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Der olle Kanopka und seine Babys

 
     
 
In dem großen Werk war Kanopka "Mädchen für alles", er hielt die Werkstatt sauber, fegte, klopfte Nägel und Dübel in die Wände und verkaufte Cola und Limo an die Kollegen. Ein Defizit in der Getränkekasse hatte er nie, das war bei Kanopka einfach nicht drin.

Manchmal wurden zerbrochene Flaschen in die Kästen geschmuggelt. Dann konnte man auf der großen schwarzen Tafel der Werkstatt folgendes lesen: "Heute Limo und Cola kosten 0,25 Euro mehr!" Als dieser Satz das erste Mal auf der Tafel fällig
war, hatte sich Kanopka treuherzig an den Vorarbeiter August Merker gewandt: "Schreib du das mal für mich auf Tafel. Komme aus Polen und kann so schlecht deitsch. Demm kennen Leit sonst nicht läsen."

Aber jeder wußte: Willi Kanopka konnte überhaupt nicht lesen und schreiben. Er hatte sechs Kinder und vier Enkel. Alle waren fröhlich, beliebt und beleibt. Auch die Schwiegersöhne und -töchter standen gut "in Futter"`, das war anscheinend sowohl erblich als auch Tradition bei den Kanopkas.

Ein einziges Mal fiel ein Enkelkind aus der Reihe: Es war krank und schwächlich, als es zur Welt kam. "Das wird sterben", klagte Rosi Kanopka, Willis Frau. Aber der war anderer Ansicht. Die Mutter des Säuglings putzte schon lange wieder den Schalterraum der Kreissparkasse, da lebte der kleine Stefan immer noch. Er wurde größer und allmählich auch runder. "Hab ihm alle zwei Stunden - tags wie nachts - gegäben Fitterung", sagte Kanopka selbstzufrieden, "gemeinsam mit Frau, nu - un wie sieht aus demm Kleenen?" - "Prächtig", bestätigten die Nachbarn.

Willi wurde Pensionär. Nägel schlug er nicht mehr in die Wände ein. Das überließ er seinen Söhnen.

Als seine Rosi plötzlich starb, schlich er eine Zeitlang traurig umher, für niemanden ansprechbar. Doch nach einigen Monaten hatte er sich aufgerappelt. Ein neues Enkelkind lag im Körbchen. Wieder sah man Willi auf der Straße daherschlendern, den Kinderwagen schiebend, die unvermeidliche Zigarette gleich einem Clochard im Mundwinkel balancierend.

Das neue Baby hieß Patrick und war - wie konnte es anders sein - rundlich und mobil. Es ruderte mit den fleischigen Ärmchen durch die Frühlingsluft und gluckste jeden freundlich an.

Opa Kanopka lächelte, hob sich auf die Zehen, um sein Gesicht in Augenhöhe der jeweiligen neugierigen Nachbarin zu bringen und rief: "Demm verwehn ich. Is sich bästimmt demm letzten!"

"Kanopka und sein Baby", sagten die Leute und lächelten auch.

Bis der Kinderwagen eines Tages von einem Auto angefahren wurde. Kanopka hatte keine Schuld, der Fahrer war betrunken gewesen. Klein Patrick war aus dem Wagen und hoch in die Luft geflogen, hatte sich Gehirnquetschungen zugezogen und keine drei Stunden mehr gelebt.

Lange Zeit sah man nichts von Willi Kanopka. Es hieß, er sei ein bißchen wunderlich geworden.

Auf einmal war er wieder auf der Straße zu sehen, mit Kinderwagen. Er war gealtert, aber er hielt sich aufrecht und seine blauen Augen hatten ihren früheren Glanz.

"Mensch, Kanopka, das ist doch wohl nicht schon wieder ein Enkelchen?" freute sich Nachbarin Erna Pollenbaum lautstark und stemmte die Arme in die Seiten. "Nä, nä!" Willi nahm die Baskenmütze ab und rieb damit über seinen fast kahlen Kopf. Dann zeigte er auf das schmächtige Kerlchen im Kinderwagen. "Sieht vielleicht aus wie n Kanopka? - Nu, demm is Sohn von Türk in Jehtestraße, heißt Sebattakin."

Der Kleine war drei Monate jung, als seine Mutter in die Klinik mußte, gerade als der Vater des Säuglings Kanopkas Nachfolge in der Werkstatt antrat. Wo sollte Sebattakin bleiben? Das Problem löste Kanopka, indem er kurzerhand das Kind als Enkelchen "adoptierte".

Gerade beugte er sich in den Wagen hinein und blicke ernst auf das dunkelhaarige Häufchen Elend herab. "Demm krieg ich auch noch jrroß und stattlich, nich, demm verwehn ich, nu!"

Frau Pollenbaum hatte nichts Eiligeres zu tun, als die Neuigkeit an die Frau zu bringen. Alles war in bester Ordnung. Kanopka hatte wieder ein Baby!
 
     
     
 
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