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Der polnische Bauer aus einem kleinen Dorf unweit von Stargard in Pommern bewirtschaftet einige Hektar Land und Wiesen. Er tut das zusammen mit seiner Frau Sylvia und zwei halbwüchsigen Söhnen eher schlecht als recht. Etwas Milchwirtschaft und einiges an Weizen sind es, die spärliches Geld in die Kasse bringen, zuwenig eigentlich für den lebensnotwendigen Unterhalt. So geht Marek eben halbtags einer Zweitbeschäftigung als Aushilfe in einer Autowerkstatt im nahen Stargard nach. Ein Spagat, den Tausende von Bauern und vor allem die sogenannten Nebenerwerbsbauern in Polen zum Überleben machen.
Es ist nur zu verständlich, daß Marek O. sich vor in jüngster Zeit spürbar gewordenen Rückgängen beim Absatz seiner landwirtschaftlichen Produkte fürchtet. "Der Import von billigem Getreide wird uns ruinieren", sagte Marek und schimpft auf die polnische Regierung: "Die nimmt auf uns kleine Bauern keine Rücksicht."
So wie Marek O. protestieren viele polnische Landwirte, auch solche, die über beträchtlich größere Betriebseinheiten verfügen. Sie alle stehen zwar einem baldigen Eintritt ihres Landes in die EU durchaus positiv gegenüber, verteidigen aber entgegen den EU-Ansichten mit Zähnen und Klauen ihren bisherigen und in vielen Fällen kleinbäuerlichen Status.
Die Scholle auch die, die sie sich 1945 nach Vertreibung der Deutschen angeeignet haben ist für Polen ein Stück politischen Selbstbewußtseins.
Mit Spott und einigem Sarkasmus reagierten allerdings jetzt die polnischen Medien unter Zuhilfenahme regierungsamtlicher Stimmen und attestierten den Bauern Starrsinn sowie mangelndes Verständnis für größere wirtschaftliche Zusammenhänge. Die lobenswerte Standhaftigkeit der polnischen Agronomen ist eine Sache. Im Hinblick auf den zu erwartenden EU-Beitritt zeigt sich aber, daß die Medaille inzwischen auch zwei Seiten besitzt. Solange, heißt es zutreffend in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", nicht in großer Zahl rentable Höfe mit ausreichend Nutzland oder wenigstens bäuerlichen Genossenschaften gebildet würden, werde die Landwirtschaft unter rückständiger Technik und mangelnder Produktivität leiden.
Bittere Wahrheit auch für Marek O. in Pommern, der im Gespräch durchblicken läßt, er könne die Landwirtschaft auch an den Nagel hängen und ganztags in der Stargarder Autowerkstatt arbeiten. Solcherlei ist nicht nur von Marek, sondern auch von vielen anderen seiner Berufsgenossen zu hören. Was aber wird geschehen, wenn eintritt, was namhafte Skeptiker in Polen so umschreiben: Millionen Bauern werden nach einem Beitritt Polens zur EU, der einen rigiden Strukturwandel notwendig macht, ihre Arbeitsplätze verlieren.
In Warschau wird im Zusammenhang damit schon jetzt präventiv gefordert, daß beispielsweise Nebenerwerbsbauern wie Marek O. nicht auch noch zusätzlich den Arbeitsplatz in der Industrie verlieren. Dazu bedarf es aber geeigneter EU-Strukturmaßnahmen, die gemäß den Vorstellungen der sogenannten Agenda 2000 für die EU-Erweiterung finanziert werden sollen. Das allerdings wird gewaltige Summen verschlingen, bedenkt man allein die Tatsache, daß von den rund zwei Millionen Bauernhöfen in Polen, die jeweils über mehr als einen Hektar Nutzland verfügen, mehr als die Hälfte nicht für den Markt produzieren.
Marek O. hat allerdings noch eine andere Variante parat. Er wäre im Falle von völliger Arbeitslosigkeit in Polen bereit, in der Fremde sein Glück zu versuchen. Im Rahmen der EU-Mitgliedschaft kann er dieses problemlos tun. Und so wie Marek wird allenthalben gedacht, so daß hier für den europäischen Arbeitsmarkt eine Zeitbombe tickt.
Solcherlei denkbaren Szenarien wird im Bonner Landwirtschaftsministerium unter Jochen Borchert mit erstaunlicher Gelassenheit begegnet. Entsprechende Studien liegen offenbar nicht vor, so daß es bei der Aussage bleibt: Die bisherige gemeinsame Agrarpolitik, auch im Hinblick auf Polen, müsse erhalten bleiben, ausreichende Übergangsfristen für Beitrittsländer wie Polen würden es schon richten.
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