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Das Drama in der Neustädter Bucht

 
     
 
Die ständigen Flüchtlingstransporte mit Überlast, die Angriffe der Alliierten und schließlich auch Treibstoffknappheit führten dazu, daß diverse Handelsschiffe kurzfristig außer Betrieb genommen und an der vermeintlich relativ sicheren schleswig-holsteinischen Ostseeküste geparkt wurden. Dazu gehörten auch die in der Neustädter Bucht vor Anker liegenden großen Passagierschiffe "Cap Arcona" und "Deutschland" sowie die im Lübecker Industriehafen liegenden Frachtschiffe "Thielbeck", "Athen", "Elmenhorst" und "Ottersberg"

Dieser Schiffsraum weckte die Begehrlichkeiten des NSDAP-Gauleiters und Reichsstatthalters von Hamburg, Karl Kaufmann. Die Briten näherten sich vom Süden her der zweitgrößten Stadt des Reiches und so stellte sich die Frage, was mit den Insassen des südöstlich der Hansestadt gelegenen Konzentrationslagers Neuengamme geschehen solle. Kaufmann nutzte seine Befugnisse als Reichsverteidigungskommissar und Reichskommissar für die Seeschiffahrt (Reikosee), um die Insassen hierhin zu verlegen. Am 23. April übernahm er hierfür von der Schiffahrtsabteilung der Seekriegsleitung die 27.561 Bruttoregistertonnen große, 205,9 Meter lange und 25,78 Meter breite "Cap Arcona", die 21.046 Bruttoregistertonnen große, 206,3 Meter lange und 24 Meter breite "Deutschland", die 2.815 Bruttoregistertonnen große, 98 Meter lange und 14,6 Meter breite "Thielbek" sowie die 4.450 Bruttoregistertonnen große, 122,5 Meter lange und 17 Meter breite "Athen". Die "Cap Arcona" wurde mit über 4.700 Häftlingen belegt und die "Thielbek" mit bis zu 2.800, die "Athen" wurde als Zubringer für die beiden Schiffe eingesetzt und die "Deutschland" blieb vorerst ungenutzt.

Diese Schiffsansammlung im Westen der Ostsee erregte aber auch das Interesse der Briten. Obwohl das Kriegsende absehbar und nur noch eine Frage von Tagen war, planten sie einen Vernichtungsschlag aus der Luft gegen die aus dem Osten zurückkehrenden und stillgelegten deutschen Handelsschiffe an der schleswig-holsteinische
n Ostseeküste. In den frühen Morgenstunden des 3. Mai gab das Hauptquartier der 2. Taktischen Luftflotte der Royal Air Force (RAF) in Süchteln den Einsatzbefehl für die Gruppe 83 mit 14 Staffeln, sechs Staffeln der Gruppe 84 sowie Einheiten des Küstenkommandos und der 9. Luftflotte, für insgesamt 200 Flugzeuge. Um 12 Uhr begann die Luftoffensive. Am Ende dieses Tages waren 23 deutsche Schiffe versenkt und 115 beschädigt. Wie viele Menschen dabei so wenige Tage vor Kriegsende noch ihr Leben lassen mußten, ist bis heute nicht bekannt und wird angesichts des Chaos in den letzten Kriegstagen möglicherweise auch unbekannt bleiben.

Im Rahmen dieser RAF-Offensive vom 3. Mai startete um 14 Uhr vom Fliegerhorst Plantünne bei Nordhorn die Staffel 198 der Gruppe 84. Zur Staffel gehörten neun einmotorige Jagdbomber des Typs Typhoon I B. Abgesehen von den üblichen Bordwaffen waren die Maschinen mit der neuen Waffe Rakete bestückt. Eine halbe Stunde nach dem Start erreichten sie ihr Zielgebiet, die Neustädter Bucht. Sie stürzten sich auf die Häftlingsschiffe "Cap Arcona" und "Thielbek".

Fünf Jagdbomber griffen die "Cap Arcona" im Tiefflug an und feuerten ihre Raketen als Salve ab, nachdem die sich dem Passagierschiff auf Schußentfernung genähert hatten. Das Ergebnis waren 40 Volltreffer. Verheerend wirkte sich an der neuen Waffe aus, daß die Raketen nicht einfach nur explodierten, sondern darüber hinaus langfristig eine extreme Hitze abstrahlten. So verwandelte sich das Schiff trotz seiner Größe umgehend in ein loderndes Flammenmeer und brannte aus.

Die übrigen vier Typhoons verschossen ihre Raketen nicht weniger folgenreich auf die in 800 Metern Entfernung liegende "Thielbek". Das Frachtschiff erhielt starke Backbordschlagseite und ging innerhalb einer Viertelstunde unter.

Wie schrieb der Staffelkommandant Scott Rumboldt nach dem Test der neuen Raketenwaffe, der dieser Angriff des 3. Mai auch war, in sein Logbuch: "Gutes Feuer entwickelte sich nach dem Angriff."

Erschwerend kam hinzu, daß die britischen Kriegsflugzeuge nach ihrem Raketenangriff nicht von ihren Opfern abließen, sondern nun alles, was sich noch zu retten versuchte und bewegte, ebenso mit konventionellen Bordwaffen beschossen wie Zivilisten an Land. So sind die Verlustzahlen entsprechend hoch. Von den über 4.700 Häftlingen der "Cap Arcona" überlebten nur 350, von den bis zu 2.800 der "Thielbeck" nur 50. Insgesamt fanden bei dem Angriff rund 8.000 Menschen den Tod. Wenige Stunden später, gegen 16.30 Uhr rückten die vor den Toren Neustadts wartenden britischen Panzer, ohne auf Widerstand zu stoßen, in die Stadt ein. Um 17 Uhr erreichten sie mit dem Marktplatz das Zentrum der Stadt.

D. Beutler
 
     
     
 
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