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Eine merkwürdige Szene war am vergangenen Wochenende zu beobachten: Der Direktor des IWF, Horst Köhler, liest den Teilnehmern des Weltwirtschaftsforums in New York indirekt die Leviten, indem er den mehr als 2.000 versammelten Wirtschaftsbossen und Politikern vorwirft, die Gesellschaft in den reichen Ländern sei zu egoistisch, um Vorteile aufzugeben. Und er erntet dafür spontanen Beifall. Dabei ist das Faktum ziemlich alt: Schon der Moralphilosoph und Begründer der modernen Wirtschafts wissenschaft Adam Smith warnte vor der Versuchung des Reichtums. Die kommerzielle Gesinnung enge den Geist des Menschen ein, schrieb er in seinem Standardwerk vom Wohlstand der Nationen, und ersticke „die heroische Gesinnung“. Wieviel Heroismus die Wirtschaftslenker bei ihrem Globalisierungstreiben mitbringen, sei als Frage dahingestellt. Sicher ist, daß das Unbehagen an der Globalisierung spätestens mit dem 11. September bei Unternehmern und großen Bossen angekommen ist. Es war immer ein verdrängtes Thema der Management-Aristokratie zwischen Davos und New York. Ethik stört die Performance, schrieb eine Sonntagszeitung vor einigen Monaten im Wirtschaftsteil geradezu symptomatisch für das Denken der Globalisierungsgewinnler. Die Suche nach der sozialen Komponente der Globalisierung blieb bisher stets unter- entwickelt.
So nimmt es nicht wunder, daß anfangs auch diesmal über dem Weltwirtschaftsforum ein Schatten lag. Man warf den in diesem Jahr im Waldorf-Astoria-Hotel in New York versammelten Managern und Politikern vor, nur auf Profit bedacht zu sein. Nun muß die Politik immer mit der Unzulänglichkeit und den Schwächen des Menschen rechnen, nicht nur in den oberen Etagen multinationaler Unternehmen. Gerade wenn es um Geld geht. Machiavelli sagt es hart: „Die Menschen vergessen rascher den Tod ihres Vaters als den Verlust des väterlichen Erbes“. Aber ist es zwingend zu behaupten, wer nur Markt denke, der versage bei sozialen Fragen? In New York schien jedenfalls das Nachdenken angesagt zu sein.
Das hat sicher mit dem 11. September zu tun, und so gesehen war es ein Glücksgriff des Forum-Begründers Professor Schwab, die erste Tagung nach dem Angriff auf Amerika nach New York zu verlegen. Auch wenn es keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Terror und der Globalisierung gibt - Hauptmotiv der Terroristen war der „Heilige Krieg“ gegen die Feinde des Islam, nicht die sozialen Unterschiede in der Welt, die ja auch in Amerika selbst zu beobachten sind -, der Schock von Tod und Zerstörung sitzt tief und regt zum Nachdenken über die wirklich wichtigen Dinge des Lebens an.
Auch die Rezession mag ihren Teil dazu beigetragen haben, aber man ahnte es schon längst: Es wäre dringender denn je, ein Weltgemeinwohl zu definieren, wenn der Terror des Kommunismus nicht vom Terror des Kapitalismus abgelöst werden soll. Denn das wäre die Unterwerfung unter eine Theorie, „die den Profit zur alleinigen Regel und zum letzten Zweck aller wirtschaftlichen Tätigkeit macht“, und das ist, so die Väter des Zweiten Vatikanum, „sittlich unannehmbar“. In Gaudium et Spes ist sogar weiter zu lesen: „Ungezügelte Geldgier zieht böse Folgen nach sich. Sie ist eine der Ursachen der zahlreichen Konflikte, die die Gesellschaftsordnung stören.“
Natürlich läßt sich auch hier kein unmittelbarer, ursächlicher Zusammenhang herstellen zwischen dieser Analyse und dem Treffen in New York. Es geht um die Geisteshaltung. Für die Kapitalisten in Amerika definiert ihn Edward Luttwak, einer der angesehensten Autoren in den USA („Weltwirtschaftskrieg“ und „Turbo-Kapitalismus“), so: „In den USA herrscht ein säkularisierter Calvinismus, im übertragenen Sinne also der Glaube, daß der Wert des Menschen von seinem wirtschaftlichen Erfolg abhängt.“ Viel Geld, viel Ehr. Auch in Deutschland scheint das zum Maßstab zu werden. Die Politik redet nur noch von Geld.
Die ausschließliche Regulierung der Wirtschaft durch das Gesetz des freien Marktes verstößt gegen die soziale Gerechtigkeit, meint nicht nur der Papst.
Es gibt unzählige menschliche Bedürfnisse, die keinen Zugang zum Markt haben. Deshalb erinnert der in diesen Fragen durchaus bewanderte Pontifex maximus daran, daß es Aufgabe der Wirtschaftslenker und der Politik sei, auf eine Regelung des Marktes hinzuwirken, die auf das Wohl aller ausgerichtet sei. Es ist in der Tat höchste Zeit, daß die Politik, also jene, die von der Allgemeinheit gewählt sind, um sich um das Gemeinwohl zu kümmern, Maßstäbe und Regeln für die Globalisierung finden. Das deutsche Modell der sozialen Marktwirtschaft bietet da einige Anregungen, das Prinzip der Subsidiarität ebenfalls.
Sicher, mit ein paar gutgemeinten, aber unverbindlichen Empfehlungen aus dem Waldorf-Astoria ist es nicht getan. Aber man kann immerhin konstatieren, daß eine neue Nachdenklichkeit eingezogen ist in den oberen Etagen. Das berechtigt zur Hoffnung, daß die Politik nachzieht und so die krassen Ungerechtigkeiten in der Welt entschiedener angegangen werden.
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