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Dieselbe Prozedur wie in jedem Jahr: Wenn ich meinen Freund Jacques in der Normandie, in einem Dörfchen südwestlich von Rouen, besuche, schreitet er nach der Begrüßung zur Bücherwand, um mir voller Stolz ein ihm besonders wichtiges Werk zu präsentieren, ein Buch über die Invasion 1944. Nicht irgendeine der zahlreichen französischen Darstellungen, sondern das Buch eines deutschen Autors: die französische Ausgabe von Paul Carells "Sie kommen!" ("Ils arrivent!").
Vorn eine persönliche Widmung des Autors: "Quel succès que les temps qui sont décrives dans cette livre sont fini - c est ça!" ("Welch ein Erfolg, daß die Zeiten, die in diesem Buch beschrieben werden, vorbei sind.") Und diese Widmung hat natürlich eine Vorgeschichte.
Monsieur Jacques war im Sommer 1944 gerade 16 Jahre alt. Aus gelegentlichen Kontakten mit deutschen Soldaten ist ihm heute noch das Wort "Achtung!" geläufig. Ernsthafte Probleme mit den Besatzern hatte er nicht, obwohl er manchmal kleinere Botengänge für die Résistance übernahm.
In den ersten Jahren unserer Bekanntschaft war sein Bild von Deutschland und den Deutschen noch sehr stark geprägt von zeitgeschichtlichen Darstellungen aus der Sicht der Sieger. Dem konnte ich aber abhelfen. Der Journalist und Schriftsteller Paul Carell hatte mir erzählt, daß die aktualisierte Neuauflage seines Standardwerks über die Invasion ("Sie kommen!", Ullstein-Verlag) zum 50. Jahrestag auch in Frankreich erschien - ein passendes Gastgeschenk für meinen nächsten Besuch bei Jacques.
Beim nächsten Gegenbesuch brachte er das Buch wieder mit, ganz begeistert: Das sei die wahre Geschichte der Schlacht um die Normandie, so habe er die Ereignisse auch in Erinnerung, und es sei eben wichtig, nicht nur einer Seite zu glauben.
Beim nächsten Treffen berichtete ich Paul Carell und ließ mir Jacques Buch signieren. Dies war - frei nach "Casablanca" - der Beginn einer langen Freundschaft. So begleiteten Carells Buch und die vielen Diskussionen, die ich darüber mit Monsieur Jacques geführt habe, mich nun auch, als ich zum Abschluß meines Urlaubs die 60-Jahr-Feiern in der Normandie vor Ort beobachtete.
Zwar weiß ich nicht, wie viele Franzosen inzwischen Paul Carells "Ils arrivent!" gelesen haben.
Ein gravierender Stimmungsumschwung gegenüber den Deutschen war aber in diesen Tagen in der Normandie deutlich spürbar. Und zwar sowohl bei jungen als auch bei älteren Menschen. Aktuelle Umfragen bestätigen dies: 80 Prozent der Franzosen sehen demzufolge heute die Deutschen als ihre wichtigsten und engsten Partner und Freunde; vor zehn Jahren hatte diese Zahl noch bei knapp über 30 Prozent gelegen.
Auch bei den Veteranen, die das Bild der Feierlichkeiten in der Normandie - zu Recht - wesentlich bestimmten, hört man heute fast nur noch Positives über den einstigen Kriegsgegner. Vor allem die Tapferkeit, aber auch Korrektheit, Ritterlichkeit und Vaterlandsliebe der deutschen Soldaten werden hervorgehoben. Und immer wieder wird betont: Wir sind längst keine Feinde mehr.
Für Frankreichs Jugend sind Begriffe wie "Erbfeindschaft" ohnehin Relikte aus einer anderen Welt. Man ist sich nicht mehr fremd, man hat weitgehend gleiche Interessen, zum Beispiel in der Musik, der Freizeitgestaltung. Auch wird in den französischen Medien ein weitaus freundlicheres Deutschlandbild gezeichnet als beispielsweise in England, wo Dümmlichkeiten über die ach so primitiven Teutonen nach wie vor Hochkonjunktur haben.
Für die Franzosen stand - so unser Eindruck in vielen Gesprächen - an diesem 60. Jahrestag des "Decision Day" (Tag der Entscheidung) die Erinnerung an die Befreiung von Fremdherrschaft im Vordergrund, nicht die nachträgliche Dämonisierung derer, die diese Fremdherrschaft ausübten. Uns wurde jedenfalls nie das Gefühl vermittelt, immer noch als Feinde oder Verlierer angesehen zu sein. Die Worte, mit denen Staatspräsident Chirac Bundeskanzler Schröder begrüßte, waren so ehrlich leider nur selten bei Politikern.
Organisatorisch hatten die Franzosen das "D-Day"-Spektakel gut im Griff. Dank perfekter, aber nie unangenehm hinderlicher Sicherheitsvorkehrungen verliefen alle Veranstaltungen ohne ernstere Zwischenfälle ab. Dies ist um so beachtlicher, als bei den zentralen Veranstaltungen in Caen, Bayeux, Arromanches oder Staint-Mère-Eglise Zigtausende Gäste aus aller Welt angeführt wurden von insgesamt 24 Staats- und Regierungschefs; da hat man schon kleinere Gipfel mit auffälligerem Polizeiaufgebot und trotzdem massiveren Krawallen erlebt.
Als sich die Veteranen-Invasions-Karawane auf den Rückmarsch machte, war zwar die Autobahn A 13 von Caen nach Paris zeitweise "dicht". Ansonsten fielen aber nur die ungewöhnlich zahlreichen Oldtimer auf. Zum Beispiel ein belgischer Autonarr, der einen 60jährigen Original-Jeep sein eigen nennt: Wie damals am 6. Juni 1944 sollte das Gefährt allerdings nicht aus eigener Kraft in die Normandie gelangen, sondern diesmal auf einem Transportanhänger, um dann am Omaha-Beach noch einmal eine Runde zu drehen. Oder ein Trupp englischer Veteranen, die anscheinend die Autobahn Richtung Calais mit dem Strand von Courseulles-sur-Mer verwechelten und mit ihren Uralt-Landrovern ein letztes Mal vorführten, wie man auch unter schwerstem feindlichen Beschuß vorwärts kommt - im Zickzack!
Am Abend dieses langen Tages waren wir dann doch wieder die Verlierer: Im Umkreis von 70 Kilometern um unser Nachtquartier waren alle Restaurants entweder geschlossen ("Fermé dimanche soir", davon macht man auch am "D-Day" keine Ausnahme) oder "complet", also völlig ausgebucht. So landeten wir schließlich in einer Crêperie in Aumale in der Picardie, deren Inhaber offenbar zu den letzten praktizierenden Deutschenhassern Frankreichs zählt.
Aufmarsch der Veteranen: Nicht nur in Arromanches trafen sich die am "D-Day" 1944 beteiligten Soldaten. |
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