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Ein Wanderverein, der in Braunschweig eigentlich erst 55 Jahre „unter den Sohlen“ hat, feierte dort am Sonnabend, 13. Mai, sein 125jähriges Bestehen. Was etwas widersprüchlich klingt, resultiert aus bewegter Vergangenheit. Das gilt auch für den geographisch nicht ohne Vorkenntnis einzuordnenden Namen: „Glatzer Gebirgsverein“ (GGV).
1881 wurde der Verein in der schlesischen Festungsstadt Glatz (polnisch: Klodzko) gegründet. Der „GGV“ sorgte in der waldreichen, von Bergen umkränzten Grafschaft Glatz für Ausbau und Markierung der Wanderwege und genoß gesellschaftlich hohes Ansehen. 1945, mit der Ausweisung der Deutschen aus Schlesien, wurden auch die „GGVer“ in alle Winde vertrieben. Viele kamen nach Niedersachsen, besonders in den Raum Braunschweig. Das führte 1951 dort zur Neugründung des Vereins unter altem Namen. Heute hat er in der Bundesrepublik 1015 Mitglieder, darunter auch eine „Sektion“ für westlich der Weser wohnende mit Sitz in Düsseldorf.
Neben dem Wandergedanken wird natürlich die Erinnerung an die Heimat hochgehalten. So sind der von den Polen zerstörte Kaiser-Wilhelm-Turm auf dem 1425 Meter hohen Glatzer Schneeberg und die „Glatzer Rose“, bei Botanikern als wildwachsende „Europäische Trollblume “ bekannt, noch immer Symbol und Abzeichen des Vereins.
Zur Feier in der Stadt Heinrichs des Löwen scharten sich etwa 150 Mitglieder um die Vereinsfahne aus dem Jahr 1955. Der – übrigens schon nicht mehr in Schlesien geborene – 1. Vorsitzende des Vereins, Christian Drescher, Braunschweigs Oberbürgermeister, Dr. Gert Hoffmann, und der polnische Vize-Bürgermeister von Glatz, Michalski, sprachen Grußworte. Aus Berlin war der aus der Grafschaft Glatz stammende Apostolische Nuntius, Erzbischof Dr. Erwin Josef Ender, gekommen, um in der Kirche St. Aegidien den Festgottesdienst zu zelebrieren.
Historie und Heimatkunde zugleich brachte der ebenfalls aus dem Glatzer Land stammende emeritierte Hamburger Professor Dr. Arno Herzig in seinen Festvortrag ein: „Die Geschichte der Grafschaft Glatz und ihre Verbindungen zum Herzogtum Braunschweig“. Er erinnerte auch daran, daß die Gründung des „Glatzer Gebirgsvereins“ im Jahre 1881 zeitlich etwa einherging mit dem Bau der Bahnlinien in die berühmten Heilbäder der Grafschaft Glatz, Bad Altheide, Bad Reinerz, Bad Kudowa und Bad Landeck, und mit dem damit zusammenhängenden Beginn des Tourismus. Bis 1945 führte die Reichsbahn sogar einen Kurswagen vom Schlesischen Bahnhof in Berlin (dem „katholischen“, wie die Spree-Athener gern spotteten) bis nach Bad Kudowa, nahe der tschechischen Grenze. Die Heilbäder des Glatzer Berglandes sind unter den Namen Polanica Zdrój für Altheide, Duznicki Zdrój für Reinerz, Kudowa Zrdój und Ladeck Zdrój für Kudowa und Landeck auch heute noch von Polen gepflegte, vielbesuchte und beworbene Kurorte.
Als Brückenschlag zur Heimat ist zu werten, daß der „Glatzer Gebirgs-Verein“ seine 125 Jahre nicht nur in Braunschweig feierte, sondern eine Woche darauf auch mit den Polen in der Gründungsstadt Glatz.
Mit Bussen und Privatwagen waren neben den Braunschweiger „GGVern“ auch Mitglieder des Patenvereins „Sauerländischer Gebirgsverein (SGV) aus Lüdenscheid und eine Gruppe Grafschafter Wallfahrer mit ihrem Großdechanten, Prälat Franz Jung, Münster, zu den Feierlichkeiten in die Grafschaft Glatz gekommen. Nach einem Festgottesdienst in der Glatzer Dekanatskirche, zelebriert vom Großdechanten, wurde an einem Haus im Stadtmittelpunkt, in dem einst der Gebirgsverein gegründet worden war, eine Gedenktafel (in deutscher und polnischer Sprache) enthüllt. Nachmittags war Gelegenheit im „Museum Ziemi Klodzkiej“ (Museum des Glatzer Landes) eine Ausstellung zu besuchen, die dem „Gebirgsverein“ als „Quelle der touristischen Bewegung im Glatzer Land“ gewidmet war. Den Tag beschloß ein Festkonzert im Kurpark von Bad Altheide, das von dem Chor „Concerto Glacensis“ sowie von dem Polizeichor Marburg gestaltet wurde.
Die folgenden Tage sahen unter anderem als Programmpunkte vor: die Lichterprozession in der Basilika von Albendorf (Wambierzyce), dem einst „schlesisches Jerusalem“ genannten Wallfahrtsort, Besichtigungen der alten Papiermühle in Bad Reinerz, des Joseph-Wittig-Museums in Neurode und der Kristallglashütte in Seitenberg sowie natürlich auch – wie es sich für einen Wanderverein geziemt – eine Jubiläumswanderung. Der schloß sich – höchst erfreulich – auch eine Gruppe der „Polnischen Gesellschaft für Touristik und Heimatkunde“ an.
Gefeiert wurde das Jubiläum auch in der Heimat |
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