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Während das ReemtsmaInstitut das Land mit einer Austellung in Aufruhr versetzt hat, deren zweifelhafter Wert sich allein in einer gezielten Provokation erschöpft, wird im Deutsch-Russischen Museum in Berlin-Karlshorst wissenschaftlich-museologische Kärrnerarbeit geleistet, die naturgemäß viel weniger Beachtung findet. Schließlich läßt sie sich von keiner "Event"-Industrie vermarkten.
Das Museum befindet sich in jenem ehemaligen Offiziersklub der Wehrmacht, wo am 8. Mai 1945 die bedingungslose Kapitulation der Deutschen Wehrmacht unterzeichnet wurde. Danach war es Sitz der sowjetischen Militäradministration in Deutschland, ehe es 1967 von der sowjetischen Führung zum Ruhme des eigenen Sieges in ein Museum umgewandelt wurde. Dabei ging es weniger um die Darstellung und kritische Vergegenwärtigung geschichtlicher Tatsachen und Zusammenhänge, als vielmehr um eine propagandistische Selbstbestätigung. 1994 wurde es von einem binationalen Trägerverein zum Deutsch-Russischen Museum umgestaltet. Seitdem widmet es sich den beidseitigen Beziehungen von Brest-Litowsk bis heute, wobei der Schwerpunkt weiterhin auf der Zeit des Zweiten Weltkriegs liegt.
Eine breitgefächerte Dauerausstellung bildet das Rückgrat des Museums, das daneben Sonderausstellungen anbietet, deren Extrakt in hervorragenden Katalogen dokumentiert und abrufbar ist.
Die aktuelle Exposition ist dem Thema "Fotofeldpost. Geknipste Kriegserlebnisse 19391945" gewidmet, für die rund 400 Fotografien fast auschließlich von der Ostfront ausgewählt wurde. Die Organisatoren konnten aus einem reichen Fundus schöpfen, wurden die deutschen Soldaten seinerzeit doch ausdrücklich angespornt, unter Beachtung militärischer Vorschriften Fotos anzufertigen. Diese sollten, erstens, als Quelle für die künftige Geschichtsschreibung militärischer Kameradschaften dienen und so zum inneren Zusammenhalt und zur Herausbildung eines Gruppenbewußtseins beitragen sogar Fotowettbewerbe wurden zu diesem Zweck veranstaltet. Vor allem aber waren sie als Brücke, als Verbindung zwischen Heimat und Front gedacht. Die Hobbyfotografie war in den dreißiger Jahren in Deutschland bereits gut entwickelt, der Besitz einer privaten Kamera kein unerschwinglicher Luxus mehr.
Die gezeigten Bilder sind in Sachgruppen gegliedert: Die unter dem Titel "Die eigene Welt" versammelten Fotos dokumentieren das Bestreben der Soldaten, gewohnte Formen des zivilen Lebens unter Frontbedingungen möglichst aufrechtzuerhalten. Die statischen Gruppenfotos mit dem Vorgesetzten im Mittelpunkt sind beispielsweise eine Fortsetzung der obligaten Familienfotografien. Ungewohnte Situationen, etwa das Zubereiten der Mahlzeiten, die traditionell dem weiblichen Rollenverständnis entsprachen, wurden mit ostentativem Humor bewältigt.
Die privaten Schnappschüsse wurden, von Ausnahmen abgesehen, ohne größeren handwerklichen Ehrgeiz angefertigt. Das Abgebildete läßt demzufolge auch nur selten eindeutige Rückschlüsse auf zwischenmenschliche, gesellschaftliche oder militärische Zusammenhänge und Prozesse zu. Dieser Kontext wurde erst durch die Kommentare auf der Rückseite der Fotos hergestellt. Dennoch drücken die meisten Fotos unausgesprochen das Bemühen aus, die Angehörigen zu Hause über die eigene Lage zu beruhigen und sich selber in einem Akt der Selbstüberredung der positiven Aspekte des unfreiwilligen Fronterlebnisses zu vergewissern. Die Fotos von Gefangenenkolonnen oder vom zerstörten Kriegsmaterial des Gegners wiederspiegeln nicht so sehr den Stolz der Eroberer, sondern die Erleichterung darüber, daß sie als potentielle Gefahren für das eigene Leben als nunmehr ausgeschaltet zu betrachten waren.
Die meisten Soldaten hatten bis dahin keine größere Reisen unternommen, selbst innerhalb Deutschlands nicht. Frankreich konnte nach dem Waffenstillstand zum aufregenden touristischen Erlebnis werden, der Osten brachte hingegen eine Art Kulturschock, der auf die ungeheuren Ausdehnungen, die extremen klimatischen Bedingungen und natürlich auf den Anblick einer vormodernen, bäuerlich-verarmten Welt zurückging, in der die primitivsten hygienischen Bedürfnisse kaum zu befriedigen waren. Der Bruch zwischen heimischer und fremder Welt wurde an Läusen und Flöhen und den durch sie verursachten Krankheiten körperlich greifbar und verbal festgemacht. Die Differenz in der Alltagskultur war eben nicht nur Propaganda, ihre bloße Benennung kann daher nicht per se als rassistisch bezeichnet werden. Vielmehr bekamen die ideologlischen Thesen, sofern sie bei kommunistischen oder sonstwie mit der Sowjetunion sympathisierenden Wehrmachtsangehörigen im Umlauf waren, durch die hautnahe Begegnung mit dem "Arbeiter-und Bauernparadies" einen oft grundlegend heilsamen Dämpfer.
Inwieweit die Haltung der Soldaten mit der NS-Propaganda übereinstimmten, haben die Ausstellungsmacher aus Feldpostbriefen als den "Speichern gesellschaftlicher Wissensbestände" herauszufiltern versucht und dabei vielfach die Übernahme der NS-Terminologie festgestellt. Wieweit diese Zitate tatsächlich Rückschlüsse auf die innersten Überzeugungen zulassen, muß allerdings noch gründlich sondiert werden. Erstens ist an die Postzensur zu denken, die auch zu einer inneren Zensur führte. Zweitens waren die meisten der Briefeschreiber nicht darin geübt, ausführlich über sich und ihre Situation zu refklektieren über eine Situation zumal, deren Monstrosität sich im Grunde bis heute der Sprache entzieht. Auch deshalb griffen sie auf sprachliche Wendungen zurück, die ihnen die Propaganda anbot und die zumeist keiner Korrektur mit der erfahrbaren Wirklichkeit bedurfte. Drittens ist zu bedenken, daß es sich für die meisten Soldaten um eine unentrinnare Situation totaler Entfremdung vom geläufigen Berufserfahrungsbild handelte, deren Strapazen nur durch Scheinrationalisierungen zu ertragen waren. Auch dies könnte zur vordergründigen Identifizierung mit nationalsozialistischen Ideologemen und Propagandaformeln geführt haben.
Natürlich findet sich auf den Fotos häufig eine zoologische Perspektive, die durch entsprechende Kommentare verstärkt wird. Die Objekte werden aus dem Blickwinkel zivilisatorischer Überlegenheit betrachtet. Doch selbst hier wäre noch das Argument nicht von der Hand zu weisen, ob dieser Fotoblick deutscher Soldaten sich tatsächlich so stark von jenem unterscheidet, den Touristen aus der nördlichen Wohlstandshemisphäre heute auf Angehörige exotischer Völker richten.
Daneben gibt es selbstverständlich auch noch Bilder, auf denen sich die Blicke der Soldaten und der russischen Zivilisten auf Augenhöhe begegnen, auf denen Kontakte von Mensch zu Mensch hergestellt sind. Es kommt, wenn auch selten, vor, daß fotografierte Frauen Objekte erotischen Interesses sind und daß Soldaten mit ukrainischen oder russischen Frauen tanzen. Der Krieg schuf eben auch Notgemeinschaften, die sich allen Feindklischees, den überkommenen wie den nachträglichen, entzogen.
Die Fotoauswahl gibt Ausschnitte aus dem Leben der deutschen Frontsoldaten wieder, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Es bietet sich an, sie mit den Kriegsbüchern von Heinrich Böll oder Franz Fühmann um nur diese zwei "linken" Autoren zu nennen korrespondieren zu lassen, die den Soldatenalltag aus eigener Erfahrung größenteils nur als eine Abfolge von Warten und Langeweile, dem Empfinden von Sinnlosigkeit und Todesfurcht, aus unerträglichen Spannungen, Heimweh und immer wieder Warten beschrieben hatten.
Die Nüchternheit dieser kleinen Sonderausstellung hat ein Pendant in der großen Dauerausstellung "Erinnerung an einen Krieg", die ein Panorama der deutsch-russischen Beziehungen vom Ersten Weltkrieg bis heute entrollt. Mit großer Klarheit wird darin unter anderem herausgestellt, daß bei der Ausbreitung des Nationalsozialismus in Deutschland die keineswegs unbegründete Furcht vor dem Bolschewismus und seinem aggressiven Machtanspruch eine große Rolle spielte. Es ist bemerkenswert, daß gerade in der Zeit, als Ernst Nolte von vielen Medien gezielt zur Unperson gemacht wurde, eine seiner zentralen Thesen als eine konzeptionelle Grundlage herangezogen wurde.
Um die Grausamkeit und tiefgreifende Wirkung des Krieges von 1941 und 1945 zu veranschaulichen, wurde auch drastisches Bildmaterial herangezogen. Allerdings spielt die sowjetische Kriegsführung im deutschen Osten dabei eine zu geringe Rolle. Die Brandschatzung deutscher Städte und Dörfer, die Vergewaltigungen, Flucht, Vertreibung, Deportationen werden wohl erwähnt, aber gleichsam zwischen Tür und Angel abgehandelt. Einen Hinweis auf "Nemmersdorf" sucht man vergebens, die vergleichsweise harmlose Szene eines Fahrddiebstahls durch einen russischen Soldaten in Berlin 1945 reicht zur Illustration dieses Kapitels, das im kollektiven Bewußtsein der Deutschen eine große Rolle gespielt hat, nicht aus. Auch fehlen Hinweise auf die über eine Million freiwilligen Mitkämpfer auf der Seite der Wehrmacht. In der DDR etwa, wo die deutsch-sowjetische Freundschaft zur Staatsdoktrin erhoben wurde, war die Heuchelei nirgendwo so groß, die Kluft zwischen öffentlichem Bekenntnis und privater Meinung nirgendwo so tief wie in der Frage der Beziehungen zwischen beiden Ländern. Einerseits wurden die Schüler klassenweise zum Eintritt in die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (DSF) genötigt, die dadurch zur Millionenorganisation anschwoll, andererseits wußte nahezu jeder von ihnen über Negativerfahrungen aus der Kriegszeit zu berichten, die im Familiendiskurs eine große Rolle spielten. Hinter vorgehaltener Hand, versteht sich. Damit blieb dieser Aspekt im öffentlich-poltischen Raum zwar ungenannt und zunächst unwirksam, auf der privaten und gesellschaftlichen Ebene aber auch unverarbeitet und unbewältigt. Er blieb eine Wunde, die heimlich, aber wirksam ihr Gift absonderte.
Es wäre schön, wenn das Deutsch-Russische Museum seine Rolle als Kommunikator und Mittler entsprechend ausweiten und vervollkommnen würde.
Die Ausstellung "Fotofeldpost" ist bis zum 12. Juni 2000 geöffnet. Der Katalog kostet 20 DM. Der Katalog "Erinnerung an den Krieg" ist ebenfalls für 20 DM erhältlich.
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