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Joachim Kardinal Meisner, Kardinal zu Köln, griff zu schwerem Kaliber: Die Unionsparteien, so seine rigorose Forderung, sollten das "C" aus ihren Namen streichen. Denn mit der Berufung der demonstrativ unverheirateten Mutter Katherina Reiche ins "Kompetenzteam" des Kanzlerkandidaten habe man sich in einer Kernfrage von zentralen christlichen Glaubenssätzen verabschiedet, habe also auch kein Recht mehr, sich "christlich" zu nennen.
Im Prinzip hat der rheinische Oberhirte recht. Die Ehe ist - übrigens nicht nur für Katholiken, sondern genauso für Protestanten - eine zentrale Institution, Keimzelle sowohl der kirchlichen Gemeinde als auch der staatlich organisierten Gesellschaft. Wer sich christlich nennt, hat dies zu akzeptieren. Hinzu kommt, daß auch die "weltliche Instanz", sprich der Staat, sich diese christlich-religiöse Position zu eigen gemacht hat. Aus gutem Grund haben 1949 die Väter und Mütter des Grundgesetzes dem besonderen Schutz der Ehe höchsten Verfassungsrang eingeräumt. Wer der Ehe diesen besonderen Rang verwehrt, handelt streng genommen weder christlich noch verfassungskonform.
Allerdings kann man auch nicht die Augen vor den Realitäten des Lebens verschließen. Christliche Lehre und Grundgesetz beschreiben einen Idealzustand, der vor einem halben Jahrhundert noch ziemlich nahe am Normalzustand lag. Seither hat sich unsere Gesellschaft gründlich verändert. Es wird immer weniger geheiratet, man lebt halt so zusammen, auf Probe oder auf Zeit - vom Ehepartner zum Lebenspartner und weiter zum Lebensabschnittspartner, so verlief die Entwicklung. Eine Folge: Wir haben in Deutschland immer weniger Kinder, und von denen wächst ein immer größerer Anteil in "unvollständigen Familien" auf.
Auch wer diese Entwicklung aus religiösen, sittlichen oder verfassungsrechtlichen Gründen für falsch hält, wird die Zeit nicht zurückdrehen können. Längst sind die Weichen gestellt, längst ist der Zug abgefahren. Man kann nicht einfach den Rückwärtsgang einschalten. Worum es jetzt geht: Die gesellschafts- und familienpolitischen Weichen sind in diesem letzten halben Jahrhundert oft (nicht immer!) falsch gestellt worden. Also müssen sie heute neu - richtig - gestellt werden. Es wäre fatal, Familienpolitik nur als rückwärtsgewandten Reparaturbetrieb zu verstehen; sie muß zukunftsorientiert sein, Fehlentwicklungen korrigieren, plausible Antworten auf neue Herausforderungen geben. Dabei ist die Rückbesinnung auf traditionelle, leider aus der Mode gekommene (oder auch systematisch zerstörte) Werte äußerst hilfreich, kann aber freilich nicht das alleinige Allheilmittel sein.
Katherina Reiche, die resolute junge Dame aus Potsdam, ist sozusagen ein Kind ihrer Zeit. Sie gestaltet ihr Privatleben so, wie Millionen anderer junger Frauen und Mütter das auch machen. Wenn sie aber im Wahlkampf die Familienpolitik der sich christlich nennenden Unionsparteien vertreten soll, ist sie nicht mehr nur Privatperson, sondern hat auch eine Vorbildfunktion. Und da kann man durchaus der Meinung sein, hier sei ein falsches Signal gezeigt worden - man muß es ja nicht gleich so rigo- ros formulieren wie Kardinal Meisner. Edmund Stoiber wäre jedenfalls in betont konservativen Wählerkreisen einiger Ärger erspart geblieben, wenn man in seinem Umfeld mit der familienpolitischen Kompetenz etwas sensibler umgegangen wär |
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