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Zwei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs gelangte eine stolze Meldung aus Posen an die deutsche Öffentlichkeit, der zunächst nur wenig Beachtung geschenkt wurde. Am 4. Februar 1947 berichtete ein anonym bleibender polnischer Bibliothekar der Posener Universität in der seinerzeit auflagenstarken Berliner Tageszeitung "Telegraf" über eine SS-Sammlung von rund 140 000 Büchern und Akten in seinem Bestand, deren Bergung er bereits im "März 1945" eingeleitet haben wollte. Was der Archivar inmitten halbverkohlter Schriftstücke im Barockschloß der Grafen Haugwitz in Schlesiersee/Landkreis Glogau vorgefunden hatte, waren die Überreste des von Heinrich Himmler 1935 erteilten "H-Sonderauftrages des Reichsführers-SS", durch den ein Überblick über die mittelalterlichen Hexenverfolgungen in Deutschland erstellt werden sollte. Strafprozeßakten und Kriminaluntersuchungen befaßten sich mit der Inquisition zwischen dem 13. und 18. Jahrhundert. In historischen Büchern entdeckte der Bibliothekar "angekreuzte Stellen, wo die verschiedenen Foltermethoden beschrieben sind", was ihn zu der falschen Schlußfolgerung verführte: "Diese Abteilung der SS hatte die Aufgabe, in der Vergangenheit angewandte Methoden der Quälerei zu erforschen" um sie dann selbst anzuwenden.
Tatsächlich aber handelte es sich bei dem in Schlesiersee verbliebenen Archiv um eine äußerst signifikante Dokumentation der weltanschaulichen Interessen des Nationalsozialismus. Namentlich Himmler, der seine Schutzstaffel als antichristlichen Orden zur Wiederherstellung der "reinen germanischen Kultur" begriff, war stets bemüht, Material für die ideologische Auseinandersetzung mit der Kirche zusammenzutragen.
Eine eingehende Beschreibung und Bewertung der wenig bekannten NS-Hexenforschung bietet nun der von den Forschern Lorenz, Bauer, Behringer und Schmidt herausgegebene Sammelband "Himmlers Hexenkartothek. Das Interesse des Nationalsozialismus an der Hexenverfolgung". Verschiedene Aufsätze widmen sich erstmals in dieser Form der umfangreichen Materialsammlung und bringen sie so auch der Öffentlichkeit näher. Trotz des akademischen Ansatzes ist der Band auch dem Laien zugänglich und erhellt in verschiedenen Ansätzen ohne ideologische Voreingenommenheit den auf den ersten Blick sonderbaren Forschungsauftrag Himmlers. Störend sind allerdings die zum Teil vorkommenden Überschneidungen und Wiederholungen der einzelnen Beiträge.
Mit dem nur Eingeweihten verständlichen "H-Sonderauftrag" wurden SS-Forscher darauf angesetzt, sämtliche Archive und Bibliotheken auf der Suche nach den Spuren der Hexenprozesse zu durchkämmen. Herausgekommen war dabei eine bisher einzigartige Sammlung von 33 846 Karteibögen im DIN-A4-Format, die Hexenverfolgungen und -verbrennungen, teilweise sogar in Indien und Mexiko, in der sogenannten "Hexenkartothek" dokumentierten und zusammenfaßten. Unter Leitung der SS-Führer Six, Spengler und Levin begannen mehr oder weniger kompetente "Hexen-Forscher" mit den Recherchen. Es überwiegen Regional- und Lokalstudien; die Karteikarten verzeichnen soweit wie möglich Namen und Herkunft der Hingerichteten sowie den Grund für die Verurteilung.
Der "H-Sonderauftrag" war bis zum April 1936 mit der "SS-Schrifttumsstelle Leipzig" verbunden und hatte seinen Sitz zunächst in der renommierten Deutschen Bücherei. Danach zog die Kartothek in das von den Nationalsozialisten konfiszierte Freimaurer-Logenhaus nach Berlin-Wilmersdorf, bis sie kriegsbedingt 1943 nach Niederschlesien ausgelagert wurde. Der größte Teil befindet sich heute in den Beständen der Universitätsbibliothek Posen; Teile wurden 1989/90 aber auch im "NS-Sonderarchiv" der DDR-Staatssicherheit in Berlin-Hohenschönhausen entdeckt.
Die Gründe für den Aufbau der insgesamt riesigen Hexenkartothek sind in der spezifischen nationalsozialistischen Ideologie zu suchen und lassen sich daher auch nicht wie oft behauptet auf Himmlers übliche "Narreteien und Possen" reduzieren. Himmler sah im Hexenwahn des Mittelalters nichts Geringeres als eine Art frühneuzeitlichen Holocaust am Germanentum, begangen von der katholischen Kirche.
Aber nicht nur gemäß seiner Weltanschauung sah er natürlich letztendlich auch dahinter den "ewigen Juden" am Werk. In einer Ansprache auf dem Reichsbauerntag in Goslar führte er 1935 dazu aus: "Wir sehen, wie die Scheiterhaufen aufloderten, auf denen nach ungezählten Zehntausenden die zermarterten und zerfetzten Leiber unserer Mütter und Mädchen unseres Volkes im Hexenprozeß zu Asche brannten. Wir können in vielen Fällen nur ahnen, daß hier unser aller ewiger Feind, der Jude, in irgendeinem Mantel oder durch irgendeine seiner Organisationen seine blutige Hand im Spiel hatte." Daß die Hexenverfolgungen "das deutsche Volk Hunderttausende von Müttern und Frauen gekostet" habe, wurde er nicht müde zu wiederholen.
Himmler sah in den als Hexen, Zauberer, Wahrsager oder Wunderheiler Hingerichteten nicht zuletzt Träger der alten germanischen Volkskultur, die die Kirche im Jahrhunderte währenden Kampf auszurotten trachtete. Die in der Hexenkartothek zusammengefaßten Namen sollten, so eine Überlegung Himmlers, "auf die Blutfahne der Bewegung" geschrieben werden. Unter den Führungsfiguren des Dritten Reiches war der Reichsführer-SS zweifelsohne am stärksten darauf bedacht, den völkischen und somit genuin antichristlichen Charakter des Nationalsozialismus herauszustreichen. Die bereits in seiner Person angelegte Mixtur aus altgermanischem Schamanenglauben und andererseits stringent rationaler Arbeitsweise ließen ihn zu einer Art Inkarnation des Regimes mit seiner vielfach attestierten Doppelgesichtigkeit zwischen Moderne und Romantizismus werden.
Schwärmerische Ideenkomplexe gingen bei ihm eine eigenartige Verbindung mit kühler Sachlichkeit ein. Und erlebte er seine eigentliche Befriedigung in der Umsetzung der von Hitler vorgezeichneten Rassentheorie, so ist auf der anderen Seite überliefert, mit welcher Euphorie er seinen SS-Männern Lauch und Mineralwasser als das "beste Frühstück" empfahl oder allen Ernstes glaubte, der politische Gegner könne mit Konzentrationsübungen zum Geständnis gebracht werden. In Dachau ließ er Kräutergärten anlegen, um den Häftlingen die Genüsse vegetarischer Kost nahezubringen. Als "Reinkarnation Heinrichs I.", der im 10. Jahrhundert gegen die Ungarn und Slawen zu Felde gezogen war, setzte er den sich auflösenden Werten der "westlichen" Zivilisation ein Gemisch aus Rassenlehre und Runengläubigkeit entgegen. Zwar hielt der Katholik Hitler bekanntlich nicht viel von Himmlers Neuheidentum und den Initiationsriten im Fackelschein in den Ordensburgen, doch war er andererseits auf sein emotionsloses Funktionieren angewiesen.
Bei der Durchführung des "H-Sonderauftrages" konnte sich Himmler sowohl auf Rosenberg wie auch die Phalanx der Nordisten stützen. Im "Mythus des 20. Jahrhunderts" hatte Rosenberg den Hexenwahn von den Etruskern abgeleitet. Eigentlich sei er jedoch "syro-asiatischen" Ursprungs, somit orientalisch wie auch das Christentum selbst. Mit dem Mittel der Hexenverfolgungen habe die Kirche, so Rosenberg, die alte europäische Kultur zerstört und eine Gewaltherrschaft mit einer "rassewidrigen Weltanschauung" errichtet. In dieser Theorie wurde er von dem Nordisten Kummer unterstützt. Während der dem "SS-Ahnenerbe" nahestehende Otto Höfler zwar die Hexenverfolgungen auf die Tradition des altgermanischen Männerbundwesens zurückführte, war er sich dennoch mit Himmler einig, daß es sich dabei letztlich um eine "Ausrottung wertvollen deutschen Blutes" durch die Kirche gehandelt habe.
Rudolf Levin, der als eine Art "Projektleiter" der SS-Hexenforschung fungierte, faßte den "H-Sonderauftrag" einmal so zusammen: "Erforschung der rassen- und bevölkerungsgeschichtlichen Wirkung der Hexenprozesse sowie der wirtschaftsgeschichtlichen Folgewirkungen der Hexenprozesse; Bewertung der Frau in den Hexenprozessen und schließlich ein Überblick über das bisherige Schrifttum zu den Hexenprozessen sowie das Verfertigen einer thematischen Bibliographie". Im Endeffekt sind nur die letzten beiden Vorhaben sowie das namentliche Zusammentragen der Hingerichteten in der Kartothek geglückt, mehr aber auch nicht. Der wissenschaftliche Ertrag der rund neunjährigen Forschungsarbeit darf mit Fug und Recht als bescheiden eingestuft werden. Immer wieder angetrieben von Himmler im Hintergrund, hatten sich die Hexenforscher noch 1942 großen Plänen verschrieben: ein "Grundbuch der H-Forschung" versprachen sie dem Reichsführer alsbald zu erstellen sowie endlich die "geisteswissenschaftlichen Grundlagen des H-Komplexes" zu liefern doch der Eifer, mit dem sie die fast 34 000 Hexenprozesse auf großformatigen Karteikarten erfaßten, wurde nicht unbedingt durch wissenschaftliches Können und die Fähigkeit zu Analyse und Bewertung der aufgefundenen Fallbeispiele ergänzt. So kann sich die Bilanz des "H-Sonderauftrags" kaum sehen lassen: In den neun Jahren war nicht ein einziges Buch zum Thema erschienen, und auch die dabei entstandene Habilitationsschrift von Levin fiel so blamabel aus, daß sie an der Universität München nicht zugelassen wurde. Ursprünglich hatte Himmler zusätzlich den Plan verfolgt, die wissenschaftliche Seite von einer populistischen begleiten zu lassen. Zu diesem Zweck hatte er den sudetendeutschen Schriftsteller Friedrich Norfolk engagiert, unterhaltsame Hexenromane mit antichristlicher Tendenz zu verfassen. Doch dessen Plan, gleich eine ganze "Hexentrilogie" zu schreiben, erschien Himmler dann doch zu kompliziert. Er empfahl "eine ganze Menge kleinerer H-Geschichten mit 60 bis 100 Seiten, die bequem in kürzester Zeit durchgelesen werden können". Warum er in diesem Zusammenhang nicht den Experten Goebbels hinzuzog, kann wohl nur wie so häufig mit der systemimmanenten Konkurrenz innerhalb der NS-Machtstrukturen erklärt werden. Auch die Hexen-Kurzgeschichten von Norfolk sind niemals erschienen.
Die neuere Hexenforschung hat sich erst spät der in Posen fast vergessenen Kartothek angenommen. Nachdem sich in den siebziger Jahren französische Forscher mit den Erträgen der SS-Forschung beschäftigten, wurde sie in Westdeutschland im eigentlichen erst seit 1981 wahrgenommen. Da die wissenschaftlichen Ergebnisse äußerst gering sind, ist lediglich die gewaltige Fleißarbeit der Kartothek mit ihrer namentlichen Aufzählung hingerichteter Hexen von Interesse. Einen Ertrag erbrachte der "H-Sonderauftrag" aber doch, und zwar für den Reichsführer-SS selbst, der bekanntlich nicht einmal den von ihm für den Orden geforderten "großen Ahnennachweis" bis 1750 zu erbringen vermochte. Mit "diebischer Freude", so die Überlieferung, meldete ihm Heydrich 1939, daß in Himmlers Ahnengalerie offensichtlich tatsächlich eine Hexe auftauche: Margareth Himbler aus Markelsheim, am 4. April 1629 auf dem Scheiterhaufen hingerichtet.
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