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Der Ehrliche ist bekanntlich stets der Dumme. An diese Volksweisheit mußte sich ein aus den Niederlanden stammender Brüsseler Europabeamter erinnert fühlen. Der Holländer hatte im Dezember das Straßburger Europaparlament über Betrügereien großen Stils in der Kommission informiert. Jetzt warfen die Kommissare ihren zu ehrlichen Diener fristlos raus.
Schon lange wird der Verdacht gehegt, daß jede siebte Mark aus dem Brüsseler Haushalt von 180 Milliarden Mark pro Jahr in die Taschen von Betrügern und Subventionserschleichern fließt. Das wären über 25 Milliarden Mark. Der jüngste Streit entzündete sich ausgerechnet an ein paar Millionen Mark aus einem Hilfsprogramm namens "Echo", mit dem humanitäre Aktionen für Flüchtlinge in Ruanda und im ehemaligen Jugoslawien finanziert werden.
Insgesamt hat "Echo" seit seiner Gründung 1992 etwa sieben Milliarden Mark ausgegeben. Daß Belege in Höhe von zwei Milliarden Mark nicht auffindbar sind, hatte für Kommissare und Europaparlamentarier keinen besonderen Neuigkeitswert. So etwas kommt häufiger vor, wie seit Jahren in den Berichten des Europäischen Rechnungshofes nachzulesen ist.
Richtig auf Touren kam die Europamaschinerei allerdings erst, als offenkundig wurde, wohin eine Million Mark geflossen war: Nämlich in die Taschen von Bekannten und Günstlingen der Kommission. Dazu wurden sogar Tarnfirmen in Luxemburg gegründet. Bei einer dieser Firmen wurden massenhaft Scheinarbeitsverhältnisse geführt und die Löhne aus "Echo"-Geldern bezahlt. Der Fachausdruck für diese ohne Genehmigung installierten Arbeitsverhältnisse heißt "U-Boote". Die französische EU-Kommissarin Edith Cresson geriet unter Beschuß, nachdem bekannt wurde, daß ausgerechnet ein Zahnarzt aus ihrer Heimatstadt auf der Lohnliste einer dieser Scheinfirmen stand.
"Wenn in der Europäischen Gemeinschaft weiter so betrogen wird, könnte die ganze EU daran scheitern", warnte bereits der Präsident des Luxemburger Rechnungshofes, Bernhard Friedmann. Ebenso wirkungslos wie "Echo" scheint zum Beispiel das EU-Programm zur Verbesserung der Reaktorsicherheit in Osteuropa zu sein. 1,5 Milliarden Mark stehen zur Verfügung, 600 Millionen wurden bereits ausgegeben. Für Friedmann ist jedoch nicht feststellbar, ob Fortschritte bei der nuklearen Sicherheit erzielt werden konnten. Statt dessen fand der Rechnungshof heraus, daß ausländische Beratungsfirmen osteuropäische Nuklearwissenschaftler zu Dumpinglöhnen anheuerten. Der Kommission wurden jedoch die zehnmal höheren Gehälter westeuropäischer Experten in Rechnung gestellt. Die Kommission müsse jetzt Konsequenzen ziehen, bis hin zu disziplinarischen und strafrechtlichen Maßnahmen, verlangte der oberste europäische Rechnungsprüfer. Das taten die Kommissare auch allerdings nicht im Sinne von Friedmann. Sie feuerten ausgerechnet den Beamten, der das Europaparlament über den Echo-Skandal informiert hatte.
Die einzige mit wenn auch bescheidenen Kontroll- und Strafmöglichkeiten gerüstete Institution ist das Europäische Parlament. Doch die Mehrheit der Abgeordneten traut sich nicht, den Kampf gegen die allmächtig erscheinenden Kommissare aufzunehmen.
Der Rauswurf des holländischen EU-Beamten ist aus Sicht der Kommissare allerdings konsequent. Medien-Experten der Kommission sind schon seit langem der Auffassung, "daß die öffentliche Meinung keineswegs mehr Informationen benötigt". Wichtiger sind den Eurokraten "stimulierende, spannende, motivierende Neuigkeiten", um die Bevölkerung EU-positiv zu stimmen, heißt es im Bericht einer EU-Expertengruppe.
Dieses kaschierende Denken hat in Brüssel längst Tradition. Schon 1954 gab die Hohe Behörde die "Entwaffnung der Einheitsgegner" als oberstes Ziel der eigenen Strategie aus.
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