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Der Schritt durchs Tor

 
     
 
Vor einigen Tagen habe ich eine kleine Geschichte gelesen. Sie erzählt von einem wunderbaren Garten, in den man durch eine kleine Pforte hineingelangt. Auf der gegenüberliegenden Seite befindet sich ein großes Tor, durch das alle Bewohner den Garten einmal wieder verlassen müssen. Das Ansehen des Tores verwandelt sich je nachdem, wie die Menschen es ansehen. Von einem Menschen wird erzählt, daß er resigniert angesichts der Tatsache, durch diese Tor hindurch den Garten doch wieder verlassen zu müssen. Alle Freude am Dasein hat er verloren. Pläne kann er nicht fassen und am Ende verschwindet er durch dieses Tor, das für ihn dunkel und bedrohlich aussieht.

Ein anderer erkennt auch die Kraft des Tores. Er verfällt in Hektik
und Raffgier, weil er in kurzer Zeit ohne Rücksicht auf den Garten und andere Bewohner soviel als möglich mitnehmen möchte. Am Ende fällt ihm alles aus den Händen, als er durch das Tor muß, obwohl er sich wehrt, und auch für ihn ist das Tor düster und schwer. Ein dritter erkennt auch die Kraft des Tores. Aber er bemerkt auch, wie sie ihn befähigt, als Helfer und Heilender in diesem Garten zu leben, weil er sich ihr nicht widersetzt. Als er nach langer Zeit am Tor anlangt, weiß er, daß er hindurch muß. Weil er vorher auch bemerkt hat, daß die Kraftquelle hinter dem Tor liegen muß, geht er zwar traurig, aber in großer Ruhe und gespannter Erwartung durch das Tor, das sich für ihn leicht und in herrlichen Farben öffnet.

Natürlich haben Sie, liebe Leserinnen und Leser, bemerkt: Hier wird die Geschichte unseres Lebens interpretiert. Unsere Geburt bringt uns in den Garten des Lebens, durch das Tor gehen wir wieder hinaus, wenn wir sterben. Wie wir mit dem Gedanken an Tod und Verlassen umgehen, wirkt sich auf unser Leben aus. Wer das Nachdenken über Tod und Sterben in Pflegeheime und die Einzelzimmer von Krankenhäusern verdrängt oder auf die Friedhöfe im November, der muß sich nicht beklagen, daß wir in dieser Welt lieblos und kalt miteinander umgehen und über wichtige Dinge des Lebens nicht ins Gespräch kommen. Wem alles egal ist auf dieser Welt, weil sowieso alles einmal zu Ende ist, der kann Zerstörung anrichten, ohne nach der Schuld zu fragen. Wer Tod und Sterben überlisten und das Leben immer mehr verlängern möchte, der wird am Ende nicht mehr sorgsam mit dem Geschenk des Lebens umgehen können. Der dritte Mensch in der Geschichte setzt sich mit dem Ende auseinander auf eine Art und Weise, die sein Leben sinnvoll und erfüllt macht.

Ich lese diese Geschichte auch als Christ und will sie so interpretieren: Ich erfahre den Garten des Lebens als ein Geschenk. Ich habe nichts dazu beigetragen, um dort hineinzukommen. Ich sehe das Tor, das diesen Garten abschließt, und erkenne, daß es ein Teil des Gartens, meines Lebens ist, auf den ich keinen Einfluß habe. Anfang und Ende werden mir gesetzt. Von der Kraft des Tores glaube ich, daß sie Teil der Kraft ist, die mich vom Beginn bis zum Ende meines Aufenthaltes in diesem Garten auch umgibt, daß sie von Gott kommt und größer ist als der Garten mitsamt dem Tor. Das Tor ist der Ausgang aus diesem Garten, aber es trennt mich nicht von der Kraft Gottes, die mich leben und Liebe erfahren läßt, die mich tröstet und ermuntert und hoffen läßt.

Das weiß ich seit Ostern, seit Christus als Mensch dieses Tor durchschritten hat, aber nicht entschwunden ist auf Nimmerwiedersehen. Gottes Kraft erwies sich als stärker denn die unerbittlichen Flügel des Tores. Sie hat dieses Tor durchlässig gemacht und uns Hoffnung gegeben, daß auch hinter dem Tor, außerhalb des Gartens, seine Kraft uns hält und trägt, was auch immer geschieht und wo wir dann sind. Seitdem müssen Schwere und Dunkelheit des Tores uns nicht erdrücken und die Lebensfreude nehmen. Seitdem hoffen und glauben wir, daß wir hinter dem Tor der Quelle der Kraft begegnen, die uns jetzt schon leben läßt. Wir erkennen den Garten des Lebens als Teil des Ganzen, das seiner Vollendung entgegengeht. Wir hoffen, daß wir dann immer bei Gott sein werden. Die Bibel erzählt davon in den schönsten Bildern, die das Leben bereit hält: vom Hochzeitsfest, von einer wunderbaren Stadt, von einem Leben ohne Leid und Tränen.

Am Totensonntag denken wir an die Menschen, die vor uns durch das Tor gegangen sind, und die entstandenen Lücken werden uns schmerzlich bewußt. Stärker als an anderen Tagen des Jahres denken wir daran, daß auch wir einmal durch dieses Tor gehen werden. Das läßt uns nach dem Sinn und Ziel unseres Lebens fragen. "Lehre uns bedenken, daß wir sterben müssen, auf daß wir klug werden", heißt es deshalb im Psalm 90.

Doch dieser Sonntag heißt auch Ewigkeitssonntag. Neben die Traurigkeit stellt er die Hoffnung auf Gott, dessen Kraft stärker ist als der Tod. Der Ewigkeitssonntag läßt uns das Tor als Durchgang sehen, läßt uns in Gedanken hindurchschauen auf das Dahinter. Der Sonntag erzählt von der Kraft Gottes, die uns die Traurigkeiten und Verlassenheiten des Lebens, die Unzulänglichkeiten dieses Gartens tragen hilft. Er läßt uns mit Paulus sagen: "Ich bin gewiß, daß weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch

Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Jesus Christus ist, unserm Herrn" (Römer 8, 38-39).

 

Maria als Gottesmutter und Ordenspatronin: Um 1400 werden der Heiligen im Deutschordensland Preußen besondere Kunstwerke gewidmet. Die preußischen Schreinmadonnen rücken die Ordenspatronin ins Zentrum der Verehrung. Nur sechs dieser Meisterwerke aus Holz haben die Zeit überdauert. Eines von ihnen ist im Ostdeutschen Landesmuseum in Lüneburg zu sehen. Sie ist mit 1,32 Metern Höhe nicht nur die größte, sondern mit ihrem Lächeln und dem verspielt wirkenden Jesuskind auch die schönste der sechs Schreinmadonnen, die bis heute erhalten sind. In der Mantelinnenseite erbitten 48 Schutzflehende den Beistand der Gottesmutter.

Ursprünglich für die Kapelle der Deutschordensburg in Elbing bestimmt, findet sich die Schreinmadonna nach 1500 im Hochaltar der Dominikaner-Klosterkirche wieder. 1525 wird diese zur evangelischen Hauptkirche St. Marien in Elbing. Die Odyssee der Schreinmadonna beginnt mit der Kriegszerstörung der Stadt Elbing. Ausgelagert in einem thüringischen Salzschacht, gelangt sie auf die Scheune eines Bauern und 1948 in die katholische Kirche in Vacha. Erst in den 1990er Jahren wird ihre Identität offenbar. Als Dauerleihgabe der Union Evangelischer Kirchen in der EKD zeigt die Schreinmadonna ihre ganze Schönheit heute im Ostdeutschen Landesmuseum.

Besucher können in Lüneburg das Original bewundern und seit kurzem auch eine Kunstpostkarte (0,60 Euro) von der Schreinmadonna mit nach Hause nehmen. Die finanziellen Mittel für die Herstellung brachten der Verein "Freunde des Ostdeutschen Landes- und Jagdmuseums" sowie der aus Preußisch Holland stammende ehrenamtliche Museumsmitarbeiter Gerhard Thies auf. OL

 
     
     
 
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