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Wenn ich an Stanislaus Cauer zurückdenke, steigen in meiner Erinnerung immer lichte und helle Bilder auf. Hell und groß war das Atelier in der Akademie, hell und licht seine Wohnung, ebenfalls draußen in Ratslinden, hell und schön die Frauen, die ihn dort umgaben, seine Gattin mit dem stillen, fein geschnittenen Gesicht und die drei schönen Töchter; licht und hell war überhaupt die ganze Erscheinung des Künstlers, von der etwas Großzügiges und Hochherziges ausstrahlte. Ich sehe ihn noch deutlich am Teetisch seines Schwiegersohn s sitzen in seinem grauen eleganten Anzug, die Arme weit auf den Sessellehnen ausgebreitet, den Blick in die Ferne gerichtet, während er weltmännisch von seinen Jugendjahren in Italien und den Künstlern um ihn erzählte. Ich sog alles durstig in mich hinein. Dabei erschien er mir bereits betagt, zählte er doch schon fünfundfünfzig Jahre, war also doppelt so alt wie ich.
Er wurde ganz ungewollt Mittelpunkt des kleinen Kreises (das waren Dr. Baltzer und seine junge Frau Marietta, geb. Cauer, sowie die ebenfalls jung verheirateten Ehepaare Bohlmann und Harich und ich). Zu unseren Erzählungen gab er eigene ähnliche Erlebnisse zum besten. Aber wie herrlich verstand er zu plaudern, alles nur leicht andeutend und doch so farbig, daß wir es nie vergaßen! Er hatte zwanzig Jahre in Rom gelernt, und seine Malerfreunde lebten noch im Stil jener Generation, deren Streiche Maupassant in seinen Kurzgeschichten berichtet hat.
Hier will ich nur eine kleine Anekdote wiedergeben, die bei uns, in Königsberg selbst, spielte: Cauer hatte für das kleine Mädchen auf dem entzückenden Eva-Brunnen eine seiner Töchter zum Modell genommen. Gemäß der Prüderie jener Jahre war dem Kinde eingeschärft worden, hierüber zu niemandem zu sprechen. Trotzdem, als die Hülle des Denkmals fiel, tönte über den zu dieser Stunde feierlich stillen Altstädtischen Markt ein helles, unüberhörbares Kinderstimmchen: "Das ist die Titi Cauer."
In den Jahren 1921 und 1922 war ich zuweilen Gast in der Familie des Künstlers. Eines Tages, es muß Sommer gewesen sein, fragte mich Cauer, ob er eine Bildnisbüste von mir machen dürfe. Dürfe? Es war eine ganz große Ehre für mich. So fuhr ich nun in diesen Sommertagen (wieder sieht in der Erinnerung alles licht und hell aus) viermal vormittags in die Akademie hinaus. Cauer stand vor mir, jetzt als souveräner Künstler; der hölzerne Träger mit der Tonmasse stand zwischen uns. Und ich sah nun, wie der Künstler mit seinen Händen aus einem Erdenkloß das Bild eines Menschen knetete ... Ich bin später noch manchmal gemalt worden, aber dies irdische Gleichnis eines göttlichen Vorgangs erlebt man wohl nur in der Bildhauerei. Langsam wandelte sich die Masse in Geist, ja, ich sah in meinem Gesicht jetzt mehr als in meinem Spiegelbild, nämlich ein inneres Wesen, von dem ich nicht gewußt hatte, daß es sich in meinen Zügen ausdrücke. Die Büste war ein großes Geschenk für mich, aber noch mehr bedeutete mir das Geheimnis ihrer Entstehung.
Martin A. Borrmann: Porträt (Gips, 192 |
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