. Die brauchte aber gar nicht tätig zu werden. Sie kann sich ins Fäustchen lachen; die SPD hat die Arbeit in ihrem Sinne besorgt. Was diese bewegt? Auf der einen Seite die berechtigte Sorge, daß junge Leute immer weniger Voraussetzungen mitbringen, damit sie in das Berufsleben eingegliedert werden können. Der Präsident der Berliner Industrie- und Handelskammer hat berichtet, daß die Hälfte der Schulabgänger, die sich um einen Ausbildungsplatz bemühen, neben gravierenden Lücken im Schreiben und Rechnen vor allem erschrek-

kende Defizite im sozialen Verhalten aufwiesen. Insofern ist es richtig, daß die Schulen hier (endlich) veranlaßt werden, entsprechende Tugenden zu fordern und zu fördern. Zugleich bot sich auf der anderen Seite eine willkommene Gelegenheit, dem Fach Religion einen Tritt zu versetzen. Ohne weitere Erklärung: Von den SPD-Mitgliedern des Berliner Senats haben nur zwei die religiöse Eidesformel bei Amtsantritt gebraucht; von den drei PDS-Mitgliedern selbstredend niemand.

Schüler mit einem (nur pro forma) christlichen Elternhaus werden in beachtlicher Zahl auf den zusätzlichen Religionsunterricht verzichten, nicht zuletzt, weil er in Randstunden angeboten wird. Eine Umsetzung des Parteitagsbeschlusses in Berlin würde dazu führen, daß zwar alle Schüler pflichtgemäß am Werteunterricht teilnehmen; Kenntnisse über die Grundlagen der abendländischen Kultur, die ohne Wissen um Religion nicht möglich ist, liefert die Schule dann nicht mehr. Der unklare Inhalt, nicht hinreichend vorbereitete Lehrkräfte und die verbreitete Schülermentalität gegen zusätzlichen Unterricht werden daraus ein Gemisch machen, das gelangweit abgesessen wird.

Schüler aus moslemischen Familien werden auf Weisung ihres Familienoberhaupts am Islam-Unterricht teilnehmen und womöglich Koran-Schulen besuchen und auf diese Weise den Hintergrund ihres Kulturkreises intensiv kennenlernen.

Den "christlichen" Mitschülern wird Religion als grundlegender Bestandteil der europäischen Kultur und Geschichte weitgehend verschlossen bleiben. Im Grunde ist beides notwendig, sowohl ein "Werteunterricht", der zu einem konfliktfreien Miteinander erzieht, indem bestimmte Spielregeln eingehalten werden, und Religion als Fach, um die Grundlagen der europäischen Geschichte und Kultur zu vermitteln. Das Vorhaben der Berliner SPD dagegen führt letztlich zu einem Wandel der Gesellschaft - man kann es auch Ausverkauf überkommener Werte nennen.
 
     
     
 
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