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Kulturelle Entfremdung

 
     
 
Über zehn Jahre sind vergangen, seitdem der deutschen Restbevölkerung im demokratischen Polen Minderheitenrechte zugestanden wurden. Vor allem in Oberschlesien gibt es zahlreiche Heimatverbliebene; dort hatte man 1945 große Bevölkerungsgruppen von der Vertreibung ausgenommen.

Man ging irrtümlich davon aus, ein erheblicher Teil der Oberschlesier, die neben dem Deutschen eine slawische Mundart sprachen, sei dem Polentum zuzuführen, was ein Argument für die Behauptung gewesen wäre, Polen sei auf „urpolnischen Boden” zurückgekehrt.

Tatsächlich mußte der neue kommunistische Staat jedoch auf sein totalitäres Instrumentarium zurückgreifen, um die Widerspenstigen zu beugen: Die deutsche Sprache wurde verbote
n und Deutschsprechende hart bestraft. Anfangs bedeutete das Gefängnis oder Konzentrationslager, später Repressalien am Arbeitsplatz.

Deutsch wurde bis 1989 in Oberschlesien und in Masuren, wo ebenfalls noch eine beträchtliche Anzahl Deutscher lebte, auch in weiterführenden Schulen nicht unterrichtet, obwohl es in Polen ansonsten als eine der beliebtesten Fremdsprachen galt. Ferner gab es keine deutschen Zeitungen und Bücher, die frei zu kaufen waren, später nur solche aus der DDR. Auch für das Hören deutscher Sender gab es Strafen.

So wurden jene, die geblieben waren, der angestammten Sprache und Kultur entfremdet, was dazu führte, daß auch sie zu Vertriebenen wurden - zu Vertriebenen aus ihrer Identität.

Zuwanderer aus allen Teilen Polens strömten ins Land, eigneten es sich samt der Habe der Deutschen an und verhielten sich den Zurückgebliebenen gegenüber als Sieger, obwohl auch viele von ihnen nicht wenig unter dem sowjetischen Zwangsregime zu leiden hatten.

Als in der Zeit des „Tauwetters“ 1956 allen anderen Minderheiten - Ukrainern, Litauern und Weißrussen - eigene Schulen und kulturelle Entfaltungsmöglichkeiten zugebilligt wurden, nahm man die deutsche Minderheit weiterhin von diesen menschenrechtlichen Freiheiten aus. Die Antwort darauf und auf den Niedergang der sich unter polnischer Herrschaft befindenden einst deutschen Reichsgebiete war eine ständig wachsende Ausreisewilligkeit.

Erst nach der Wende 1989, nach der Unterzeichnung des Grenzvertrages und später des Nachbarschaftsvertrages wurden den Deutschen in der Republik Polen Minderheitenrechte zugestanden. Es kam fast einem Wunder gleich, daß die durch einen ständigen Exodus und die dauernde Unterdrückung stark geschwächte Bevölkerungsgruppe noch die Kraft hatte, sich zu organisieren.

300 000 Unterschriften wurden in kurzer Zeit für die Zulassung einer deutschen Minderheitenvereinigung gesammelt. Es ging vor allem um den Rückgewinn der deutschen Sprache und die erneute Anknüpfung an eine deutsche kulturelle Identität. Nach längerem Zögern wurde von polnischer Seite dem Drängen der Deutschen, die durch den erzwungenen Sprachverlust mehrheitlich nur noch „Bekenntnisdeutsche” waren, stattgegeben

Doch zehn Jahre danach muß leider festgestellt werden, daß die Existenz dieser Deutschen ohne Enthusiasmus, ja sogar mit erheblicher Reserviertheit zur Kenntnis genommen wurde und wird. Es hat von seiten des demokratischen polnischen Staates weder eine Entschuldigung für die Konzentrationslager für Deutsche gegeben, in denen nach dem Krieg Tausende Zivilisten ums Leben gekommen waren, noch für die jahrzehntelange Entrechtung und auch nicht für die Zerstörung deutschen Kulturgutes.

Die Unterstützung für die als fremd und bedrohlich empfundene Bevölkerungsgruppe ist trotz offizieller Anerkennung und einiger aufrichtiger polnischer Publikationen gering. In der Presse werden oft haarsträubende Unwahrheiten zum Thema deutsche Minderheit verbreitet, zuletzt geschehen mit der Veröffentlichung von Jan Nowak-Jezioranski in der Rzeczpospolita-Ausgabe vom 4.-5. August.

Dennoch hat sich im zurückliegenden Jahrzehnt nicht wenig Positives ereignet. Merkwürdigerweise aber eher in Danzig oder Breslau als in Oppeln und Kattowitz, wo noch viele Deutsche leben, die helfen könnten, die Prozesse der europäischen Integration zu beschleunigen.

Die Menschen, die in Oberschlesien leben und sich bis heute zu ihren deutschen Wurzeln bekennen, sind eine Minderheit. Sie sind auf den guten Willen des Mehrheitsvolkes angewiesen. Um so mehr ist es alarmierend, wenn das Wojewodschaftsamt des Oppelner Landes 99,08 Prozent des Kulturetats für polnische Einrichtungen vorsieht und nur 0,8 Prozent für Aktivitäten der Deutschen.

Die Verantwortlichen auf polnischer Seite gehen offenbar davon aus, die reiche Bundesrepublik werde schon helfen. Und von dort kommen auch Unterstützungen, die unübersehbar und unverzichtbar sind. Allerdings gingen die bilateralen Absprachen zwischen Warschau und Berlin eigentlich in eine andere Richtung. Zudem sind die Deutschen im Oppelner Land Steuerzahler wie andere Bürger Polens auch. Und nicht die schlechtesten. Schon von daher haben sie das Recht auf staatliche Förderung ihrer Kultur.

Leider fehlte in den letzten Jahren selbst bei manchen Entscheidungsträgern der Volksgruppe das Bewußtsein dafür, daß vor allem die Wiedergewinnung einer kulturellen Identität zu einer gleichberechtigten Stellung in der Region und zu mehr Anerkennung verhelfen kann. Man vertritt bis heute zu zaghaft gerechtfertigte Positionen.

Mit der Tradition einer beharrlichen und friedfertigen Auseinandersetzung, wie man sie in einer Demokratie lernt, wissen beide Seiten anscheinend noch nicht so recht umzugehen.

Hinzu kommt, daß die Einheimischen, die keine Kontakte zur deutschen Kultur haben durften, deren Intelligenz zum größten Teil entweder gen Westen abgewandert war oder sich im Polnischen beheimatet hatte, nach der Wende nur begrenzt imstande war, sich wirksam zu präsentieren. Man konnte kaum noch deutsch schreiben und wußte viel zu wenig über die eigene Kultur und Geschichte.

Dennoch gibt es etliche, die sich aufopfernd für ein deutsches kulturelles Bewußtsein einsetzen. Nach dem Umbruch fand vor allem eine Rückbesinnung auf Traditionen der Volkskultur statt. Es war das deutsche Volkslied, das die Leute zusammenführte, sie zu Tränen rührte. Die Kinder sangen mit den Alten mit und lernten so die Sprache, die ihren Eltern genommen worden war. Mit der Zeit entstanden fast in jedem Ort Chöre und Blaskapellen mit oft beachtlichem Niveau.

Die vielen vom deutschen Innenministerium gesponserten Kulturhäuser, sogenannte DFK-„Begegnungsstätten”, erhielten Satellitenantennen und kleine Bibliotheken. Hier und da wurden sie zu Treffpunkten für alle Bewohner. Jedoch konnten längst nicht alle Möglichkeiten genutzt werden. Oft fehlt es an örtlichen Kultur-„Animatoren”.

Zum wichtigen Faktor des Zusammenhalts mit der deutschen Kultur sind die modernen Medien geworden. Überall hat man nach den Jahren des schlimmsten Terrors deutsche Programme gehört, die Deutsche Welle und noch mehr die Wiener Sender. Das Aufkommen der Satellitenantennen kam dann einer Revolution gleich. Jetzt konnte man sich Deutschland Abend für Abend in die eigenen vier Wände holen. Das Fernsehen erweist sich bis heute als beständigster Deutschlehrer.

Nach der Wende wurde mit bundesdeutscher Hilfe vor Ort eine deutsch- bzw. zweisprachige Presse organisiert. In Kattowitz veröffentlichte Dietmar Brehmer seine zweisprachige Zeitung Hoffnung. In Oppeln kam eine zweisprachige Publikation der deutschen Minderheit heraus, für die sich der Titel Schlesisches Wochenblatt durchsetzte. Sie wird von der Bundesrepublik und dem polnischen Kultusministerium finanziert und von Berlin mit Sprachassistenten unterstützt.

Mit dem Eichendorff- Konversatorium, einem unregelmäßig erscheinendem Periodikum, gewann die kulturschaffende Schicht der Minderheit ein Forum, das es sich unter anderem zur Aufgabe gemacht hat, die polnische Intelligenz für die deutsche Kultur zu interessieren. Eine wertvolle Veröffentlichung ist auch das monatliche zweisprachige Kultur- und Informationsbulletin des Deutschen Freundschaftskreises in Ratibor, das Beiträge zur Geschichte und Kultur der Region und Aktuelles beinhaltet.

Die Beeinflußbarkeit der meisten Redaktionen ist allerdings offensichtlich. Sowohl von polnischer als auch von bundesdeutscher Seite wird ständig Rücksichtsnahme auf die Empfindlichkeiten des Mehrheitsvolkes angemahnt. Dies behindert zweifellos aufrichtige Auseinandersetzungen mit Attacken der polnischen Seite.

Den Bedarf, sich über die Probleme der eigenen - sowohl in Polen wie in Deutschland lebenden - Volksgruppe zu informieren, deckten in der ersten Zeit die Schlesischen Nachrichten, das Blatt der Freundeskreis Schlesien. Später übernahmen die in Görlitz erscheinende Monatszeitschrift Schlesien heute und das Freundeskreissorgan Unser Oberschlesien diese Funktion.

Das wichtigste - neben dem Fernsehen - aber ist und bleibt, daß alle bedeutenden bundesdeutschen Zeitungen und Zeitschriften problemlos erhältlich sind und deutsche Bücher gelesen werden dürfen. In ihrer Gesamtheit bilden sie eine in ihrer Tragfähigkeit nicht zu unterschätzende kulturelle Brücke zu den Landsleuten im Westen.

Dieser Beitrag der in Oberschlesien aufgewachsenen und 1983 ausgesiedelten Schriftstellerin Dr. Renata Schumann („Muttersprache - Oberschlesische Geschichten“, „Ein starkes Weib - Das Leben der Hedwig von Schlesien“ u. a.) wird in der nächsten Ausgabe fortgesetzt.

 
     
     
 
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