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Die russische Seite hätte den jüngsten gemeinsamen Gipfel mit der EU am 29. Mai in Moskau mit ihren Forderungen beinahe zum Scheitern gebracht. Kein Zweifel, die offizielle Harmonie zwischen Brüssel und dem Kreml hat Risse bekommen. Hinter den girlandenhaften Floskeln der Diplomatie drohen indes schon seit längerem handfeste Interessen beider Seiten zu kollidieren. Mit dem Näher- rücken der EU-Osterweiterung lassen sich gravierende Meinungsverschiedenheiten nicht länger verbergen.
Rußlands Staatspräsident Wladimir Putin eröffnete das Treffen im Kreml mit kritischen Äußerungen zur Position der EU zum Thema Königsberg. Er unterstrich erneut, daß bislang alle Vorschläge seines Landes für die Regelung des Transits von Menschen und Gütern zwischen dem Königsberger Gebiet und den übrigen Teilen der Russischen Föderation in Brüssel kein Verständnis gefunden hätten. Putin bemängelte, daß die Visumpflicht das Recht der Russen auf freie Beziehungen zu Verwandten, die im nördlichen Ostdeutschland leben, abhängig mache von den Entscheidungen der einen oder anderen ausländischen Regierung. Von der endgültigen Lösung des Transitproblems hänge ab, wie sich die zukünftigen Beziehungen zwischen seinem Staat und der Europäischen Union gestalteten, ließ der Präsident wissen. Es hieß sogar, solange es die Visumpflicht gebe, könnten Moskau und die EU nicht ernsthaft befreundet sein.
Während die Europäische Union sich davon überzeugt gibt, daß die Osterweiterung nicht nur für ihre Mitglieder und Beitrittskandidaten Wohlstand und Vorteile bringen werde, sondern auch für andere Länder wie nicht zuletzt Rußland, verglich Putin die Situation Königsbergs mit der West-Berlins im Kalten Krieg. Seiner Ansicht nach wurde selbst in diesen Zeiten das Problem der Verbindung zwischen den Bewohnern der Berliner Westsektoren und Westdeutschlands demokratischer gelöst, als es die Europäer jetzt den Königsbergern zumuteten. Diese Äußerung sollte die Europäer offensichtlich an ihrer empfindlichsten Stelle treffen: Putin glaubte einen psychologischen Sieg zu erringen, wenn er die EU-Entscheidung als einen Angriff auf die Menschenrechte der Königsberger Bürger hinstellte.
In seiner Eröffnungsrede sprach er davon, daß die Beziehungen zwischen seinem Staat und der EU "bereits eine solide Geschichte, deren Erörterung sich häufig im Kreise drehe", besäßen. Er rief dazu auf, diesen "geschlossenen Kreis" zu durchbrechen, weil sich anders "unsere Treffen in belanglose Diskussionsrunden umzuwandeln drohen".
Die Zeitung "Wremja Nowostej" beklagt, daß in den acht Jahren, die seit der Unterzeichung der Vereinbarung über die Partnerschaft und Zusammenarbeit mit der EU vergangen sind, nur gegenseitige Höflichkeitsgesten ausgetauscht worden seien. Die russische Diplomatie habe sich in den 90er Jahren zwar ausgiebig dem Kampf gegen die Ausweitung der Nato verschrieben, was heute überhaupt kein Problem mehr darstelle, das Thema "Vergrößerung der EU" habe sie dagegen stets auf später verschoben.
In dasselbe Horn wie der russische Präsident hatte bereits zuvor der Gouverneur des Königsberger Gebiets, Wladimir Jegorow, gestoßen. So hat er laut Nachrichtenagentur "RIA Nowosti" bei einem ebenfalls in Rußlands Hauptstadt stattfindenden runden Tisch davor gewarnt, sein Zuständigkeitsbereich könnte in ein "großes Reservat" der EU und Nato verwandelt werden. Bis jetzt gebe es noch keine Fortschritte bei der Erörterung der Visumfrage für die Bewohner der Exklave. Weder von seiten der EU-Vertreter noch von Litauen und Polen seien wegweisende Vorschläge gekommen.
Jegorow wies auf eine Fülle an Problemen hin und bezifferte die Zahl der Betroffenen auf einige Millionen Einwohner, die jährlich die Grenzen passieren. Dabei unterstrich er, daß eine Verschärfung der Regeln für den Grenzübertritt nicht nur unsozial sei, weil viele Einwohner des Königsberger Gebietes bei einer Einführung begrenzter Visa überhaupt nicht mehr reisen könnten, sondern auch negative Auswirkungen auf die Auslastung des Königsberger Hafens haben könnte, dessen Güterumschlag im vergangenen Jahr bei 8,6 Millionen Tonnen lag. Selbst eine leichte Verschärfung würde nicht nur die Arbeit erschweren, sondern auch die Wettbewerbsfähigkeit jener Firmen schädigen, die die Dienste des Hafens in Anspruch nehmen, betonte der Politiker.
Jegorow schlug vor, daß bis zur endgültigen Entscheidung über die EU-Aufnahme Polens und Litauens die Bestimmungen des Schengener Abkommens an ihren Grenzen keine Anwendung finden sollten. Dies würde Rußland noch einige Jahre Zeit für die Lösung des Problems einbringen. Der Gouverneur forderte abermals den visumfreien Transit von und nach Königsberg per Pkw und per Bahn. Eine Möglichkeit sei, so Jegorow, eine Liste der Passagiere aufzustellen, die nach einem problemlosen Grenzübertritt beim Transit von der Polizei überwacht würden.
Ausdrücklich wandte sich der Russe gegen das im Schengener Abkommen vorgesehene Führen einer "schwarzen Liste" von Personen, denen kein Visum ausgestellt werden dürfe. Auf diese Liste könne man, so der Admiral a. D., bereits gesetzt werden, "wenn man ein Visumformular falsch ausfüllt".
Der ebenfalls anwesende schwedische Botschafter Sven Hirdmann versicherte den Teilnehmern des runden Tisches, daß Schengen-Visa schnell und zu einem angemessenen Preis ausgestellt würden. Hierzu könnte er sich eine Erhöhung der Ausweitung litauischer und polnischer Botschaftsdienstleistungen vorstellen. Es sei auch möglich, ein Mehrfach-Visum für diejenigen einzuführen, die aus beruflichen Gründen häufiger über die Grenzen müssen. Daneben müsse der Prozeß der Versorgung der Bewohner Königsbergs mit Auslandspässen beschleunigt sowie die technische Ausstattung der Grenzübergänge in das Gebiet verbessert werden. Diese Probleme müsse aber nicht primär die EU lösen, sondern Rußland. Der Botschafter betonte, daß die EU weiterhin auf ihr Recht der "Ausweisung" von unerwünschten Personen bestehe, die von russischem Gebiet aus in Länder der EU gelangen, und auf die Garantieerklärung Rußlands, diese wieder zurückzunehmen.
"Seit acht Jahren nur Höflichkeitsgesten ausgetauscht": Rußlands Präsident Putin (re.) mit dem amtierenden EU-Ratspräsidenten, Spaniens Premier José Maria Aznar, am 29. Mai in Moskau |
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