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Daß Tony Blair und seine Labour Party die im Frühjahr kommenden Jahres anstehenden Unterhauswahlen gewinnen wird, ist für den Sprecher der britischen Botschaft in Paris so gut wie eine Selbstverständlichkeit. Diese Sicherheit begründet der Diplomat damit, daß die Engländer ihren Premier nicht nach seiner durchaus umstrittenen Haltung zum Irakkrieg, sondern nach der positiven Bilanz seiner Wirtschafts politik beurteilten. Auch dürfte für ihn von Vorteil sein, daß der geplante Volksentscheid zur EU-Verfassung erst für Ende 2006 angesetzt ist, so daß, selbst wenn die in Großbritannien stark vertretenen EU-Kritiker sich durchsetzen würden, dies nicht mehr wahlentscheidend sein könnte. Sollte die EU-Verfassung in England abgelehnt werden, hätte dies zwar möglicherweise Tony Blairs Rücktritt zur Folge, aber sein Schatzkanzler Gordon Brown würde als Nachfolger dafür Sorge tragen, daß die Regierungsmacht weiter in den Händen Labours bliebe.
Obwohl der Volksentscheid zur EU-Verfassung erst eineinhalb Jahre nach den Unterhauswahlen stattfinden soll, sei davon auszugehen, daß diese und die britische Europapolitik Wahlkampfthema würden. So hätten viele Engländer den Eindruck, daß sie von Brüssel übervorteilt würden. Da in der Bevölkerung schon jetzt der Eindruck vorherrsche, zu viel an die EU zu zahlen, dürfte die von der EU-Kommission vorgesehene Streichung des in den 80er Jahren von Margaret Thatcher ausgehandelten Britenrabatts die Gemüter noch zusätzlich erhitzen. Kaum einer glaube, daß London genug Einfluß habe, um die Streichung noch zu verhindern, was die englischen EU-Politiker allerdings nicht unwidersprochen hinnehmen könnten. So sei davon auszugehen, daß es beim nächsten EU-Gipfel zu harten Auseinandersetzungen zwischen Großbritannien und den übrigen EU-Staaten kommen werde, da die englische Regierung innenpolitisch ihr Gesicht wahren müsse. Da das Vereinigte Königreich aber auch ein offenes Zerwürfnis mit der EU vermeiden wolle, wäre ein Kompromiß denkbar, in dem der Finanzrabatt gegen eine für Großbritannien günstige Neuverhandlung über den EU-Agrarhaushalt aufgegeben würde. England hätte somit ein ihm am Herzen liegendes Anliegen endlich durchgesetzt, und in der Summe würden so dem britischen Steuerzahler keine Mehrbelastungen aufgebürdet werden.
Auf die Frage, ob das Königreich aus der EU austreten würde, falls die im Land stark vertretenen EU-Kritiker sich beim Volksentscheid zur EU-Verfassung durchsetzen könnten, wehrte der Botschaftssprecher ab. Es sei nicht englische EU-Politik, sich aus Europa ganz zurückzuziehen. Sollten nicht alle 25 Mitgliedsstaaten die EU-Verfassung ratifizieren, dann müsse die EU nach neuen gemeinsam gangbaren Wegen suchen.
Die Entscheidung für Jose Manuel Barroso als neuen EU-Kommissionspräsidenten wird von London gutgeheißen. Sollte Barroso sich jedoch über seine Kompetenzen hinweg in britische Interessen einmischen, bestünden von englischer Seite her keinerlei Hemmungen, ihm seine Grenzen aufzuzeigen, denn für Großbritannien sei es stets wichtig gewesen, seine ureigensten Angelegenheiten von der EU unangetastet zu lassen.
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