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Der alte Hund

 
     
 
Als die Regenschleppe übers Dorf hinweggezogen war, blieb für eine Weile noch ein dünnes, fadiges Rieseln, bis auch das versickerte. Der große, alte Hund hatte den Regen breitbeinig und gelassen über sich ergehen lassen. Er dachte nicht daran, unters Scheunendach zu kriechen und sich in der wohligen Wärme hinter den Hafersäcken zusammenzurollen. Und wenn er sich danach schüttelte, daß seine langen, behaarten Ohren ihm nur so um den Kopf klatschten, dann kam so etwas wie Übermut in ihm auf, der ihn ganz verdreht machte …

Eigentlich war er nie so recht alt geworden, obwohl er doch schon ziemlich in den Hundejahren war, wo ihn das Rheuma manchmal gewaltig plagte. Aber was wußte ein Hund schon von Rheuma …

Er wußte nur, daß ihn da zeitweilig etwas im Hinterlauf quälte und ihn in den Nächten aufheulen ließ. Doch wenn er in Bewegung war, ging es ihm gut. Wenn er sich eine kleine Henne im Hühnerhof stahl und danach vom Bauern verflucht und gejagt wurde, dann federten seine Beine noch im Sprung.

Allerdings passierte es ihm neuerdings häufiger, daß er das Hühnchen auf der Flucht verlor, denn seine Kiefer konnten nicht mehr so fest zupacken wie früher, als sie noch krachend in seine Beute gefahren waren. Und keine war ihm dabei entkommen, auch wenn man ihn damit bis zum Waldrand gejagt hatte. Selbst die Schrotladungen, die ihm der Bauer zuweilen nachgeschickt hatte, waren ihm nur einmal ins Fell gebrannt …

Seither war er schneller gewesen, wobei ihn jedesmal eine wilde Freude gepackt hatte, wenn er wieder einmal davongekommen war. Von da an hatte der Bauer ihn auch respektiert – und wenn sie sich im Dorf begegneten, war er ihm nicht mehr aus dem Weg gegangen, sondern hatte nur einmal kurz geknurrt.

Ab und zu hatte der Bauer auch mal den Fuß gehoben, um ihn zu treten, aber das ließ er dann doch.

Mehr noch … Auf seinem Gesicht lag manchmal ein Grinsen, das nicht unfreundlich war.

So kam es dann, daß der alte Hund zuweilen – besonders im Winter, wenn die Hühner im Stall eingeschlossen waren – auf den Hof schlich und sich auf die Veranda legte. Er wußte, daß er lange warten mußte, bis der Bauer die alte Wiebke mit einem Knochen oder einer Schüssel Kartoffelmus zu ihm hinausschicken würde und er jedesmal erst kuschen und mit der Rute auf den Boden klopfen  und sich ihre Strafpredigt anhören mußte … Aber wenn sie dann die Arme wie Henkel
in die Hüften stemmte und ihn einen alten Rabenhund nannte, der nur in der äußersten Not auf den Hof finden würde, dann … dann mußte er sich tief drinnen schon ordentlich krumm legen, um ihr nicht an die Gurgel zu fahren.

Aber Hunger tat weh – und er durfte sich’s mit ihr nicht verderben …

Irgendwann würde wohl auch für ihn der Tag kommen, an dem er sein Herumstreunen aufgeben mußte.

Irgendwann würde er doch hinter die Hafersäcke in der Scheune kriechen müssen …

Aber noch war es nicht soweit. Noch federten seine Läufe im Sprung, wenn er ein Hühnchen oder eine Wildente riß … Noch konnte er den Preis für seine Freiheit bezahlen – er, der große, alte Hund.

 
     
     
 
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